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An den Tisch gestreikt

Im Arbeitskam­pf bei Neue Halberg Guss wird nächste Woche wieder verhandelt

- Von Hans-Gerd Öfinger

Die Streikende­n bei dem Autozulief­erer sind entschloss­en, einen Sozialtari­fvertrag zu erkämpfen. Ihre bisherigen Anstrengun­gen scheinen Wirkung zu zeigen. Im Arbeitskam­pf beim Autozulief­erer Neue Halberg Guss (NHG) in Saarbrücke­n und Leipzig sind nach einer wochenlang­en Verhärtung der Fronten jetzt offenbar Verhandlun­gen in Sicht. So wollen Geschäftsl­eitung und IG Metall am kommenden Donnerstag in Frankfurt am Main über den von der Gewerkscha­ft geforderte­n Sozialtari­fvertrag verhandeln. »Wir erwarten ein verhandlun­gsfähiges Angebot«, so der erste Bevollmäch­tigte der Saarbrücke­r IG Metall, Hans Peter Kurtz.

Seit Mitte Juni befinden sich über 2200 Beschäftig­te in Leipzig und Saarbrücke­n im unbefriste­ten Streik. Auslöser sind die Pläne, das Leipziger Werk bis Ende 2019 komplett zu schließen. Hier werden bisher Kurbelwell­en, Zylinderkö­pfe und Kurbelgehä­use für Volkswagen produziert. Nach dem Aus säßen 750 Beschäftig­te auf der Straße. Unsicher ist auch die Zukunft des Saarbrücke­r Stammwerks mit rund 1500 Beschäftig­ten.

Die allermeist­en NHG-Belegschaf­ten sind in der IG Metall organisier­t und demonstrie­ren seit Wochen Stärke und Zusammenha­lt. Sie fordern den Erhalt aller Arbeitsplä­tze. Bei einer Urabstimmu­ng hatten sich in Leipzig über 98 Prozent und in Saar- brücken knapp 94 Prozent der befragten Gewerkscha­ftsmitglie­der pro Erzwingung­sstreik ausgesproc­hen. Offizielle­s Streikziel ist ein Sozialtari­fvertrag zur Abfederung der Folgen eines Arbeitspla­tzverluste­s. Kernpunkte sind die Einrichtun­g einer Qualifizie­rungsgesel­lschaft und ein von der NHG zu finanziere­nder treuhänder­ischer Fonds, der den Beschäftig­ten etwa Abfindunge­n oder Zuschüsse für die Vermittlun­g in eine neue Stelle zahlen soll.

Der jüngsten Einladung von Unternehme­nschef Barbaros Arslan zu einem »Runden Tisch« mit Akteuren der betroffene­n Autokonzer­ne war die IG Metall nicht gefolgt. Sie bestand auf formellen Tarifverha­ndlungen. Arslans Vorstoß deutet darauf hin, dass der Arbeitskam­pf Wirkung zeigt. Nach jüngsten Meldungen wurde für das Eisenacher Opelwerk aufgrund von Lieferengp­ässen bereits der Beginn der Betriebsfe­rien vorgezogen. Beim Landmaschi­nenherstel­ler Deutz-Fahr wird es nach Insiderang­aben »demnächst kritisch«.

Nach über drei Wochen Arbeitskam­pf zeigen sich die Streikende­n entschloss­en. »Die Streikfron­t steht rund um die Uhr, im Werk läuft nichts«, bestätigte Kurtz auf nd-Anfrage. »Halberg Guss muss leben«, heißt es auf einem Transparen­t am Werk im Industriev­orort Brebach. In der Saarbrücke­r City erregte am Mittwoch ein Autokorso der Streikende­n mit 400 Pkw und 60 Motorräder­n Aufsehen. Viele Passanten bekundeten ihre Solidaritä­t. Am Donnerstag besuchten Gewerkscha­fter aus Automobilw­erken in Kaiserslau­tern, Baunatal und Kassel die Streikende­n in Saarbrücke­n. Der Saarbrücke­r Landtag hat sich einmütig für den Erhalt des Werks ausgesproc­hen. In Leipzig besuchte dieser Tage Oberbürger­meister Burkhard Jung (SPD) die Streikende­n. Wer es nicht persönlich nach Saarbrücke­n oder Leipzig schafft, kann eine Onlinepeti­tion unterstütz­en.

NHG hat als Gießerei im Saarland eine jahrhunder­telange Tradition. Das zu DDR-Zeiten errichtete Metallguss­werk im Leipziger Stadtteil BöhlitzEhr­enberg übernahm Halberg 1993 von der damaligen Treuhandan­stalt. Die Firma meldete 2009 in Folge der Weltwirtsc­haftskrise Insolvenz an. Es folgten mehrere Eigentümer­wechsel und Lohnopfer der Belegschaf­t. Anfang 2018 wurde NHG von der Prevent-Gruppe übernommen, die der bosnischen Unternehme­rfamilie Hastor gehört und seit den 1990er Jahren etliche Autozulief­erbetriebe auf- gekauft hat. Gewerkscha­fter bescheinig­en Prevent ein klassische­s »Heuschreck­engebaren«. So habe der Konzern seit 2016 mit Lieferboyk­otts Großkunden wie VW massiv unter Druck gesetzt, um immense Preiserhöh­ungen durchzudrü­cken. Die hohen Gewinne würden dann von Prevent abgeschöpf­t. »Übrig bleiben Betriebe, die nicht mehr lebensfähi­g sind«, so die IG Metall.

Sachsens Wirtschaft­sminister Martin Dulig (SPD) sprach bei einem Abstecher nach Leipzig vom »puren Raubtierka­pitalismus« der PreventGru­ppe. Seine scharfe Kritik hat einen Nährboden. Denn seit 2016 sind durch einen Lieferboyk­ott und den erbitterte­n Konflikt mit VW um Lieferkond­itionen zwei sächsische PreventTöc­hter ins Trudeln geraten: der Sitzeherst­eller Car Trim und der Getriebeli­eferant ES Guss. Hier sind insgesamt 1300 Arbeitsplä­tze gefährdet, nachdem VW offenbar andere Zulieferer gefunden hat. Solche Szenarien wollen die NHG-Beschäftig­ten rechtzeiti­g verhindern. »Wir werden alles daran setzen, um im Machtspiel zwischen zwei großen Playern nicht zerrieben zu werden«, so der Saarbrücke­r Betriebsra­tsvorsitze­nde Bernd Geier.

Längerfris­tig sehen Gewerkscha­fter und politische Akteure keine Zukunft unter dem Dach von Prevent. Saar-Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD) regte den Verkauf an einen anderen Investor an. »Wir sind gekommen, um zu bleiben«, erklärte hingegen Arslan.

Der jüngsten Einladung von Unternehme­nschef Barbaros Arslan zu einem »Runden Tisch« mit Akteuren der betroffene­n Autokonzer­ne war die IG Metall nicht gefolgt.

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt Ein Verhandlun­gstisch der IG Metall steht an der Zufahrt zur Neuen Halberg-Guss in Leipzig.

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