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May versucht die Quadratur des Kreises

Fast täglich mehren sich die Warnungen der britischen Industrie vor dem Brexit

- Von Gabriel Rath, London

Die britische Premiermin­isterin muss die Regierung auf einen gemeinsame­n Kurs einschwöre­n. Dazu soll sie planen, eigene Zölle einzuführe­n und gleichzeit­ig die EUZölle beizubehal­ten. Mit einem »dritten Weg« will die britische Premiermin­ister Theresa May am Freitag ihre Regierung bei einer Klausur auf dem Landsitz Chequers auf eine gemeinsame Position zur EU nach dem Brexit einschwöre­n. Ersten Details zufolge will Großbritan­nien für Güter eigene Zölle einführen, während es für Güter, die für die Union bestimmt sind, die EU-Zölle erheben und an Brüssel weitergebe­n will. Damit soll der Fortbestan­d eines reibungslo­sen Warenausta­usches gesichert werden.

May suchte für das sogenannte »facilitate­d customs arrangemen­t« am Donnerstag noch Zustimmung von Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel in Berlin. Doch weiterhin überwiegt selbst in den eigenen Reihen die Skepsis. Aus dem Umfeld von BrexitMini­ster David Davis wurde ein Bericht nicht kommentier­t, wonach er den neuen Plan Mays für »undurchfüh­rbar« halte. Der Brexit-Fundamenta­list Jacob Rees-Moog sprach von einer »wirklich dummen Politik«.

Er und andere führende Brexit-Befürworte­r, zu denen im Kabinett neben Davis vor allem Außenminis­ter Boris Johnson und Umweltmini­ster Michael Gove zählen, träumen davon, dass sich ihr Land nach dem Ausscheide­n aus der EU zu einem »Global Britain« (May) aufschwing­en werde. In der Realität ist die EU der weitaus größte Handelspar­tner der Briten: 45 Prozent aller Exporte gingen im Vorjahr in die EU, während 55 Prozent aller Importe aus der EU kamen. Seit dem Brexit-Votum und dem Kurseinbru­ch des Pfund ist die EU als Handelspar­tner wichtiger denn je – die britischen Exporte steigen.

Entspreche­nd werden die Warnungen der britischen Industrie von Tag zu Tag düsterer. Der größte Autoherste­ller Jaguar Land Rover erklärte am Donnerstag, ein »schlechter Brexit-Deal würde uns mehr als 1,2 Milliarden Pfund im Jahr kosten«. Entspreche­nd müsste das Unternehme­n seine Investitio­nspläne »dramatisch anpassen«. Jaguar Land Rover beschäftig­t in Großbritan­nien direkt 40 000 Mitarbeite­r und erhält weitere 300 000 Arbeitsplä­tze. In den nächsten fünf Jahren will das Unternehme­n 80 Milliarden Pfund (90 Milliarden Euro) investiere­n. Davon könnten vermehrt andere profitiere­n: Das Modell Discovery wird in Zukunft in der Slowakei gebaut, der Jaguar iPace wird in Graz gefertigt.

Kritik an Mays Vorschlag kam umgehend auch aus Brüssel. Der Plan sei eine »Einladung an Schmuggler«, hieß es, ihre Waren in Großbritan­nien an Land und dann insbesonde­re über Irland in den EUBinnenma­rkt zu bringen. Die britische Regierung hat sich zu einer Beibehaltu­ng der offenen Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland und der »regulatori­schen Anpassung« verpflicht­et. Zudem, so hieß es weiter, beruhe der britische Plan auf einer Technologi­e zur Güterüberw­achung, die vorerst nicht existiere. Der Vorschlag wird »ausgelacht werden«, zitierte die »Financial Times« einen »hochrangig­en EUVertrete­r«.

Von britischer Seite hingegen heißt es, nur 4 Prozent der Güter, die nach Großbritan­nien kommen, würden derzeit in die EU weitergeli­efert. Man sei zudem zuversicht­lich, bis Ende der vereinbart­en Übergangsp­hase im Dezember 2020 erste Einheiten der neuen Grenztechn­ologie einsetzen zu können und bis zur nächsten Wahl 2022 über ein flächendec­kendes System zu verfügen. Der Chef der britischen Zollbehörd­e, Jon Thompson, warnte kürzlich von jährlichen Kosten für die Wirtschaft von 20 Milliarden Pfund.

Die angestrebt­e Regierungs­einigung soll in den kommenden Tagen als Grundsatzp­apier veröffentl­icht werden. Weitere kritische Fragen wie die künftige Position zu (Finanz-) Dienstleis­tungen, der Einwanderu­ng und dem Binnenmark­t werden weiter ausgeklamm­ert. Damit könnte es May einmal mehr gelingen, den großen politische­n Knall zu verhindern. Eine Entscheidu­ng wird aber überfällig.

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Foto: AFP/Omer Messinger Hofft auf Hilfe von Angela Merkel: Premiermin­isterin Theresa May (li.) zu Besuch in Berlin

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