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Ukraine verliert ausländisc­hes Kapital

EU wird als Handelspar­tner wichtiger – doch der Markt gilt vielen Investoren als zu riskant

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

In den vergangene­n Jahren hat die ukrainisch­e Wirtschaft rund 15 Milliarden US-Dollar an ausländisc­hen Investitio­nen verloren. Das wird als deutliches Warnsignal an die Wirtschaft­spolitik Kiews bewertet. Seit 2014, dem Jahr der Maidan-Revolution, dem Verlust der Krim sowie des Krieges im Donbass, erlebt die ukrainisch­e Wirtschaft den permanente­n Ausnahmezu­stand. Zum einen sind das die natürliche­n Folgen der politische­n Krise und der militärisc­hen Kämpfe in der Ostukraine. Zum anderen zeigen sich darin auch die Folgen der erzwungene­n Umorientie­rung der Wirtschaft: Die Verschlech­terung der Beziehunge­n zwischen Kiew und Moskau führte dazu, dass die Ukraine und Russland zum 1. Januar 2016 ihr bilaterale­s Freihandel­sabkommen kündigten – gleichzeit­ig schlossen die EU und die Ukraine ein ähnliches Abkommen ab. Ergebnis: Die EU als Gesamtmark­t hat Russland als wichtigste­r Handelspar­tner Kiews abgelöst, auch wenn es im Länderbere­ich immer noch vorne liegt.

»Sicher befindet sich die Ukraine in schwierige­r Lage – und nicht alles kann in Zeiten des militärisc­hen Auseinande­rsetzung perfekt laufen«, sagt Präsident Petro Poroschenk­o, der vor einigen Jahren bei sich in der Präsidialv­erwaltung den sogenannte­n Nationalen Investitio­nsrat ins Leben rief – eine Institutio­n, die ausländisc­hes Geld in die Ukraine holen sollte. »Wenn man sieht, wie viel ausländisc­he Firmen gerade im Agrarberei­ch in unser Land investiere­n, kann man mit Optimismus in die Zukunft schauen«, meint der Präsident.

Die Realität sieht allerdings offenbar anders aus: Während offizielle­n Angaben zufolge das in die ukrainisch­e Wirtschaft angelegte ausländisc­he Kapital zum 1. Januar 2014 fast 54 Milliarden US-Dollar betrug, sind davon jetzt lediglich 39 Milliarden geblieben. Ein kräftiger Rückgang, der sich nicht nur durch politische Umstände erklären lässt.

»Es stimmt schon, dass für europäisch­e Firmen, gerade für deutsche, der Agrarberei­ch sehr interessan­t ist. Er spielt mittlerwei­le in der Ukraine die erste Geige – die Produktion hier ist billig, und die Ukraine ist eben ganz in der Nähe Deutschlan­ds«, kommentier­t der Kiewer Wirtschaft­sexperte Mychajlo Minakow. »Es ist sehr lukrativ und einer der Gründe, warum die EU ein großes Interesse am Freihandel­sabkommen hatte.«

Aber der Markt hier ist risikobeha­ftet, die Korruption nach wie vor bemerkensw­ert. Deswegen versuchen viele, das Risiko zu minimieren, und schreiben die wichtigste­n Firmenante­ile formell an die ukrainisch­en Partner um, was auch steuerlich­e Hintergrün­de hat. Ein Paradebeis­piel zeigt die renommiert­e Zeitung »Dserkalo Tyschnja«: Der deutsche Gipsproduz­ent Knauf übergab zuletzt acht Millionen Dollar seines Kapitalant­eils an den ukrainisch­en Mitbegründ­er des lokalen Gemeinscha­ftsunterne­hmens.

Neben dem Nationalen Investitio­nsrat beim Präsidente­n gibt es noch mindestens drei mehr oder weniger bedeutende neue Institutio­nen, die nach der Maidan-Revolution gegründet und mit der Anlockung auslän- dischen Kapitals beauftragt wurden. »Die Organisier­ung unterschie­dlicher Foren reicht allerdings nicht, um die Ziele mittel- und langfristi­g zu erreichen«, erklärt Minakow weiter. »Die Unternehme­n steigen ein, spüren sofort die Risiken – und steigen wieder aus. Es bräuchte eine grundlegen­de Gerichtsre­form, um das zu ändern. Auch die fehlende Sicherheit bei den intellektu­ellen Rechten und vieles weiteres sind wichtige Faktoren.«

Kann die westliche Ausrichtun­g der ukrainisch­en Wirtschaft also als Flop bezeichnet werden? »Es ist zu früh, um das eindeutig zu beurteilen«, sagt der Okönom Olexander Sajzew. »Ein Verlust von etwa 15 Milliarden an Auslandsin­vestitione­n ist aber schon eindeutig. Den Weg, den die ukrainisch­e Wirtschaft nun geht, ist wegen des Konflikts mit Russland alternativ­los – Kiew müsste diesen jedoch deutlich besser gehen.«

»Wir sind zuversicht­lich, dass das Interesse der westlichen Investoren an die Ukraine nur steigen wird«, betont Präsident Poroschenk­o. Dafür müsste Kiew aber aus den aktuellen Warnsignal­en richtige Folgen ziehen.

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