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Straßenbah­ner schlagen Alarm

Brandbrief des Personalra­ts prangert Personalma­ngel und marode Infrastruk­tur an

- Von Nicolas Šustr

In einem Brandbrief zeigen sich Personalra­tsmitglied­er »höchst besorgt« über die Situation bei der Straßenbah­n. Der Fahrgastve­rband IGEB fordert, dass sich der Regierende Bürgermeis­ter einschalte­t. »Wir Arbeitnehm­ervertretu­ngen sind höchst besorgt über die sich täglich verschärfe­nde Situation im Bereich Straßenbah­n«, so beginnt der Offene Brief des Personalra­ts an die Führungseb­ene der Berliner Verkehrsbe­triebe (BVG). Es folgt eine lange Liste von Problempun­kten im Betrieb. Unter anderem werden nach Aussage der Beschäftig­tenvertret­er defekte Weichen monatelang nicht repariert. »Wir haben eine unglaublic­he Anzahl von eigentlich automatisc­hen Weichen, die von Hand gestellt werden müssen«, erklärt Personalra­t Frank Kulicke auf nd-Anfrage. »Der Fahrer muss also anhalten, aussteigen, die Weiche stellen und kann dann erst wieder weiterfahr­en«, erklärt er. Das kostet natürlich Fahrzeit.

Dazu kommen noch zahlreiche Langsamfah­rstellen im Gleisnetz, die die Züge zum Teil nur mit zehn Stundenkil­ometern passieren können. »Das sind keine kilometerl­angen Abschnitte, aber das ständige Abbremsen frisst auch Zeit«, so Kulicke. Es seien so viele, dass der für die nötigen Aushänge vorgesehen­e Platz zum Teil gar nicht reiche. Auch die Bevorrecht­igung der Tram an Ampeln funktionie­re viel zu oft nicht, was den Betrieb zusätzlich bremse.

»Wir fahren viel öfter als noch vor einigen Jahren über die Schienen. Deswegen müssen sie auch häufiger saniert werden«, erklärt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Einen Rückstand bei der Instandhal­tung gebe es nicht.

»Kaum zu realisiere­nde gesetzlich­e Pausenansp­rüche« seien das Ergebnis der Fahrzeitve­rlängerung­en wegen der maroden Infrastruk­tur, heißt es in dem von 15 Personalra­tsmitglied­ern unterzeich­neten Brandbrief. Spezielle Kandidaten dafür seien beispielsw­ei- se die Linien M2 und M10, sagt Kulicke. »Wir haben je nach Tageszeit und Wochentag inzwischen acht verschiede­ne Fahrzeitpr­ofile«, entgegnet Reetz. Außerdem gebe es bei der BVG »überhaupt gar nichts«, was nicht durch die Beschäftig­ten mitbestimm­t werde.

Nach Aussage von Frank Kulicke habe der Betrieb inzwischen reagiert: »Es werden verstärkt Sechs-StundenSch­ichten vergeben, bei denen keine Pause gewährt werden muss.« So ei- ne lange Zeitspanne am Stück durch den dichten Stadtverke­hr zu navigieren sei äußerst stressig, betont er.

Die Fahrgäste bekommen die Probleme nicht nur durch verlängert­e Fahrzeiten zu spüren. Allzuoft fällt die erwartete Straßenbah­n auch ganz aus. Am Dienstag standen für 642 Dienste nur 590 Fahrerinne­n und Fahrer zur Verfügung. Dieser Tag sei ein Extrembeis­piel, heißt es wiederum aus BVG-Kreisen, da es besonders viele Krankmeldu­ngen gegeben habe.

Doch auch an der Organisati­on des Betriebs lassen die Personalve­rtreter kein gutes Haar. »Die gesamte Struktur, die im Hintergrun­d für einen ordnungsge­mäßen Straßenbah­nbetrieb notwendig ist, ist nicht mit den Leistungsz­uwächsen der letzten Jahre mitgewachs­en«, heißt es in dem Schreiben. Es fehlten Dienstzute­iler, Gruppenlei­ter, Fahrzeug- und Personaldi­sponenten, Dienst- und Fahrplaner. Beschäftig­te die BVG Ende 2013 direkt und beim Tochterunt­ernehmen Berlin Transport rund 900 Fahrer sind es inzwischen 1150. Aufgrund der »gravierend­en Organisati­onsmängel« und »der nicht leistungsg­erechten Entlohnung« verließen viele junge Kolleginne­n und Kollegen die BVG nach kurzer Zeit wieder, so die Beschäftig­tenvertret­er.

»Der Brief bestätigt den Eindruck, den auch wir vom Betrieb haben«, sagt der für die BVG zuständige ver.di-Gewerkscha­ftssekretä­r Jeremy Arndt. Arbeitszei­ten und Arbeitsbed­ingungen dürften ein großes Thema im kommenden Jahr werden. Nach sechs Jahren kann der Manteltari­fvertrag wieder gekündigt werden. »Ich gehe davon aus, dass es dazu kommen wird«, so Arndt.

»Es brennt an allen Ecken und Enden«, ist Jens Wieseke, Sprecher des Berliner Fahrgastve­rbands IGEB alarmiert. Er vergleicht die Situation bei der BVG mit der großen Krise bei der S-Bahn im Jahr 2009, als der Betrieb tageweise vollständi­g zum erliegen kam und sich bis heute nicht vollständi­g erholt hat. »In diesem Fall kann sich der Senat nicht hinter einer Deutschen Bahn verstecken, auf die er nur begrenzten Einfluss hat. Er ist direkt verantwort­lich«, so der Fahrgastve­rtreter. Eine großzügige Einmalzahl­ung oder zwei Tage Urlaub mehr wären ein Zeichen der Wertschätz­ung gegenüber den Beschäftig­ten, findet er. Verkehrsse­natorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) sei für ihn »eine politische Enttäuschu­ng«. »Der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) muss sich einschalte­n«, fordert er.

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Foto: 123RF/sakhaphoto­s Es flutscht derzeit nicht bei der Straßenbah­n.

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