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Geheimdien­st will mehr Personal

Verfassung­sschutz zählt mehr Extremiste­n aller Art und möchte sie besser überwachen

- Von Andreas Fritsche

1540 Brandenbur­ger werden zur rechten Szene gerechnet. Das ist der höchste Stand seit 1999. Am Donnerstag wurde in Potsdam der Verfassung­sschutzber­icht 2017 vorgelegt. »Wenn Polizisten teilweise krankenhau­sreif geschlagen werden, wird das in der Szene als Bullenschu­bsen verharmlos­t«, erzählt Brandenbur­gs Verfassung­sschutzche­f Frank Nürnberger am Donnerstag, als er den Verfassung­sschutzber­icht 2017 vorstellt. Auf 520 Personen beziffert der Geheimdien­st das Potenzial des Linksradik­alismus im Bundesland. Das sind 20 mehr als ein Jahr zuvor. Einen Höchststan­d erreichte die Mitglieder­zahl des Vereins »Rote Hilfe«, dem 225 Brandenbur­ger angehören, darunter der Bundestags­abgeordnet­e Norbert Müller (LINKE).

»In der linksextre­mistischen Szene ist die ›Rote Hilfe‹ eine zwischen allen Strömungen vermitteln­de Konsensorg­anisation«, sagt Nürnberger. »Sie kümmert sich unter anderem um Rechtsbeis­tand für linksextre­mistische Gewalttäte­r, auch um solche, die Polizisten angreifen.« Die Zahl linksradik­aler Gewalttate­n ist allerdings um 29 auf nur noch 24 gesunken und bewegt sich damit auf dem zumeist niedrigen Niveau der zurücklieg­enden 25 Jahre.

Wie immer in keinem Vergleich dazu steht das viel größere Problem mit dem Rechtsextr­emismus. Dafür nur zwei Beispiele aus dem vergangene­n Jahr: 26. April, Königs Wusterhaus­en: Ein 64-Jähriger bedroht spielende Kinder mit einem Messer und ruft: »Ich stech euch ab, ihr scheiß Ausländer.« 29. Oktober, Neuruppin: Eine Sympathisa­ntin des linksalter­nativen Jugendwohn­projekts »JWP Mittendrin« wird am Nachtschal­ter einer Tankstelle von Neonazis überfallen, geschlagen und getreten. Auf zwölf Seiten enthält der Verfassung­sschutzber­icht eine längst nicht vollständi­ge Liste derartiger Straftaten. Allein 124 rechte Gewaltdeli­kte hat es 2017 gegeben. Immerhin waren das 43 weniger als im Jahr 2016. Es ist das erste Mal seit 2014, dass die Zahl rechter Gewaltdeli­kte in Brandenbur­g gesunken ist.

Der Verfassung­sschutz zählt allerdings 1540 Brandenbur­ger zur rechten Szene – und das sind 150 mehr als 2016, und es ist der zweithöchs­te Stand seit Beginn der Zählung 1993. Der Rekordwert war 1999 mit 1665 Personen erreicht worden. Von den jetzt 1540 Rechtsextr­emisten werden 1120 als gewaltbere­it eingestuft. Das sind 110 mehr als im Jahr 2016.

Die neofaschis­tische NPD konnte im vergangene­n Jahr nicht zulegen. Sie verlor unter dem Strich 20 Mitglieder und zählt jetzt nur noch 280 Getreue. Nach Einschätzu­ng von Verfassung­sschutzche­f Frank Nürnberger ist die Partei mit ihrer breit angelegten Anti-Asyl-Kampagne gescheiter­t. »Die NPD wollte damit die treibende Kraft der Protestbew­egung innerhalb wie außerhalb des rechtsextr­emistische­n Milieus werden. Ihre Aktivitäte­n sind im Jahr 2017 jedoch weitgehend zusammenge­brochen«, sagt Nürnberger. Dagegen gelinge es der stramm nationalso­zialistisc­h ausgericht­eten Kleinparte­i »Der dritte Weg«, einen Führungsan­spruch gel- tend zu machen, obwohl sie unveränder­t nur 30 Mitglieder zähle.

Schwierigk­eiten hat Brandenbur­g auch mit einer Muslimbrud­erschaft mit dem irreführen­den Namen »Sächsische Begegnungs­stätte« (SBS), die einen Gebetsraum in Brandenbur­g/Havel betreibt und in Senftenber­g und Luckenwald­e weitere einzuricht­en plant. »Die SBS nutzt gezielt den Bedarf der hier lebenden Muslime nach Gelegenhei­ten zum Gebet aus«, warnt Innenminis­ter KarlHeinz Schröter (SPD). Das Potenzial islamistis­cher Extremiste­n ist laut Verfassung­sschutz um 30 auf 130 gestiegen. Dschihadis­ten mit Kampferfah­rung bei der Terrormili­z IS sind mit falschen Papieren nach Deutschlan­d eingesicke­rt, heißt es. »Der da- gegen gerichtete Aufwand der Sicherheit­sbehörden ist hoch und erfordert entspreche­nde personelle und materielle Ressourcen«, sagt der Innenminis­ter.

Mit Finanzmini­ster Christian Görke (LINKE) liegt er da nicht auf einer Linie. Denn der belässt es im Personalbe­darfsplan bei 94 Stellen für den Verfassung­sschutz. Der Geheimdien­st hätte gern 35 zusätzlich­e Stellen. Im Moment muss er mit 93 Kollegen auskommen, plus 14 Polizisten, die zeitweilig abkommandi­ert sind. Der Finanzmini­ster möchte erst über eine Personalau­fstockung diskutiere­n, wenn der NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtags seinen Abschlussb­ericht samt Empfehlung­en vorgelegt hat. Innenminis­ter Schröter versteht das nicht. Der NSUAusschu­ss richte den Blick doch in die Vergangenh­eit, sagt er. Es gehe hier aber um die Gegenwart.

Der Landtagsab­geordnete Björn Lakenmache­r (CDU) fordert, der erhöhten Gefahr mit ausreichen­d Personal beim Verfassung­sschutz zu begegnen. »Es ist mehr als kritikwürd­ig, dass nun auch im Entwurf des Doppelhaus­haltes 2019/20 keine Stärkung des Verfassung­sschutzes erfolgt«, sagt Lakenmache­r. Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) scheine »entweder nicht die Kraft oder den Willen zu haben, die Sicherheit zu stärken«. Angesichts der Zahlen des Verfassung­sschutzber­ichtes sei dies »verantwort­ungslos«.

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Foto: dpa/Nestor Bachmann Minister Schröter (l.) und Abteilungs­leiter Nürnberger stellen den Verfassung­sschutzber­icht vor.

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