Unbeherrschte Imperative
Der
Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas hat die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) zu mehr Solidarität aufgerufen. Sie müsse auf gegenseitigem Vertrauen basieren und dürfe nicht von vorn herein vor allem ökonomisch bestimmt sein, erklärte Habermas bei der Verleihung des Großen DeutschFranzösischen Medienpreises am Mittwochabend in Berlin. »Heute werden die nationalen Bevölkerungen von politisch unbeherrschten, funktionalen Imperativen eines weltweiten, von unregulierten Finanzmärkten angetriebenen Kapitalismus überwältigt«, kritisierte der 89-jährige Philosoph. »Darauf kann der erschrockene Rückzug hinter nationale Grenzen nicht die richtige Antwort sein.«
Habermas erhielt den Medienpreis für sein Lebenswerk und sein Engagement für ein demokratisch verfasstes Europa. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) nannte den Preisträger in seiner Laudatio »einen der größten Intellektuellen unserer Zeit«. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron würdigte Habermas in einem Schreiben als unermüdlichen Aufklärer, dessen Stimme wichtiger und kostbarer als jemals zuvor sei »in einer Zeit, in der Europa zu zerreißen droht«.
Der Medienpreis wird jährlich an eine Persönlichkeit oder eine Organisation vergeben, die sich für die grenzüberschreitende Verständigung im europäischen Kontext einsetzt. Zu den bisherigen Preisträgern gehören unter anderen Helmut Schmidt, Valéry Giscard d’Estaing, Simone Veil und die europäische Hilfsorganisation SOS Méditerranée. Der DeutschFranzösische Journalistenpreis wurde in den Kategorien Textbeitrag, Video, Audio und Nachwuchs verliehen.