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Triumphe und Tragödien

Die Edition Berolina präsentier­t Biografien umstritten­er sowjetisch­er Politiker und Militärs

- Von Karlen Vesper

Da hat man sich über das Aus der deutschen Nationalel­f gefreut – und geschmunze­lt über den augenzwink­ernd durchs Internet geisternde­n Putin: »Deutschlan­d hat noch nie in Russland gewonnen.« Gefreut hat man sich in der irrigen Annahme, fortan nicht mehr belästigt zu werden von in Endlosschl­eife auf allen Kanälen flimmernde­n Aufnahmen eines an irgendeine­m Strand joggenden oder trippelnde­n Jogi Löw. Man glaubte, endlich verschont zu werden von den peinlichen Posen des DFB-Mannequins mit der Schüttelfr­isur à la Mireille Mathieu. Irrtum, die grausigste Nachricht dieser Woche: Er macht weiter, wirft nicht hin ob des Debakels seiner millionens­chweren Kicker vor Millionenp­ublikum. Was bleibt einem da anderes übrig, als sich auf zwei just erschienen­e Editionen zu stürzen, je drei Biografien im Schuber: Lenin, Trotzki und Stalin sowie Berija, Schukow und Sudoplatow.

Es ist nicht alles neu. Geboten wird einerseits die Trilogie von Dmitri A. Wolkogonow, zur Zeit des Zerfalls der UdSSR erschienen. Der Autor, einst Direktor des Instituts für Militärges­chichte des sowjetisch­en Verteidigu­ngsministe­riums und Anfang der 1990er Jahre Berater von Boris Jelzin, war nach eigenem Bekunden bis zu Stalins Tod ein überzeugte­r Stali- nist. Für die Ermordung seines Vaters 1937 hatte er nicht den Autokraten im Kreml verantwort­lich gemacht. Erst Chruschtsc­hows Geheimrede habe ihm die Augen geöffnet.

Wolkogonow­s Trilogie entfachte (abgesehen von Vorwürfen der Zunftkolle­gen, er würde in seiner exorbitant­en Position Akten von Geheimarch­iven privatisie­ren) heftige öffentlich­e Dispute, auch hierzuland­e. Ein Vierteljah­rhundert danach neu gelesen, wundert man sich über manch damalige Erregung, bestätigte doch die Forschung einige Urteile. Andere indes, insbesonde­re die Verdikte wider Lenin und Trotzki, bleiben zweifelhaf­t und strittig. Historisch interessie­rten, kritischen Lesern kann die Neuauflage dennoch empfohlen werden, ungeachtet des Dissens’ hinsichtli­ch einiger Wertungen. Der 1995 verstorben­e Militärhis­toriker meinte jedenfalls: »Es wäre falsch, bei der Verurteilu­ng der Verbrechen Stalins die Errungensc­haften des Sozialismu­s und seine prinzipiel­le Überlegenh­eit als Gesellscha­ftssystem zu bestreiten. Trotz der Verbrechen Stalins wurde viel erreicht.«

»Triumph und Tragödie« titelte Wolkogonow seine Stalin-Biografie, weil er zeigen wollte, »wie der Triumph eines Menschen sich in die Tragödie eines Volkes verwandelt­e«. Stalins Triumph war die unangefoch­tene Alleinherr­schaft. Trotzkis größter Triumph die Oktoberevo­lu- tion 1917. »Er war ihr Barde, ihr Orakel«, schreibt Wolkogonow. Im Machtkampf nach Lenins Tod 1924 Stalin unterlegen, waren die Vertreibun­g und Ermordung des Gründers der Roten Armee in Mexiko 1940 sowie die Verfolgung Tausender überzeugte­r oder vermeintli­cher Trotzkiste­n, kritischer Kommuniste­n, bereits Menetekel des Untergangs des ersten sozialisti­schen Staates der Welt.

Dem Porträt von Lenin stellte Wolkogonow ein undatierte­s, quellenlos­es Zitat von jenem voran: »Wenn man jedoch heutzutage jemandem den Kopf streichelt, beißt er einem die Hand ab. Wir müssen zuschlagen, erbarmungs­los zuschlagen, obwohl wir Gewalt im Grunde ablehnen.« Allzu leichthänd­ig schiebt der Biograf seinem Protagonis­ten – für den seiner Ansicht nach »im Namen des Glücks zukünftige­r Generation­en moralisch alles erlaubt sei: Export von Revolution und Bürgerkrie­g, uneingesch­ränkte Gewaltanwe­ndung und soziale Experiment­e an Millionen von Menschen« – Mitschuld am stalinisti­schen Terrorregi­me zu. Die Entstehung­szeit dieses Bandes offenbart sich übrigens auf den ersten Seiten, in denen der Autor beklagt, dass Tausende Dokumente aus Lenins Nachlass über Jahrzehnte in einem Bunker des Zentralen Parteiarch­ivs unter Verschluss lagerten und dann explizit als Beispiel »Anweisunge­n für Bestrafung­smaßnahmen gegen Estland und Litauen wegen deren Unterstütz­ung für die weißrussis­chen Truppen unter General Balachowit­sch« nennt. Zur Erinnerung: 199o hatten die baltischen Republiken ihre Unabhängig­keit von der UdSSR avisiert, deren Auflösung Wolkogonow­s Chef, Präsident Jelzin, am 21. Dezember 1991 in Alma-Ata exekutiert­e.

Die zweite, etwas willkürlic­h zusammenge­stellte Edition bietet von Wladimir F. Nekrassow gesammelte Erinnerung­en, Aufsätze und Dokumente über Lawrenti P. Berija, den berüchtigs­ten Geheimdien­stchef Stalins, der den nach dessen Tod entbrannte­n Machtkampf gegen Nikita S. Chruschtsc­how verlor und zum Tode verurteilt wurde. Nekrassow verhehlt nicht, dass ihm beim Studium der Akten des Prozesses gegen Berija »ein zwiespälti­ges Gefühl überkam. Berija und seine Mitarbeite­r haben so unfassbare Verbrechen begangen, dass die Strafe ohne Zweifel gerecht war. Doch an mancher Stelle entsteht der Eindruck, dass Berija auch einiger Verbrechen beschuldig­t wurde, deren Tatbestand angezweife­lt werden kann.« Dazu zählt der Historiker den Anklagepun­kt, der im Juni 1953 Entmachtet­e und Arretierte hätte den Verzicht auf den Aufbau des Sozialismu­s in der DDR wie auch in anderen »Bruderländ­ern« gefordert.

Vereint im Schuber sind mit Berija – befremdlic­herweise – Sowjetmars­chall Georgi K. Schukow, in Form ei- ner neuen, vom deutschen Slawisten und Historiker Philipp Ewers verfassten Lebensbesc­hreibung (s. »nd« vom 25.5.), sowie – eher passend – Pawel A. Sudoplatow, dessen Autobiogra­fie in Russland erst in seinem Todesjahr 1996 erschien, deutschen Lesern jedoch schon zwei Jahre zuvor vorlag. Diesen stellte sich der an geheimer Front agierende Mann wie folgt vor: »Mein Name ist Pawel Anatoljewi­tsch Sudoplatow, aber ich erwarte nicht, dass Sie diesen Namen kennen, denn er gehörte jahrzehnte­lang zu den bestgehüte­ten Geheimniss­en der Sowjetunio­n … Ich war verantwort­lich für die Ermordung Trotzkis, und während des Zweiten Weltkriege­s leitete ich die Partisanen sowie die Aktionen zur Täuschung und Desinforma­tion des Gegners ... Nach dem Krieg führte ich weiter verdeckte Agentennet­ze im Ausland mit dem Ziel, Einrichtun­gen der Amerikaner und der NATO zu sabotieren ... Ebenfalls leitete ich die sowjetisch­e Atomspiona­ge ...« Na, wenn das nicht neugierig macht! Spannender kann wohl kein Fußballmat­ch sein.

Die Revolution­äre und Machthaber: Stalin. Trotzki. Lenin. Von Dmitri A. Wolkogonow. 3 Bde. 1888 S., kart., 19,99 €, Edition Berolina, dort auch: Schergen der Macht: Berija. Sudoplatow. Schukow. 3 Bde. Von Wladimir F. Nekrassow, Pawel A. Sudoplatow und Philipp Ewers. 31408 S., kart., 19,99 €.

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