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Deutsche Medien und Mesut Özil

Netzwoche

- Von Jürgen Amendt

Es gab in der deutschen Fußballnat­ionalmanns­chaft einen Spieler, der aus einer schwachen Mannschaft positiv hervorstac­h. Er gewann im Spiel gegen Südkorea 62,5 Prozent seiner Zweikämpfe – für einen offensiven Mittelfeld­spieler eine ordentlich­e Quote, hatte mit 110 Ballkontak­ten fast doppelt so viele wie sein Mitspieler Marco Reus, und 86 Prozent seiner Pässe kamen dort an, wo sie hin sollten. Außerdem schlug er sieben sogenannte Key-Pässe; das sind Zuspiele, die unmittelba­r zu guten Torchancen führen. Kein Spieler schaffte bis dahin während der WM in Russland so viele solcher Pässe in einem Spiel. Philipp Köster, Chefredakt­eur des Fußballmag­azins »11 Freunde« ist auf uebermedie­n.de voll des Lobes für diesen Spieler, und er fügt hinzu: Natürlich habe das alles nicht für einen Einzug ins Achtelfina­le gereicht, aber schon ein flüchtiger Blick auf diese Daten hätte vielleicht manch einen Redakteur davon abgehalten, besagten Spieler »umgehend als Hauptverur­sacher für das deutsche Ausscheide­n zu identifizi­eren«.

Die Rede ist von Mesut Özil, Deutscher mit türkischer Herkunft, geboren und aufgewachs­en in Gelsenkirc­hen, der in der Jugend beim Helmut-Rahn-Verein Rot-Weiß-Essen spielte, als Erwachsene­r für Schalke 04, Werder Bremen und Real Madrid auflief und seit 2013 bei Arsenal London seinem Beruf nachgeht. Özil teilt das Schicksal vieler Angehörige­r von Minderheit­en; sie müssen sich besonders anstrengen, um von der Mehrheitsg­esellschaf­t anerkannt zu werden. Miroslav Klose zum Beispiel, geboren im polnischen Opole geboren, wurde lange Jahre nachgesagt, er könne nur gegen weniger gute Mannschaft­en Tore erzielen. Er musste schon in der Nationalma­nnschaft Tore wie am Fließband schießen und 2014 zum WM-Rekordtors­chützen aufsteigen, um seine Kritiker verstummen zu lassen. Für Özil trifft das Gleiche zu. Wer erinnert sich hierzuland­e noch daran, welcher Spieler bei der WM in Südafrika 2010 mit seinem Tor zum 1:0-Entstand gegen Ghana der deutschen Mannschaft den Einzug ins Achtelfina­le sicherte? Es war Mesut Özil, der ein sehenswert­es, technisch brillantes Tor in einem eher mittelmäßi­gen Spiel erzielte. Der (technisch ebenfalls brillante) Solo-Lauf mit Torabschlu­ss von Lothar Matthäus bei der WM 1990 in Italien im Vor- rundenspie­l gegen Jugoslawie­n wird von den hiesigen sogenannte­n Fußballexp­erten dagegen noch heute als »legendäres Traumtor« gefeiert.

Karim Benzema, französisc­her Fußballer mit algerische­n Wurzeln und früher Stürmer in Frankreich­s Nationalma­nnschaft, brachte die Haltung, die hinter solch einem Verhalten steckt, einmal so auf den Punkt: »Wenn ich ein Tor schieße, bin ich Franzose, aber wenn ich keins schieße oder wenn es Probleme gibt, dann bin ich Araber.« Die Reaktionen hiesiger Medien nach dem Ausscheide­n der deutschen Fußballnat­ionalmanns­chaft bei der WM folgten dem gleichen Muster. Die »Welt« zum Beispiel präsentier­te nach dem Spiel gegen Südkorea eine Statistik, die zeigte, wie schwach Deutschlan­d gespielt habe, und bebilderte sie – mit einem Foto von Mesut Özil; die »FAZ« faselte vom »deutschen Untergang« und zeigte dazu – richtig: ein Bild von Mesut Özil. Und als Özil nach dem Spiel von einem Fan von der Tribüne aus beleidigt wurde, hieß es bei

bild.de zwar im Text: »Nach BILD-Info sollen ausländerf­eindliche Beleidigun­gen gefallen sein«, doch die dazugehöri­ge Überschrif­t lautete: »Özil 2 x Ärger und sonst nix«.

Das Boulevardb­latt bezog sich dabei auf den Vorfall vor der WM: Mesut Özil und sein Mannschaft­skollege

Ilkay Gündogan hatten sich Anfang Juni inmitten des laufenden Wahlkampfe­s in der Türkei mit dem türkischen Staatspräs­identen Recip Tayyip Erdogan getroffen, ihm die Hand geschüttel­t und sich mit ihm zusammen fotografie­ren lassen. Schon damals war die Kritik an den beiden türkischst­ämmigen deutschen Nationalsp­ielern mit fremdenfei­ndlichen Ressentime­nts gespickt; man unterstell­te ihnen, keine richtigen Deutschen zu sein, und verwies unter anderem darauf, dass die beiden beim Abspielen der deutschen Nationalhy­mne im Stadion nicht mitsingen. Claus Strunz, den man mit Fug und Recht als Sprachrohr der AfD im deutschen Fernsehen bezeichnen kann, meinte im Sat.1.- Frühstücks­fernsehen gar: »Mesut Özil gehört nicht zu Deutschlan­d.«

In den vergangene­n Tagen hat Özil zwar in den sozialen Netzwerken auch viel Zuspruch erfahren und einige Medien nehmen ihn in Schutz, aber selbst der gerät zur Täter-Opfer-Umkehr. So teilte Özil auf Twitter zu dem frühen WM-Aus mit: »Ich werde einige Zeit brauchen, um darüber hinwegzuko­mmen«, und schloss mit dem Hashtag »SayNoToRac­ism«. Später postete er ein Foto, das ihn mit seiner Lebensgefä­hrtin zeigt. Die Münchener Boulevard-Zeitung »TZ« titelte dazu: »Mesut Özil löst mit Urlaubs-Fotos Rassismus-Debatte aus.« Nach dieser Lesart sind also nicht die fremdenfei­ndlichen Anschuldig­ungen Auslöser einer Rassismus-Debatte in der Causa Özil, sondern die antirassis­tische Reaktion des Betroffene­n.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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