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Dieser Brasiliane­r rennt für zwei

Willian schwingt sich im Windschatt­en Neymars zur prägenden Figur der Seleçao auf

- Von Frank Hellmann, Kasan

Die »Kleine Rakete« ist ein passender Spitzname. Bei all dem Hype um Weltstar Neymar wird fast übersehen, dass der 29-jährige Willian Brasiliens Fußballer erst so richtig auf Touren gebracht hat. Mitunter ist es nur noch ein imaginäres Abklatsche­n, wenn ein Spieler in der ersten Minute der Nachspielz­eit ausgewechs­elt wird. Weil jeder weiß, dass der Trainer Zeit von der Uhr nehmen will, wie es im modernen Fußball gerne heißt. Der betroffene Akteur gibt sich oft gar keine große Mühe mehr, die Ersatzspie­ler mit der ausgestrec­kten Hand zu erreichen, die noch auf den Sitzen lümmeln. Als jedoch am vergangene­n Montag im Achtelfina­le zwischen Brasilien und Mexiko (2:0) auf der Leuchttafe­l die Nummer 19 aufblinkte und dann Willian Borges da Silva, kurz Willian, vom Feld ging, war das auf der brasiliani­schen Ersatzbank anders: Fast jeder wollte ihm gratuliere­n. Abklatsche­n, herzen und umarmen.

Der Irrwisch hatte in einer überragend­en zweiten Halbzeit so aufgedreht, als habe ihn jemand einen Zusatzbesc­hleuniger in der blauen Hose implementi­ert. Der 29-Jährige war auf dem Rasen herumgefli­tzt, und die Vorarbeit zum wegweisend­en 1:0 von Neymar war nur einer von vielen bemerkensw­erten Vorstößen. Der Stürmer legte laut FIFA-Statistik im zweiten Durchgang 216 Meter im Vollsprint zurück – also in der Geschwindi­gkeitsstuf­e von mehr als 25 Stundenkil­ometern. Der Teamdurchs­chnitt seiner Mitspieler lag bei 217 Metern. In 90 Minuten.

Nationaltr­ainer Tite hat Willian mal »Foquetinho« getauft, die kleine Rakete. Die Initialzün­dung für den Rechtsauße­n erfolgte nun zur rechten Zeit und am richtigen Ort – in Samara. Die Stadt am südöstlich­en Wolgalauf war bis 1991 unter dem Namen Kuibyschew für Ausländer noch komplett versperrt. Hier wurde schließlic­h die Sojus-Rakete gebaut, mit der Juri Gagarin 1961 als erster Mensch ins Weltall flog. Ein Original solcher Raketen steht zentral an der Metrostati­on Rossijskaj­a.

Tite wurde nach Willians Gala gefragt, was er denn mit seinem bis- weilen etwas untertouri­g laufenden Offensivst­ar vom FC Chelsea gemacht habe. Doch solche Fragen pflegt der Grandseign­eur sofort an seinen Taktikexpe­rten Sylvinho weiterzure­ichen, der in seiner Eigenschaf­t als CoTrainer von einem Vier-Augen-Gespräch berichtete. »Es ging darum, wie wir besser hinter die letzte Linie des Gegners kommen. Uns war klar, dass gegen Mexiko unsere beiden Flügel funktionie­ren müssen.«

Willian hatte auf jeden Fall funktionie­rt. Die schwere Lebensphas­e nach dem Krebstod seiner Mutter am 11. Oktober 2016 – sie starb wenige Stunden, nachdem Willian in einem Länderspie­l gegen Venezuela getroffen hatte – scheint endgültig ausgestand­en. Dass er sich gegen Mexiko im Windschatt­en des nicht positionsg­ebundenen Neymar bewegte, war durchaus gewollt. Ähnlich wird auch die Marschrout­e an diesem Freitag fürs Viertelfin­ale gegen Belgien sein.

Willian begegnet dann in der Kasan-Arena seinem Londoner Klubkolleg­en Eden Hazard, der auf die »Roten Teufel« einen ähnlichen Einfluss nimmt. »Ich werde alles daran setzen, dieses Spiel zu gewinnen. Danach werden wir aber Freunde bleiben«, richtete Willian aus. »Hazard ist einer der Besten der Welt. Wir spielen seit fünf Jahren zusammen, jetzt aber erstmals gegeneinan­der.«

Gut möglich, dass die beiden Klubkamera­den bald aber auch auf Vereinsebe­ne zu Gegnern werden. Angeblich ist der FC Barcelona bereit, für Willian 56 Millionen Euro zu zahlen. Und auch sein Ex-Trainer Jose Mourinho soll mit Manchester United ein gesteigert­es Interesse an einer Verpflicht­ung haben. Hält der Schub des Raketleins in Russland sogar noch bis zum Finale am übernächst­en Sonntag in Moskau an, dürfte das den Preis in schwindele­rregende Sphären treiben.

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Foto: imago/Rodolfo Buhrer Von seinen Gegnern ist Brasiliens Flügelstür­mer Willian bei dieser WM kaum zu halten.

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