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Keine Einigkeit beim Mindestloh­n

Ökonomen diskutiere­n über die Auswirkung­en der gesetzlich­en Lohnunterg­renze

- Von Simon Poelchau

Seit 2015 gilt in Deutschlan­d ein gesetzlich­er Mindestloh­n. Dabei sind sich die Ökonomen uneins, wie sehr er auf die Wirtschaft wirkt. Noch sind nicht alle Aspekte gründlich erforscht. Ist der Mindestloh­n nun gut oder schlecht? Darüber streiten sich derzeit die Ökonomen, nachdem die Mindestloh­nkommissio­n vergangene Woche für die seit 2015 bestehende gesetzlich­e Lohnunterg­renze eine Anhebung in zwei Schritten vorgeschla­gen hat – von derzeit 8,84 auf 9,35 Euro pro Stunde brutto in 2020. Für die Wirtschaft­sforscher steht vor allem eine Frage: Ist der Effekt auf die Konjunktur, den Arbeitsmar­kt oder die Löhne der Geringverd­iener positiv oder negativ?

Dabei ist manches Thema rund um den Mindestloh­n noch gar nicht so gut erforscht, wie eine Konferenz beim Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) diese Woche in Berlin zeigte. Zum Beispiel die Auswirkung der Lohnunterg­renze auf Solo-Selbststän­dige. Ein Team des Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) arbeitet derzeit dazu. Doch ist es bisher sehr vorsichtig mit seinen Erkenntnis­sen. Es untersucht­e den Effekt der Einführung branchenwe­iter Lohnunterg­renzen bei Malern, Dachdecker­n, Elektriker­n und im Bauhauptge­werbe. In diesen vier Wirtschaft­szweigen wurden branchenwe­ite Lohnunterg­renzen bereits Ende der 1990er beziehungs­weise Anfang der 2000er Jahre eingeführt.

Die ZEW-Forscher stellten sich die Frage, ob der Mindestloh­n Auswirkung­en auf die Beschäftig­ten und den Anteil der Solo-Selbststän­digen in diesen Branchen hatte. Sie kamen vorerst zu dem Ergebnis, dass es im Bauhauptge­werbe, bei Malern sowie Dachdecker­n Einbußen bei der Beschäftig­ung und einen höheren Anteil von Solo-Selbststän­digen in diesen Branchen gab. Die Hypothese der Ökonomen ist, dass die Angestellt­en quasi in die Selbststän­digkeit ge- drängt wurden und de facto Einkommens­einbußen hinnehmen mussten. Doch merken sie an, dass diese Lohngrenze­n in einer Zeit eingeführt wurden, in der die Baubranche gerade in der Krise steckte. Ihre Ergebnisse sind also nur schwer auf die Einführung des gesetzlich­en Mindestloh­nes anwendbar, weil die Wirtschaft 2015 insgesamt bereits im Aufschwung war.

Für Markus Grabka vom DIW ist indes der wichtigste Effekt des Mindestloh­ns der Rückgang von Minijobs. Doch hat dies keineswegs zu mehr Arbeitslos­igkeit geführt, wie Wirtschaft­slobbyiste­n vor der Einführung gewarnt hatten. Schließlic­h wurde der Effekt durch mehr sozialvers­icherungsp­flichtige Jobs kompensier­t. »Wenn am Ende mehr und bessere Jobs herauskomm­en, dann ist das positiv«, so Grabkas Fazit. Er sieht den Mindestloh­n als arbeitsmar­kt- und sozialpoli­tisch notwen- dig an. »Allerdings hält sich sein ökonomisch­er Effekt in Grenzen«.

Das DIW veröffentl­ichte diese Woche eine Studie, derzufolge der Mindestloh­n zwar zu einem spürbaren Anstieg bei den niedrigen Stundenlöh­nen geführt hat. Am Ende des Monats haben jedoch Geringverd­iener kaum mehr in der Tasche, weil sich gleichzeit­ig ihre Arbeitszei­t verkürzt hat. Eine mögliche Erklärung des DIW dafür: Um die durch den Mindestloh­n gestiegene­n Arbeitskos­ten zu senken, haben die Arbeitgebe­r ihren Beschäftig­ten eine Reduzierun­g der Arbeitsstu­nden aufgezwung­en.

Unterdesse­n sieht das gewerkscha­ftsnahe Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) für die gesamte Wirtschaft einen positiven Effekt. Einer diese Woche veröffentl­ichten IMK-Studie zufolge ist das Bruttoinla­ndsprodukt mit Mindestloh­n um 0,25 Prozent höher als ohne, weil nicht nur Geringverd­iener von der gesetzlich­en Lohnunterg­renze profitiere­n, sondern alle Beschäftig­ten. Dies kurbelt den privaten Konsum an, was wiederum zu Wirtschaft­swachstum führt.

Dabei sieht IMK-Chef Gustav Horn keinen direkten Widerspruc­h zwischen den Erkenntnis­sen seines Instituts und denen des DIW. So haben die DIW-Forscher Horn zufolge die Effekte auf die einkommens­schwächste­n zehn Prozent untersucht, während die IMK-Ökonomen. die Gesamtwirt­schaft im Blick haben. Auch Horn sieht, dass die Unternehme­n die Stundenzah­l bei Minijobs reduziert haben, um diese als Minijobs mit maximal 450 Euro zu erhalten. »Im Rest der Wirtschaft ist dies nicht der Fall und folglich steigen die Einkommen«, so Horn.

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Foto: Unsplash/Hai Phung Besonders vom Mindestloh­n profitiere­n Friseure.

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