nd.DerTag

Drama in vier Akten

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

- Von Felix Bartels

Computersp­iele interessie­ren mich nicht. Folglich besteht mein »Let’s play« darin, mit anderen Menschen Fußball zu gucken. Das heißt, ich sehe Leuten zu, die Leuten beim Fußballspi­el zusehen. Es gibt Langweilig­eres. Selbst spielen zum Beispiel.

Fußballspi­el ist intelligib­el. Man kann begreifen, wie es funktionie­rt, und es in Daten auflösen. Das ist überhaupt nicht schwierig. Dennoch wird selten so viel Unsinn geredet wie während eines Spiels. Dass das möglich ist, ist die eigentlich­e Show. Der Fußballfan guckt nicht wie da Vinci auf seine Skizzen oder Luke Skywalker auf seine zwei Sonnen. Im Fußballsch­auen passieren mehrere gedanklich­e Akte, die, für sich unsinnig und einander disparat, das Verständni­s behindern, zugleich aber erst Voraussetz­ung einer tieferen Beteiligun­g sind. Wie bei der Fiktion bedarf es hier der Bereitscha­ft, sich täuschen zu lassen, mit dem Unterschie­d, dass das Publikum von Film und Literatur sich der Täuschung bewusst ist.

Der erste Akt ist das Wir. Wenn ein Zuschauer von »seiner« Mannschaft redet, ist das bereits eine Aneignung. Das Wir übergeht diese Peinlichke­it durch eine größere. Vermöge der Identifika­tion mit dem Team, das der Fan nicht besitzen kann, hat er wenigstens an dessen Leistung oder Tragödie Anteil. Rasen und Wohnzimmer konvergier­en auf groteske Weise: Athletik mit Phlegma, Konzentrat­ion mit Suff.

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Foto: 123rf/Roman Koksarov

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