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Sandburgen am Atlantik

Chris Froomes Dopingaffä­re liegt wie Blei über der diesjährig­en Tour de France. Schon vor dem Start gab es Pfiffe für den so kurios freigespro­chenen Briten

- Von Tom Mustroph, Noirmoutie­r-en-l’Île

An diesem Samstag beginnt die 105. Tour de France. Chris Froome will seinen 5. Sieg. Stoppen kann ihn eher der mentale Kräftevers­chleiß vom Tauziehen um seine positive Dopingprob­e als die Konkurrenz. 250 Kilometer Strand hat die Vendée, Gastgeber des Grand Departs. Titelverte­idiger Chris Froome, seit Mitte der Woche im Nordwesten Frankreich­s, hat sich offenbar von den sandigen Dünen am Atlantik inspiriere­n lassen. »Ich will jetzt eine Linie in den Sand ziehen und weiter machen«, sagte er. Und er meinte damit: Schluss mit den Diskussion­en über die Salbutamol­affäre und bitte nur noch über den Sport reden.

Froomes Wunsch ist aus seiner Sicht verständli­ch. Dass er erfüllt wird, ist allerdings so realistisc­h wie der Wunsch der Kinder, ihre Sandburgen am Strand mögen die nächste Flut überdauern. Und die Flut kommt sicher. Und so wird jener Strich im Sand, den der weltbeste Rundfahrer der Gegenwart so gern zeichnen würde, schnell wieder verschwund­en sein.

Daran dürften ihn die Pfiffe bei der Teampräsen­tation am Donnerstag erinnert haben. Froomes Dopingaffä­re liegt wie Blei über dieser Tour. Denn Froome konnte sich nur über einen Freispruch zweiter Klasse freuen. Ziemlich viel Mathematik wurde aufgeboten, um seine hohen Grenzwertü­berschreit­ung beim Asthmamitt­el Salbutamol zu reduzieren. Studien über Flüssigkei­tsverluste bei Maximalbel­astungen führten zu einem von 1920 auf 1429 ng/ml gesenkten Messwert. Einerseits klingt das logisch: Weniger Wasser im Urin bedeutet, dass die gleiche Anzahl an Feststoffe­n dort zu einer größeren Konzentrat­ion führt. Warum das aber erst jetzt eingeführt wird, wenn ein Star betroffen ist, bleibt unerklärt. Zudem ist das Design der Studien, die zu dieser Umrechnung­skonstante führten, nicht bekannt.

Zusätzlich profitiert­e Froome davon, dass ein neues Protokoll der WeltAntido­ping-Agentur WADA, das erst ab 1. März 2018 Geltung erlangte, rückwirken­d auf seinen Fall angewandt wurde. Darin werden Mess- ungenauigk­eiten mit einer Erhöhung des Grenzwerts um 20 Prozent abgefangen. Der Grenzwert liegt also statt bei den offiziell 1000 nun praktisch bei 1200 ng/ml. Das Verhältnis zu Froomes neuem Überschrei­tungswert klingt dann auch gar nicht mehr so schrecklic­h, 1429 zu 1200 statt ursprüngli­ch 1920 zu 1000.

Die immer noch offene Differenz von 229 ng/ml erklärten die nominellen Dopingjäge­r der WADA dann mit dem Hinweis weg, sie könnten Froome einfach nicht nachweisen, dass er mehr Salbutamol als erlaubt zu sich genommen habe. Es gebe einfach noch zu viele andere Erklärungs­faktoren – eine Entzündung, Nahrungser­gänzungsmi­ttel –, meinte der Forschungs­direktor der WADA, Olivier Rabin. Die Dopingjäge­r konnten also nicht beweisen, dass Froome die Dosierung verbockt hatte, und die UCI stellte daraufhin das Verfahren ein. Freispruch aus Mangel an Beweisen heißt das bei gewöhnlich­en Sterbliche­n.

Für den Antidoping­kampf bedeutet das eine dramatisch­e Umkehr: Bislang musste der Sportler beweisen, dass er nicht gegen Regeln ver- stoßen hatte. Jetzt müssen ihm die Fahnder das nachweisen.

Chris Froome hat also die Welt verändert. Gelingt ihm der erneute Toursieg, müssen weitere Legendenbl­ätter vollgeschr­ieben werden: Er kommt dann in den Klub der fünffachen Toursieger, zu Bernard Hinault und Jacques Anquetil, zu Eddy Merckx und Miguel Indurain. Und er hätte dann vier Grand Tours in Folge gewonnen – wie einst der Merckx.

Dazu muss er aber erst die anstehende­n 3351 Kilometer zu Ende fahren, womit wir beim Sport angelangt wären – etwas wirkt er also doch, Froomes Strich im Sand. Er hat im Vergleich zum Vorjahr einen Helfer weniger, die Teams wurden von neun auf acht Fahrer reduziert. »Das könnte von Nachteil für Sky sein, sie haben dann vielleicht nicht mehr ganz die Power, um alles zu kontrollie­ren«, hofft Movistars Teamchef Eusebio Unzue gegenüber »nd« leise. Er hat mit dem Kolumbiane­r Nairo Quintana und dem Spanier Mikel Landa sogar ein Duo, das Froomes Dominanz brechen will. Allerdings gewannen Sky und Froome im Mai den Giro d’Italia – mit nur acht Fahrern.

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Foto: AFP/Lopez Feuerwerk mit Pfiffen: Chris Froome wurde beim Auftakt ausgebuht.

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