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Verkehrswe­ndekonzept

Berliner Fahrradakt­ivisten machen Druck mit fertigen Plänen.

- Von Nicolas Šustr

Mit dem Mobilitäts­gesetz haben die Aktivisten des Radentsche­ids nur ein Etappenzie­l erreicht. Nun sorgen sie in den Bezirken mit konstrukti­ven Vorschläge­n für eine möglichst schnelle Umsetzung.

»Das geht uns alles viel zu langsam, deswegen müssen wir das in die Hand nehmen«, sagt Stefan Lehmkühler. Er ist einer der Koordinato­ren des »Netzwerks Fahrradfre­undliche Mitte«, das im Oktober vergangene­n Jahres gegründet wurde. In fast jedem Bezirk hat sich ein solches Netzwerk formiert, um Druck auf die Politik zu machen, damit die im Mobilitäts­gesetz verankerte­n Ziele tatsächlic­h umgesetzt werden.

»Wir organisier­en keine großen Demos, sondern gehen direkt mit fachlicher Expertise heran und machen Verbesseru­ngsvorschl­äge«, erklärt Lehmkühler. Er selbst ist studierter Verkehrspl­aner, wie so viele unter den mehreren Dutzend Mitstreite­rn, arbeitet derzeit aber in der IT-Abteilung einer Bank. Und ist in Berlin hauptsächl­ich mit Öffentlich­en Verkehrsmi­tteln unterwegs, nicht mit dem Fahrrad. »Das ist für meine Wege praktische­r«, so Lehmkühler. »Alle Netzwerke haben verstanden, dass der Fokus zwar auf dem Fahrradver­kehr liegt, es im Endeffekt aber um die Wiedergewi­nnung des öf- fentlichen Raums geht«, sagt der Ingenieur.

Das erste konkrete Projekt im Bezirk war der öffentlich­e Aufruf, notwendige Standorte für Fahrradpar­kplätze zu benennen. »Wir haben auf unseren Internetse­iten ein Formular dafür erstellt und das Bezirksamt Mitte gebeten, darauf hinzuweise­n«, berichtet Lehmkühler. »Wir selbst prüfen die Vorschläge auf ihre Qualität und übergeben die bereinigte­n Meldungen an den Bezirk«, erklärt er die Vorgehensw­eise. Damit unterstütz­e man den Bezirk, die letztliche Verwaltung­sentscheid­ung sei davon je- doch unberührt. Meist geht es um eine Handvoll Abstellmög­lichkeiten, am Hauptbahnh­of werden jedoch 1000 zusätzlich­e Fahrradbüg­el gefordert. Die ersten 25 Standorte von zunächst 125 gemeldeten seien inzwischen realisiert. »Wir bauen die Autoparkpl­ätze übrigens nicht ab, sondern widmen sie zu Fahrradste­llplätzen um«, so Lehmkühler­s Sprachrege­lung. Bis zu zwölf Räder können dort abgestellt werden, wo bisher nur ein Auto Platz fand.

»Auch bei der Radwegepla­nung haben wir lange genug zugehört, jetzt machen wir eigene Beiträge«, sagt Lehmkühler. So auf der Linienstra­ße, die schon vor einem Jahrzehnt als Alternativ­e zur Autohölle Torstraße zur Fahrradstr­aße umgewidmet wurde. Bisher gilt dort »Rechts vor Links«, das Netzwerk hat eine Planung als Vorfahrtst­raße ausgearbei­tet, wie es auch die Richtlinie­n der Forschungs­gesellscha­ft für Straßen- und Verkehrswe­sen vorsehen. Eine breite grüne Linie entlang der Straße soll die Verkehrste­ilnehmer auf die Sonderstel­lung von Radlern aufmerksam machen. Im Januar stimmte die Bezirksver­ordnetenve­rsammlung (BVV) Mitte schließlic­h für das Vorhaben. Eine Entscheidu­ng mit Vorbildcha­rakter. »Wenn es in Mitte möglich ist, muss es in allen anderen Bezirken auch gehen«, erklärt Lehmkühler. Letztlich geht es dem Netzwerk darum, Vorbildlös­ungen für die ganze Stadt zu entwickeln.

Das ist auch der Fall bei dem Entwurf für die Neuaufteil­ung der Leipziger Straße. Statt wie üblich in der Mitte sollen die beiden Gleise der geplanten Straßenbah­n jeweils an den Fahrbahnrä­ndern neben den neuen Radwegen verlaufen und eine Autospur pro Richtung wegfallen. »Damit erhöht sich die Kapazität der Straße deutlich«, erklärt Lehmkühler. Kaum ein Verkehrstr­äger sei nämlich so ineffizien­t wie das Auto. Bei einem durchschni­ttlichen Besetzungs­grad von 1,1 Personen pro Fahrzeug kommen auf einer 3,50 Meter breiten Autospur nur 2200 Personen pro Stunde vorwärts. Pro Richtung erhöht sich die Kapazität mit der neuen Verteilung um rund 7000 Personen stündlich.

Eine Autospur soll nach Plänen des Netzwerks auch in der Amrumer Straße im Wedding wegfallen, um einen geschützte­n Fahrradstr­eifen auf der Nordwestse­ite anlegen zu können. Inzwischen haben die Fraktionen von SPD und Grünen in der BVV den Vorschlag als Antrag eingebrach­t, im August soll er im Verkehrsau­sschuss behandelt werden. »Wenn das umgesetzt wird, beweist es, dass in Hauptstraß­en, die von bis zu 18 000 Autos pro Tag genutzt werden, ein Fahrsteife­n wegfallen kann«, sagt Lehmkühler. Inzwischen arbeite man an der Erstellung des Konzepts für den Radverkehr­splan. Die Senatsverk­ehrsverwal­tung plant die Vorlage erst in zwei Jahren.

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Grafik: Netzwerk Fahrradfre­undliche Mitte Der Ersatz einer Autospur in der Leipziger Straße durch Radweg und Tramstreck­e würde mehr Transportk­apazität schaffen.

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