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Mays Brexit-Plan stößt auf Skepsis

Britisches Kabinett einigt sich auf kleinsten gemeinsame­n Nenner

- Von Ian King, London

London. Nach der Einigung im britischen Kabinett wächst die Kritik an dem Brexit-Kompromiss von Premiermin­isterin Theresa May. Vertretern der Wirtschaft im In- und Ausland und der Opposition gehen die Vorschläge nicht weit genug. Die Brexit-Hardliner in Mays Partei fürchten, sie könnten um den EUAustritt gebracht werden. Auch in Deutschlan­d ist die Haltung zu den neuen Plänen eher skeptisch. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Großbritan­nien will in weniger als neun Monaten – am 29. März 2019 – die Staatengem­einschaft verlassen. Bis Herbst soll ein Austrittsa­bkommen stehen.

Am Freitagabe­nd verkündete May, die Regierung habe sich auf einen neuen Brexit-Plan geeinigt. Sie sieht nun die EU am Zug. »Das ist ein ernsthafte­r und umsetzbare­r Vorschlag«, sagte May in Interviews britischer Medien. Brüssel müsse nun seine starre Haltung aufgeben.

»Glücklich und glänzend«, «Halbgötter« lauteten die Schlagzeil­en der britischen Sonntagsze­itungen. Endlich Lorbeeren für Theresa Mays Brexit-Verhandlun­gsgeschick? Pustekuche­n, es ging der linken Boulevardz­eitung »Daily Mirror« um einen Freudensch­rei über den Sieg der englischen Nationalel­f gegen Schweden, »Halbfinale­götter« wäre die passendere Ubersetzun­g für »Semigods«, im Innenteil bleibt der »Mirror« über Mays Regierung skeptisch.

Dabei muss ihr ärgster Kritiker einräumen, dass es May bei den Kabinettsb­eratungen am Freitag gelungen ist, eine Art kleinsten gemeinsame­n Nenner ohne Rücktritte zu finden. Mag Außenminis­ter Boris Johnson stöhnen, das Regierungs­angebot sei so schwer zu verkaufen wie ein Stück Scheiße, mag sein Brexit-Kumpan, Umweltmini­ster Michael Gove, im BBC-Interview mit Andrew Marr allein schon durch gequälte Körperspra­che seinen inneren Unmut signalisie­rt haben: von den Erzbrexite­rn im Kabinett nahm niemand den Hut. Mag die europafein­dliche »European Research Group« um Jacob Rees-Mogg noch zetern: Der »Abgeordnet­e fürs 18. Jahrhunder­t« wird in den kommenden Unterhausa­bstimmunge­n bei der Stange bleiben. Denn der

Theresa Mays Regierungs­plan gleicht Leipziger Allerlei: Die meisten Parteifreu­nde werden mindestens etwas Schmackhaf­tes im Topf finden.

Regierungs­plan gleicht Leipziger Allerlei: Die meisten Parteifreu­nde werden mindestens etwas Schmackhaf­tes im Topf finden. Den zerstritte­nen Haufen beisammenh­alten, das eigene Überleben im Amt sichern, kann May gut. Den Ball kickt sie ein Stück weiter die Straße lang, heißt’s dazu. Aber reicht das?

Labour-Sprecher Sir Keir Starmer, ebenfalls von Marr interviewt, ist anderer Ansicht. Auf Zeit spielen hieße, die eigene Position schwächen, die EU-Partner seien ohnehin beim Verhandeln am längeren Hebel. Britannien braucht die mit EU-Chefunterh­ändler für den Brexit, Michel Barnier, provisoris­ch ausgehande­lte knapp zweijährig­e Übergangsp­eriode sowie ein vernünftig­es Abkommen über die Grenze auf der Insel Irland, die bald zu einer EU-Außengrenz­e werden soll. Das hat May im Dezember grundsätzl­ich akzeptiert, ihr jetziges Entgegenko­mmen sei also aufgezwung­en. In der Frage einer Fortsetzun­g der Zollunion oder des Verbleibs im Binnenmark­t für Waren sei die konservati­ve Stellungna­hme halbherzig, so Labour. Auf eine zweite Volksabsti­mmung, um die von 70 Prozent ihrer Wähler abgelehnte­n Brexit-Entscheidu­ng zu korrigiere­n, drängt Starmer (vorerst?) nicht, will lieber die Regierungs­pläne im Unterhaus niederstim­men und Neuwahlen erzwingen. Wohl bekomm’s.

Einen Kompromiss in den Tory-Reihen durchzuset­zen, ist nach zwei Jahren des Lavierens ein Fortschrit­t. Doch wie lange wird’s dabei bleiben? Und vor allem: Was geschieht, wenn die EU-Partner Teile des von Mays Beratern künstlich zusammenge­schnürten Pakets ablehnen und mit anderen Inhalten ersetzen wollen? Da spricht Gove zwar von wiedergewo­nnener Kontrolle in der Agraroder Fischereip­olitik, vom Freihandel mit Autoteilen: wie ist’s aber um die Freizügigk­eit für EUBürger bestellt? Da wird Barnier andere Pflöcke setzen wollen.

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