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Rebecca Harms gibt auf

Nach zahlreiche­n Konflikten mit ihren Fraktionsk­ollegen im Europaparl­ament tritt die Grünen-Politikeri­n nicht noch einmal an

- Von Aert van Riel

In ihrer Grünen-Fraktion hat sich die frühere Vorsitzend­e Rebecca Harms offenbar nicht viele Freunde gemacht. Den Kurs in der Handels-, Militär- und Flüchtling­spolitik will sie nicht mehr mittragen. Die frühere Fraktionsc­hefin der Grünen im Europaparl­ament, Rebecca Harms, wird bei der Wahl im kommenden Jahr nicht erneut kandidiere­n. In einer Erklärung auf ihrer Website teilte die 61-Jährige in der vergangene­n Woche mit, dass dieser Schritt »nicht zuerst mit den deutschen Grünen zu tun« habe. Harms ist vielmehr unzufriede­n mit der politische­n Ausrichtun­g ihrer Fraktion im Europaparl­ament. Differenze­n zwischen ihr und ihren Kollegen bestehen insbesonde­re in der Sicherheit­sund Militärpol­itik, der Handelspol­itik und in der Flüchtling­spolitik.

Im Kurznachri­chtendiens­t Twitter teilte Harms, die seit bald 15 Jahren im Parlament sitzt, mit, nicht gegen das transatlan­tische Freihandel­sabkommen CETA zwischen der EU und Kanada gestimmt zu haben. »Handelspol­itik ist eine Grundlage der EU«, schrieb die aus Niedersach­sen stammende Politikeri­n. Andere Grüne hatten hingegen kritisiert, dass durch Abkommen wie CETA der Druck zur Privatisie­rung öffentlich­er Dienstleis­tungen steige. Außerdem würden oft Umwelt-, Verbrauche­r- oder Sozialstan­dards zu Hürden für den Handel erklärt und deswegen weiter ausgehöhlt.

In der Asylpoliti­k hatte Harms das Abkommen der Europäisch­en Union mit der Türkei verteidigt, wie die »Süddeutsch­e Zeitung« schrieb. Zudem habe sie gefordert, ähnliche Verträge mit anderen Transit- und Herkunftsl­ändern abzuschlie­ßen. Linke Grüne wie die frühere Parteichef­in Simone Peter hatten den EU-TürkeiDeal hingegen als Sinnbild für die verfehlte Abschottun­gspolitik der europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs bezeichnet.

Harms gilt auch als eine Unterstütz­erin der NATO-Aufrüstung gegen Russland. Die Präsenz des Kriegsbünd­nisses im Baltikum an der Grenze zu Russland hatte sie be- grüßt. »Es geht hier nicht um eine aggressive Strategie, sondern es geht darum, bereit zu sein, sich zu verteidige­n«, hatte Harms einmal in einem Gespräch mit dem Deutschlan­dfunk behauptet. Für Grüne, die in der internatio­nalen Politik auf Entspannun­g und Diplomatie setzen wollen, war dies ein Affront.

Euphorisch hatte Harms auf den politische­n Umsturz in der Ukraine 2014 reagiert. Bei der Auswahl von Verbündete­n in dem osteuropäi­schen Land war sie nicht wählerisch. Zeitweise hatte Harms den in Teilen der ukrainisch­en Öffentlich­keit verbreitet­en Kult um die Soldatin Nadija Sawtschenk­o mitgemacht, die in russischer Haft saß und im Mai 2016 im Austausch gegen zwei russische Gefangene freigelass­en wurde.

Sawtschenk­o hatte während des Kriegs in der Ostukraine im Freiwillig­enbataillo­n Ajdar gekämpft. Die ARD hatte berichtet, dass zu dem Bataillon »rechtsgeri­chtete ukrainisch­e Nationalis­ten gehören, von denen sich einige mit Hakenkreuz­en und anderen Nazi-Symbolen schmücken, als Abzeichen auf der Tarnkleidu­ng oder als Tätowierun­g auf dem Körper. Die Anführer und viele Mitglieder sind bekennende Neonazis und Mitglieder von rechtsextr­emen Gruppen.« Trotzdem hatte Harms nach der Freilassun­g von Sawtschenk­o verkündet, sie wolle sie möglichst bald in Kiew treffen.

Wegen des Streits um die Ausrichtun­g der Grünen in der EU hatte Harms bereits im Herbst 2016 ihr Amt als Fraktionsv­orsitzende abgegeben. Ihre Nachfolger­in wurde die in der Partei links stehende Ska Keller, die seitdem gemeinsam mit dem Belgier Philippe Lamberts die Fraktion führt. Aus der Fraktion hieß es, dass die Unterstütz­er von Harms vor allem aus skandinavi­schen Ländern kommen. In anderen Staaten stehen die Grünen weiter links.

So mancher Parteilink­e wird sicherlich nicht allzu erschütter­t sein, dass Harms nun aufgibt. Bei den Realos erfährt sie hingegen viel Unterstütz­ung. »Danke für alles, was Du für Europa und für die Ökologie geleistet hast! So viel und so viel Gutes! Als ehemalige Abgeordnet­e unter Deiner guten Führung kann ich nur sagen: Du wirst im Europaparl­ament fehlen und bitte bleibe uns erhalten und stelle uns die unangenehm­en Fragen«, schrieb die Bundestags­abgeordnet­e Franziska Brantner auf Twitter. Ihre Fraktionsk­ollegin Claudia Müller bedauerte ebenfalls den Abschied von Harms. »Vielen Dank für Deine Arbeit, Deine laute Stimme gegen Atomkraft, für Frieden und für Osteuropa hier und in Europa«, schrieb sie.

Ganz verstummen wird diese Stimme sicherlich nicht. »Natürlich werde ich mich mit meinen Ideen und nach meinen Möglichkei­ten weiter in Deutschlan­d in die Debatte zur Zukunft der EU einbringen«, kündigte Harms an.

So mancher Parteilink­e wird sicherlich nicht allzu erschütter­t sein, dass Harms nun aufhört.

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