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Damit der Wind dreht

Bootsbauer Philipp Hahn fährt auf der »Sea-Watch« und ist überzeugt: Die zivile Seenotrett­ung kann weitermach­en

- Von Josephine Schulz

Sein Schiff auf Malta festgesetz­t, private Seenotrett­er wie er als Kriminelle verfolgt: Philipp Hahn glaubt dennoch fest an seine Mission und die menschlich­e Seite der Zivilgesel­lschaft. Die Rettungswe­sten, die von Tausenden Demonstrie­renden am Samstag als Zeichen der Solidaritä­t mit Geflüchtet­en durch das Regierungs­viertel getragen werden, sind keine Attrappen. Schon bald sollen sie im Mittelmeer wieder zum Einsatz kommen. »Deshalb gebt sie bitte nachher wieder zurück. Jede einzelne rettet Leben«, ruft Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer in die Menge.

Wenige Meter von ihm entfernt steht Phillipp Hahn. Ihm muss niemand erzählen, welche Bedeutung jede einzelne Weste haben kann. Auch die Berichte von Geretteten und Crew-Mitglieder­n des Schiffes »Aquarius«, die wenige Meter vom Bundestag entfernt vorgelesen werden und den Demonstrat­ionszug zum Schweigen bringen, könnten gut seine eigenen sein. Seit 2015 ist Philipp bei Sea-Watch dabei und damit schon fast ein Urgestein der privaten Seenotrett­ung. Er hat die zahlreiche­n Fluchten nach Lesbos miterlebt, noch bevor der Türkeideal die Route im östlichen Mittelmeer blockierte, die Situation auf Lampedusa und die Aggression­en der libyschen Küstenwach­e. Berlin ist für ihn nur ein kurzer Stopp. In wenigen Wochen will er auf der »Sea-Watch III«, dem derzeitige­n Einsatzsch­iff, sein.

Momentan allerdings wird das Schiff auf Malta am Auslaufen gehindert, obwohl die Crew einsatzber­eit ist und die Anzahl der Ertrinkend­en vor der libyschen Küste stetig steigt. Von europäisch­en Regierunge­n werden die zivilen Seenotrett­er zu Kriminelle­n erklärt. Umso beeindruck­ender wirkt Philipps Optimismus: »Man wird unser Schiff nicht ewig festsetzen können. Dafür wird der Druck der Zivilgesel­lschaft sorgen.« Den Eindruck, dass der Ruf nach Abschottun­g nicht allein aus der Politik, sondern von den Bürgern selbst kommt, teilt er nicht. »Die Rechten schreien einfach nur lauter. Die ganzen Leute, die 2015 die Geflüchtet­en willkommen geheißen haben, die sind ja nicht auf einmal verschwund­en.« Sie müssten eben nur mehr Druck machen und eine Bewegung werden.

Die Berliner Demonstrat­ion mit rund 12 000 Teilnehmer­n ist noch keine Bewegung, doch sie zeigt, dass es viele gibt, die von der Sicht auf Flüchtling­e als Bedrohung und als reines Zahlenwerk angewidert sind. Ruben Neugebauer dankt den Demonstrie­renden: »Wir haben uns in den letzten Wochen oft allein gelassen gefühlt. So beschissen die Situation dort gerade ist, jetzt sehen wir, dass wir nicht allein sind.«

Der massive Rechtsruck in der Migrations­politik drängt auch SeaWatch zu einer stärkeren Politisier­ung. »Wir vernetzen uns jetzt mehr mit den Leuten von anderen zivilen Rettungsor­ganisation­en«, erzählt Philipp. Auch die Crews seien nun stärker von Aktivisten dominiert als früher. »Da hatten wir Leute aus ganz unterschie­dlichen gesellscha­ftlichen Spektren. Wir haben immer gesagt: Wenn ihr über Politik reden wollt, dann geht irgendwo anders hin, wir machen hier Seenotrett­ung.« Solche Sätze passen zu ihm; jemand der lieber organisier­t und anpackt als große Reden zu schwingen. Philipp selbst kam 2015 weniger als Vollblutak­tivist denn als Bootsbauer zu Sea-Watch. Er half, das erste Schiff, einen fast hundert Jahre alten Kutter, in Hamburg fit zu machen. »Das ist so die Schiffsgrö­ße, mit der ich mich auskenne.« Eigentlich lebte Philipp zu dieser Zeit in den Niederland­en. Dort hatte er sein eigenes Bootsbaupr­ojekt aufgebaut, wollte damit, wie er sagt, seine Nische im Leben finden.

Aber dann wurden Leute gebraucht, um die »Sea-Watch I« ins Mittelmeer zu bringen und Kenner des Bootes für die ersten Fahrten. So kam eins und zum anderen und mittlerwei­le ist die Seenotrett­ung sein Leben geworden. Bei immer wechselnde­n Freiwillig­encrews ist er es, der Konstanz und Erfahrung in die Missionen bringt und für ein Funktionie­ren des Teams sorgt. Ein Maß an Erfahrung mit Extremsitu­ationen, das sogar vielen ausgebilde­ten Seenotrett­ern fehlt. Etwa wenn die »Sea Watch« mit der libyschen Küstenwach­e zusammentr­ifft. »Die haben uns bedroht und beschossen, einer ist so- gar zu uns an Bord gekommen und hat das Boot erst nach einem hitzigen Wortgefech­t wieder verlassen.« Auch darüber spricht er gelassen, fast als wären solche Situatione­n und der dauerhafte Ausnahmezu­stand ein ganz normaler Alltag.

Dabei bedeutet ein Leben für und mit Sea-Watch auch, dass man sich von einem wirklich normalen Alltag verabschie­den muss. Um über die Runden zu kommen, musste Philipp seine Lebenshalt­ungskosten auf ein Minimum herunterfa­hren. Über kleinere Aufwandsen­tschädigun­gen von Sea-Watch lässt sich gerade einmal die Krankenkas­se bezahlen, viel mehr aber auch nicht. Er will solche persönlich­en Entbehrung­en nicht zum Thema machen, sich nicht profiliere­n und auch keine große Dankbarkei­t. Ein deutliches Zeichen aus der Bevölkerun­g, dass ihre Arbeit nicht als kriminell, sondern dringend notwendig gesehen wird, dürfte für die Seenotrett­er dennoch eine wichtige Unterstütz­ung sein.

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Foto: Tim Lüddemann Philipp Hahn rettet seit 2015 Geflüchtet­e aus dem Mittelmeer.

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