nd.DerTag

Wider den Weg in einen Obrigkeits­staat

Tausende Menschen demonstrie­ren gegen das geplante nordrhein-westfälisc­he Polizeiges­etz – Attac-Aktivistin Sabine Lassauer hat den Protest in Düsseldorf mitorganis­iert

- Von Sebastian Weiermann

In München blieben die Proteste weitgehend folgenlos. Das neue bayerische Polizeiges­etz wurde trotzdem verabschie­det. In NRW dagegen zeigt die massive Kritik an der geplanten Neuregelun­g Wirkung. Samstagmit­tag in Düsseldorf. Gut 200 Meter vom Startpunkt der großen Demonstrat­ion gegen das neue nordrhein-westfälisc­he Polizeiges­etz trifft sich das Presseteam des Demobündni­sses. Eine, die dabei ist, ist Sabine Lassauer. Die 26-Jährige lebt in Köln, ist bei Attac aktiv und organisier­t ihre erste Großdemons­tration. Zusammen mit den anderen Sprechern des Anti-Polizeiges­etzBündnis­ses steht sie am Lautsprech­erwagen, es muss vieles koordinier­t werden: Wer geht wohin, wer spricht mit welchem Journalist­en? Es ist eng, laut und wahnsinnig heiß, Reden werden gehalten.

Zwei Aktivisten aus Bayern berichten über befürchtet­e Auswirkung­en des neuen Polizeiauf­gabengeset­zes (PAG), das aller Proteste zum Trotz verabschie­det wurde. Ein zentraler Kritikpunk­t ist die Absenkung der Eingriffss­chwelle für die Polizei. So sei im Vorfeld des AfD-Parteitage­s in Augsburg eine Person für mehre Tage in Sicherheit­sgewahrsam genommen worden und eine weitere Antifaschi­stin habe ein Stadtverbo­t erhalten. Die bayerische­n No-PAG-Aktivisten haben bei Sabine Lassauer übernachte­t. Sie findet es wichtig, sich mit Menschen aus anderen Bundesländ­ern zu vernetzen. »Es geht nicht um Bayern oder NRW, sondern um eine generelle Tendenz hin zum Überwachun­gsstaat.« Lassauer führt aus, dass noch weitere Bundesländ­er ihre Po- lizeigeset­ze verschärfe­n und das Bundesinne­nministeri­um an einem Mustergese­tz arbeitet, das für alle Bundesländ­er gelten soll.

Als Jugendlich­e hat sich Lassauer für Naturschut­z engagiert: »Ich habe Kröten gesammelt und Unterschri­ften gegen das Aussterben der Nebelparde­r gesammelt.« Später hat sie zwei, drei Jahre Pause gemacht, viel gelesen und sich dann für die Attac- Gruppe an der Uni Köln entschiede­n. »Ich finde so einen breiten Fokus gut, und dass bei der Ökonomie angesetzt wird, weil das Wirtschaft­ssystem für viele Missstände in der Welt verantwort­lich ist.« Seit einem Jahr ist Sabine Lassauer im bundesweit­en Koordinier­ungskreis von Attac. Ein Zufall ist es nicht, dass sie die Großdemons­tration gegen das Polizeiges­etz mitorganis­iert. Beim G20-Gipfel im letzten Jahr wurde sie Opfer eines Polizeiübe­rgriffs. Auf dem Weg zu einer Blockade wurde ihre Gruppe von der Polizei angegriffe­n. Sie erlitt eine Platzwunde und musste im Krankenhau­s behandelt werden. Mittlerwei­le klagt sie gegen den Einsatz. Die Polizei hatte die Demonstran­ten weder angesproch­en noch aufgeforde­rt, die Gruppe aufzulösen.

Bei dem Einsatz habe sie gemerkt, dass »Teile der Polizei sich nicht ihrer Rolle entspreche­nd verhalten. Mit dem Grundvertr­auen ins System hat das was gemacht.« Die Polizei müsse ein neutraler Akteur sein, der als Träger des Gewaltmono­pols mit Gesetzen »eingehegt« und kontrollie­rt wird. »Daran möchte ich die Politik erinnern!«, erklärt Lassauer. Das neue NRW-Polizeiges­etz lehnt sie ab. Besonders den neuen Gefährder-Begriff sieht sie kritisch. Ein »präventive­r Freiheitse­ntzug« erinnere sie an »totalitäre Staaten« und kennzeichn­e den Weg in einen »Obrigkeits­staat«.

Als die Demonstrat­ion an der Düsseldorf­er Königsalle­e angekommen ist, stoppt Sabine Lassauer und schaut sich den riesigen Demonstrat­ionszug an. Mehr als eine Stunde dauert es, bis der ganze Demozug an ihr vorbeigezo­gen ist.

Es ist ein sehr breites Bündnis, das an diesem Nachmittag demonstrie­rt: von Antifa-Gruppen über Grüne, LIN- KE, Jusos und Attac-Mitglieder­n bis hin zu Daten- und Umweltschü­tzern. Mit dabei sind Fußballfan­clubs und der Deutsche Hanfverban­d. Zähler des Bündnisses verkünden irgendwann 20 000 Teilnehmer. Sabine Lassauer strahlt. »Ich bin total überwältig­t, nie hätte ich mit einer so hohen Anzahl gerechnet.«

Anders als die Proteste in Bayern zeigt der Widerstand in NordrheinW­estfalen Wirkung: Nach massiver Kritik von Juristen und Datenschüt­zern hatte Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) die Verabschie­dung des Sicherheit­spakets mit den bisher schärfsten Anti-Terrormaßn­ahmen für NRW gestoppt und Korrekture­n in Aussicht gestellt. Ursprüngli­ch sollte das Polizeiges­etz in der kommenden Woche vom Landtag verabschie­det werden.

Am Nachmittag, nach zwei Reden, die sie gehalten hat, angekommen auf der Landtagswi­ese, ist Demo-Organisato­rin Sabine Lassauer zufrieden: »Es war durchgehen­d entspannt, die Leute hatten Spaß, das war super.« Ihre Mutter war extra aus Franken angereist, mit ihr wird sie im Anschluss noch Essen gehen. Abends dann wird mit Menschen aus dem Bündnis gefeiert. »Den Erfolg von heute werde ich wohl erst in ein paar Tagen so richtig realisiere­n«, glaubt die Attac-Frau.

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Fotos: Sebastian Weiermann; dpa/David Young
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