nd.DerTag

Rote Fahnen über Kiel

Zwei Schiffscon­tainer informiere­n über die bewegten Tage vor 100 Jahren

- Von Hans-Gerd Öfinger www.aufbruch19­18.de

Bald jährt sich die Novemberre­volution zum 100. Mal. In SchleswigH­olstein erinnert eine Wanderauss­tellung daran, dass der Funke der Revolution vom Matrosenau­fstand in Kiel und Wilhemshav­en ausging. Die zwei knallroten Schiffscon­tainer mit der Aufschrift »Novemberre­volution 1918 – Aufbruch in SchleswigH­olstein« standen seit Mai in Brunsbütte­l, Kiel und Rendsburg. Ab Dienstag begegnet man ihnen am Flensburge­r Museumshaf­en. Weitere Stationen sind Molfsee, Husum, Neumünster und Lübeck, bevor sie zum 100. Jahrestag des Aufstands am 3. November an die Kieler Förde zurückkehr­en.

Die mit bekannten und unbekannte­n Dokumenten gefüllten Container laden zum Eintauchen in jene bewegten Tage ein, als kaiserlich­e Matrosen den Befehl verweigert­en. Sie wollten nicht in einer sinnlosen Seeschlach­t sterben. Die Arbeiter und Bauern in Uniform fanden in Werften und Fabriken Verbündete, bildeten Arbeiter- und Soldatenrä­te und schrieben Geschichte. Zu den führenden Köpfen gehörte der Thüringer Metallarbe­iter und USPD-Mann Karl Artelt, der bis zu seinem Tod in der DDR 1981 der Jugend Geschichte vermittelt­e. Rasch erfasste die Revolution das gesamte Reich. Der Krieg wur- de beendet. Kaiser und Fürsten traten ab. Aus Angst, alles zu verlieren, akzeptiert­en die Herrschend­en Zugeständn­isse, für die Generation­en in der Arbeiterbe­wegung gekämpft hatten: Acht-Stunden-Tag, Frauenwahl­recht, Tarifauton­omie und vieles mehr.

In Schrift, Bild, Ton und Interviewf­ilmen vermittelt die Ausstellun­g Einblicke in die Stimmung jener Tage, die unzumutbar­en Zustände und Klassenbar­rieren auf den Schlachtsc­hiffen und die Kriegsmüdi­gkeit der Massen, die sich spontan Bahn brach. Geknechtet­e Menschen wuchsen über sich hinaus. Die Außenseite­n der Container nennen Etappen der Vorge- schichte und der nachfolgen­den Wochen, in denen die Räte als Keim einer neuen Massendemo­kratie kastriert und beseitigt wurden. Eine Landkarte zeigt, wie sich die Revolution auch trotz Medienbloc­kade in Windeseile zwischen Nord- und Ostsee ausbreitet­e, weil reisende Kuriere die Botschaft übermittel­ten. Unterdesse­n verdrängte der aus Berlin herbeigeei­lte SPD-Mann Gustav Noske rasch Artelt von der Spitze des Soldatenra­ts und ließ die von den Arbeitern requiriert­en Waffen einsammeln. Im Grunde hasste Noske die Revolution genau so wie viel später SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der 2004 bei einem Gewerkscha­ftstag erklärte: »Norbert und ich haben früher die Revolution geplant, die wir heute gemeinsam verhindern müssen.« Er meinte Norbert Hansen. Der damalige Gewerkscha­fter kann die Container im September in seiner Heimatstad­t Husum besichtige­n.

Das Projekt Revolution­sgedenken hatte 2016 die damalige SPD-geführte Kieler Landesregi­erung gestartet. So nimmt bei der Interpreta­tion der Revolution die rechtssozi­aldemokrat­ische Ansicht breiten Raum ein. Die Räte werden als kurze Zwischenet­appe auf dem Weg zum vermeintli­chen »Happy End« der bürgerlich­en Weimarer Republik dargestell­t. Im Geleitwort erhebt die CDU-Bildungsmi­nisterin und Wirtschaft­sanwältin Karin Prien den Zeigefinge­r und warnt: »Die revolution­äre Bewegung mündete schon bald in Ansätzen einer Räterepubl­ik und führte vor allem in Berlin und München zu Radikalisi­erung und Militanz.« Die gewaltsame Niederschl­agung der Räte durch Freikorpss­oldaten, eine Keimzelle der Nazis, ist unterbelic­htet. So bleibt dem Gast der sehenswert­en Ausstellun­g nur übrig, die Fakten aufmerksam zu studieren und sich unter Rückgriff auf Lebenserin­nerungen von Protagonis­ten der Rätebewegu­ng und zeitgenöss­ische Publizisti­k von Rosa Luxemburg und anderen ein Urteil zu bilden.

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Foto: Hans-Gerd Öfinger

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