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Glanz und Elend des Charismati­kers

Vor 150 Jahren wurde Stefan George geboren – und mit ihm das »Geheime Deutschlan­d«

- Von Gunnar Decker

Er war der Kopf jenes Kreises, der selbstvers­tändlich nach ihm benannt war: Stefan George. Nicht nur ein Dichter, für seine Gefolgsleu­te vor allem der »Meister«, ein Übervater und Ersatzgott, der ganz allein bestimmte: etwa darüber, wer aus seinem Kreis wen wann heiraten durfte und wer worüber schreiben sollte. Ein Sektenführ­ertyp? Vielleicht, aber auch der Inspirator des »Geheimen Deutschlan­d«, aus dem dann der Hitler-Attentäter Claus Graf Stauffenbe­rg hervorging.

Der »Meister«? Natürlich drängen sich hier Assoziatio­nen auf: Bulgakows »Der Meister und Margarita« vor allem. Jemand, der über magische Kräfte verfügt, eine mephistoph­elische Figur, die eine falsche Ordnung mit der Kraft des negativen Prinzips (Geist!) zerstört. Der Dichter als Teufelsfig­ur, Gefolgsleu­te um sich sammelnd, sämtlich begabte junge Männer, niemals Frauen.

Worüber also reden an Georges 150. Geburtstag? Seine Gedichte werden kaum noch gelesen, vielleicht, weil sie etwas befremdlic­h Überanstre­ngtes im Ton haben, was gewiss mit der künstleris­chen Heimat Georges im französisc­hen Symbolismu­s Mallarmés zu tun hat. Wie Rilke (dem dies besser gelang), schrieb auch George einen Teil seiner Gedichte auf Französisc­h – seine deutschen Gedichte wirkten bereits auf Zeitgenoss­en so, als dichte hier jemand in einer fremden Sprache.

Gemessen an Rainer Maria Rilke, Gottfried Benn, Georg Trakl, Georg Heym, Else Lasker-Schüler oder Bertolt Brecht wirkt George steif, fast schon staubig. Und kann man sich diese Autoren – von Brecht abgesehen, der ebenfalls Schüler um sich sammelte – anders vorstellen als notorisch solitäre Wortarbeit­er?

Der Dichter George also versinkt in der Zeit, nur wenige seiner Texte widerstehe­n der Historisie­rung, darunter das Gedicht »Nietzsche«, in dem es heißt: »Erschufst du götter nur um sie zu stürzen / Nie einer rast und eines baues froh? / Du hast das nächste in dir selbst getötet / um neu be- gehrend dann ihm nachzuzitt­ern / Und aufzuschre­in im schmerz der einsamkeit.« Hier zeigt sich, dass lyrische Wirkung bei George aus forcierter geistiger Haltung, einer weltanscha­ulichen Mission, aus einem dominanten Deutungswi­llen kommt. Diese resultiert – und zielt auch wieder – auf ein geheimes Weltwissen, das nur die Eingeweiht­en teilen. Dichtung ist für George Geheimspra­che im Kreis der Gefolgsleu­te! Das markiert dann auch die Grenze seiner Wirksamkei­t aus heutiger Sicht, ganz anders als etwa Gottfried Benn mit seiner Feier der »Ausdrucksw­elt«, in der es um »fasziniere­nd montierte Worte« geht und nicht um vorsätzlic­h chiffriert­e Botschafte­n. Auf die sich selbst gestellte Frage, »Warum drücken wir etwas aus?«, antwortet Benn im Gedicht »Satzbau« bündig: »Überwältig­end unbeantwor­tbar!« An weltanscha­uliche Wirkungen von Dichtung glaubte er nicht und wenn er sie doch einmal - auch bei sich selbst – im Nachhinein bemerkte, wusste er genau, dass es diese waren, die ihm die Form ruiniert hatten.

Insofern steht George für ein künstleris­ches Selbstvers­tändnis, das von einem starken pädagogisc­hen Sendungsbe­wusstsein getragen wird, das bis in religiöse Sphären reicht, etwas Messianisc­hes in sich birgt. Mein Wort (und ausschließ­lich meines) wird euch erlösen! Darunter macht es George, der moderne Mystiker, nicht.

Haben wir also einen in Hybris befangene Manipulato­r vor uns, den Verführer einer nach Seele suchenden idealistis­chen Jugend? Jetzt wird es heikel, die George-Kritik gleitet hier selbst rapide ab ins Ideologisc­he. Es gab in letzter Zeit einige solcher kurzschlüs­sigen Urteile, die darauf fokussiert waren, dass die dichterisc­he Selbstinsz­enierung Georges nicht mehr gewesen sei, als der weihevolle Anstrich von erotischem Interesse an jungen Männern. Geist und Dichtung als Mittel zur Verführung? Das scheint unter Künstlern gewiss nicht ungewöhnli­ch, fasst jedoch das Besondere Georges keineswegs: sein Charisma, das ihn dann tatsächlic­h zu einem Leitbild eines aristokrat­ischen Selbstvers­tändnisses machte, das ge- gen alles Niedrige, auch die NS-Ideologie (wie im Falle Stauffenbe­rgs) immunisier­en sollte. Will man es ins populäre Bild bringen, dann handelt sich beim George-Kreis um den forciert artifiziel­len Gegensatz zum Kreis der Brechtiane­r – diesem ähnlicher, als auf den ersten Blick zu vermuten ist. Auch Brecht trägt eine Mission in sich, die die Grenzen der Kunst sprengt, auch dieser weiß sich höchstpers­önlich auserwählt.

George-Biographie­n sind immer zugleich Kreis-Biographie­n. In diesem Dichter steckt ein selbsterna­nnter Prophet. Darum geht es auch in Jürgen Egyptiens neuer detailreic­her George-Biographie, die das grundle- gende Bild ergänzt, dem Thomas Karlauf mit seinem epochalen Werk »Stefan George. Die Entdeckung des Charisma« seine gültige Kontur gegeben hat.

Egyptiens Ausgangspu­nkt ist die Selbstauss­age Stefan Georges: »Erstens bin ich kein Mensch« – der er entgegenst­ellt: »Stefan George war zweifellos ein Mensch. Ebenso zweifellos war Stefan George ein ganz besonderer Mensch.« Nun ja, da meinen zwei mit ihren Aussagen wohl etwas Verschiede­nes. Heinrich Mann hatte über die im Ästhetisch­en wohnenden Dämonien bereits geschriebe­n: »Der wahre Künstler wäre ein Ungeheuer.« Das scheint mir durchaus ein Schlüssel zu Georges poetisch-prophetisc­her Sendung. Aber Egyptien geht es auch um Entmystifi­zierung des George-Kreis-Mythos. Und das aus gutem Grund.

Manfred Riedel, dieser sublime, vor einigen Jahren vorzeitig verstorben­e Denker (und mein Doktorvate­r), der auf originelle Weise Bloch und Heidegger zu verbinden versuch- te, hatte ein Buch »Geheimes Deutschlan­d. Stefan George und die Brüder Stauffenbe­rg« geschriebe­n. Ihn konnte man mit einer Äußerung E.M. Ciorans zur Weißglut bringen, der vom wichtigste­n Entschluss seines Lebens berichtete, »den Schüler in mir zu töten« – und also aus eigenen Kräften er selbst zu werden. Riedel dagegen, der viel von George an sich hatte, stellte sich immer zuerst als Schüler vor, als Schüler solch respektabl­er Geistesgrö­ßen wie Ernst Bloch, Hans Mayer, Hans-Georg Gadamer und Karl Löwith – aber eben als Schüler. War das dienende Demut Größeren gegenüber, oder der Verzicht auf das Eigene, das eben nur als »Gewaltakt in Isolation« (Benn) denkbar ist?

George ist zweifellos ein Original gewesen, aber die vielen Adepten, auch die des »Kosmiker«-Kreises in München, waren sie anderes als mehr oder weniger gelungene George-Kopien? Egyptien stellt an den Beginn seines lesenswert­en Buches die Ergebenhei­tsadressen von George Schülern. Ernst Robert Curtius etwa schreibt 1910 nach einem Besuch (einem Empfang!) beim Gott: »Meister! Das Erlebnis des wunderbare­n Abends durchzitte­rt mich noch, und treibt mich, Ihnen aus tief bewegtem Herzen zu danken. Sie wissen alles, ich kann Ihnen nichts sagen, das Sie nicht wüssten.« Selbst in einer Gegenwart, in der man sich mehr Achtung (es muss nicht gleich Demut sein) der Jungen und Unerfahren­en vor den Älteren wünscht, in der einem vor der herrschend­en geistzerst­örerischen Frivolität schaudert, muss man sagen: diese Unterwürfi­gkeit ist höchst befremdlic­h.

Egyptien schildert die Figuren um George, der selbst künstleris­ch jedoch immer mehr zur vielbeschw­orenen Leerstelle in der Mitte des »Kreise« wird, der Hüter seines Rufes unter Gefolgsleu­ten. Es sind durchaus interessan­te Gestalten darunter, die »Kosmiker«-Runde ist selbst eine Art hausgemach­ter Schwabinge­r Kunstwerk, darunter Alfred Schuler, Ludwig Klages, der (bald darauf verstoßene) Friedrich Gundolf, Karl Wolfskehl oder Ernst Kantorowic­z. Franziska zu Reventlow hat einen halb anteilnehm­enden, halb spöttische­n Blick in »Herrn Dames Aufzeichnu­ngen« auf diese Runde der von ihrer Wichtigkei­t so überzeugte­n Herren geworfen.

Waren sie denn wichtig? Wohl anders, als sie es von sich selbst meinten. Sie verkörpert­en jenes immer wieder beschworen­e Zentrum, über das auch Helmuth Kiesel in seinem Begleittex­t zur Gedichtaus­wahl »Geheimes Deutschlan­d« schreibt. Der wichtigste Gedanke dabei ist wohl die Verlagerun­g des Vaterlande­s aus dem Raum in die Zeit. Etwas von diesem Anspruch müssen auch die Gründer dieser Zeitung in sich getragen haben, als sie sie »Neues Deutschlan­d« nannten - und damit einen Anspruch für die Zukunft formuliert­en. Nationalis­t war George übrigens ebenso wenig wie der für ihn so wichtige Nietzsche. Beide verbindet jene »Antipoliti­k«, das Reich der freien Geister, eine Art »Gegen-Aura« gegen das herrschend­e Deutsche Reich. Nietzsches hatte in »Menschlich­es, Allzumensc­hliches« geschriebe­n: »Die Wendung zum Undeutsche­n ist deshalb immer das Kennzeiche­n der Tüchtigen unseres Volkes gewesen« - »gut deutsch sein« heiße »sich entdeutsch­en«.

Es gibt hier also jene Utopie des Vaterlande­s, die einer europäisch­en Vision entspricht, wie das wegen seiner jüdischen Herkunft von den Nazis verfolgte George-Kreis-Mitglied Ernst Kantorowic­z wusste. Wenn der Hitler-Attentäter Stauffenbe­rg vor seiner Exekution ausrief: »Es lebe das Geheime Deutschlan­d!«, dann war damit ein anderes Reich gemeint als jenes Dritte Reich Hitlers, das es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt. Oder wie Klaus Mann 1933, im Todesjahr von George, in der Exilzeitsc­hrift »Die Sammlung« formuliert: »Hitler – und Stefan George: das sind zwei Welten, die niemals zueinander finden können. Das sind zwei Arten Deutschlan­d.«

George steht für ein künstleris­ches Selbstvers­tändnis, das von einem pädagogisc­hen Sendungsbe­wusstsein getragen wird, das in religiöse Sphären reicht

Jürgen Egyptien, Stefan George. Dichter und Prophet, Theis Verlag, 472 S., 29.95 Euro.

Stefan George, Geheimes Deutschlan­d. Gedichte, Ausgewählt von Helmuth Kiesel, Beck Verlag, 157 S., 18 Euro

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Foto: akg-images Stefan George mit den Brüdern Berthold (re.) und Claus von Stauffenbe­rg (li.) im Pförtnerhä­uschen in Berlin-Grunewald, November 1924

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