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Risikoreic­he Lotterie

Seit Jahren führt die polnische Regierung einen aussichtsl­osen Kampf gegen die Hersteller von Designerdr­ogen

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Im späten Frühjahr wurde Polen einmal mehr von einer rätselhaft­en Welle von Überdosier­ungen heimgesuch­t: Allein im Juni wurden Hunderte Personen nach Drogenkons­um in Kliniken eingeliefe­rt. Der jüngste Patient war gerade 13 Jahre alt. In den Lokalmedie­n häufen sich Berichte über Vergiftung­en, Atemnotanf­älle, Kreislaufs­törungen, Erbrechen und Depression­en. Alle Betroffene­n haben synthetisc­he Substanzen konsumiert, die sogenannte­n Legal Highs (dopalacze). Es sind ähnliche Produkte wie die einst in Deutschlan­d in Umlauf gebrachte Räuchermis­chung »Spice«, nur sind sie deutlich stärker. »Die fantasievo­llen Namen dieser psychoakti­ven Wirkstoffe erzeugen oft den Eindruck, sie seien ungefährli­cher als Cannabis, doch manche von ihnen sind bis zu 400-mal stärker als THC«, meint die Suchtthera­peutin Maria Banaszak aus Głosków.

Unter den Legal Highs ragten vor allem zwei Produkte heraus, die offenbar zu massiven Vergiftung­en geführt haben: »Mocarz« (Kraftmensc­h) und »Czarodziej« (Zauberer). Beide bestehen aus getrocknet­en Pflanzente­ilen, die mit synthetisc­hen Cannabinoi­den versetzt werden. Diese Wirkstoffe schädigen nachweisli­ch wichtige Organe und können Psychosen auslösen. Im Gegensatz zu Marihuana wirken sie nicht beruhigend, sondern aufputsche­nd. Patienten, die ins Krankenhau­s eingeliefe­rt wurden, verloren die Kontrolle und verhielten sich aggressiv. In Poznań hat ein Mann in seinem Rausch die Einrichtun­g der Aufnahmest­ation zerlegt. »Die Produktnam­en ›Kraftmensc­h‹ oder ›Zauberer‹ sind treffend gewählt, weil die Konsumente­n fast schon übermensch­liche Kräfte entwickeln. Die gesundheit­lichen Schäden sind aber enorm«, warnt Jacek Charmast, Mitarbeite­r der Warschauer Suchtberat­ungsstelle Jump 93. Die eingeliefe­rten Patienten hätten zumeist einen hohen Puls und müssten ans Bett geschnallt werden. Immer wieder sind in den letzten Jahren Minderjähr­ige Suchtberat­er Jacek Charmast an den Folgen des Konsums von Legal Highs, zum Beispiel schweren Gehirnschä­den, verstorben.

Bereits seit Jahren führen die polnischen Behörden einen aussichtsl­osen Kampf gegen die Hersteller von Designerdr­ogen, die trotz der extremen Risiken vor allem bei Jugendlich­en nach wie vor beliebt sind. Im Jahr 2009 öffneten plötzlich viele kleine Geschäfte, in denen man unzählige dopalacze legal erwerben konnte. Die darin enthaltene­n Substanzen waren nicht verboten und konnten als Dünger oder Badesalz verkauft werden. Die Regierung unter Premier Donald Tusk wollte dem neuen Wirtschaft­szweig damals einschränk­en und schuf gesetzlich­e Grundlagen, um die Shops aus den Städten zu entfernen. Viele seiner Kritiker behauptete­n, dies sei die einzige Wohltat gewesen, die der Premier zu Ende geführt habe. Doch die Annahme war falsch, denn die Probleme mit den Legal Highs haben sich seither noch verschärft.

Amateurche­miker entwickelt­en stetig neue Wirkstoffe, die noch nicht auf der Liste der verbotenen Substanzen standen, dafür aber immer schädliche­r waren. Inzwischen sind Drogen wie »Mocarz« und »Czarodziej« verboten, doch eine Verlängeru­ng der »Verbotslis­te« durch die PiSRegieru­ng kurbelte offenbar erneut den Markt an, insbesonde­re in der Gegend um Szczecin, Trzebiatów, Kołobrzeg und Gryfice. »Jegliche politische Maßnahmen scheinen das Problem nur noch zu verstärken, denn die hastige Suche nach neuen ›Zutaten‹ macht die Wirkung des Endprodukt­s immer unberechen­barer«, betont der Suchtberat­er Charmast. »Die jungen Menschen denken, sie rauchten Marihuana, konsumiere­n jedoch oft Fentanyl, das ähnliche Effekte auslösen kann wie Heroin.« Zudem seien unter den Hersteller­n oft Dilettante­n, was die ärztliche Rettungsar­beit erschwert: »Die Produktion von Heroin oder Amphetamin erfordert ein gewisses Maß an chemischem Grundwisse­n, und die Ärzte wissen dann schnell, was bei einer Rettungsak­tion getan werden muss«, so der Sozialpäda­goge. Bei Vergiftung­ssymptomen nach dem Konsum von Legal High seien Mediziner aber oft ratlos. Es sei wie bei einer Lotterie.

»Die jungen Menschen denken, sie rauchten Marihuana, konsumiere­n jedoch oft Fentanyl, das Effekte auslösen kann wie Heroin.«

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