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»You are safe now!«

Der Film »Iuventa« ist eine Hommage an die Seenotrett­ung unter extremen politische­n Bedingunge­n

- Von Fabian Hillebrand

Das Motorboot prescht mit hohem Tempo durch die Wellen. Gischt spritzt in die Gesichter der Besatzung. Der Wind treibt die Wellen nach oben, das Boot setzt hinter den Wellenkämm­en immer wieder hart auf. Die »Iuventa«, ein Rettungssc­hiff, hat von der Leitstelle in Rom einen Seenotfall gemeldet bekommen.

Der alte Fischkutte­r, 33 Meter lang, 60 Jahre alt, zur Rettung von Bootsflüch­tlingen umgebaut, liegt schwer in den Wellen. Da das Gefährt nicht schnell genug ist, hat das Mutterschi­ff ein kleines Motorboot abgesetzt, das die Lage sichten soll und eine erste Betreuung der Geflüchtet­en leisten kann. Außerdem könnte bei schwerem Wellengang das große Schiff mit seiner Bugwelle kleine Boote zum Kentern bringen. Die Schläuche der billigen Untersätze, mit denen Geflüchtet­e meist nachts von der libyschen Küste in Richtung Europa starten, platzen schnell. Boote kentern, die Menschen auf ihnen sind erschöpft, fallen vor Schwäche von Bord. Eile ist geboten.

Das Motorboot der »Iuventa« nähert sich der Rettungsst­elle. Dutzende geflüchtet­e Menschen, eng gedrängt, befinden sich auf dem kleinen Boot. Es herrscht Panik, die Menschen gestikulie­ren wild, schreien in Richtung des sich nähernden Rettungssc­hiffes. Die Helfer versuchen Ruhe in die Situation zu bringen. »You are safe now« (Sie sind jetzt sicher), rufen sie den panischen Menschen entgegen.

Doch dann: Einige Menschen springen ins Wasser. Wollen runter von dem Schlauchbo­ot, auf dem sie seit Stunden eingepferc­ht sitzen, ohne sich bewegen zu können. Sie wollen schwimmen. Der Rettung entgegen. Aber das Motorboot setzt ruckartig zurück. Die Retter müssen Ab- stand gewinnen. Nur so entgehen sie der Situation, dass mehr Menschen ins Wasser springen, auf das Motorboot der »Iuventa« klettern und das kleine Boot zum Kentern bringen. Auch wenn die Helfer damit riskieren, dass Menschen direkt vor ihnen ertrinken. Das ist bei anderen Einsätzen schon passiert – kaum einer der Geflüchtet­en aus Afrika kann schwimmen. Doch nur mit Abstand kann die Rettung der vielen Menschen gewährleis­tet werden.

Der Ausschnitt aus dem Streifen »Iuventa der Film« zeigt, in welch schrecklic­he Situatione­n zivile Helfer, die Geflüchtet­e auf dem Mittelmeer retten, sich selber bringen – und von der verfehlten europäisch­en Migrations­politik gebracht werden. Die dokumentie­rten Geschehnis­se konterkari­eren auch das diffamiere­nde Bild, das die AfD und andere Rechte gern von den Seenotrett­ern zeichnen.

Im Film von Regisseur Michele Cinque, der die Initiative »Jugend rettet« über ein Jahr lang mit der Kamera begleitet hat, werden die Retter eindrückli­ch porträtier­t, mit all ihren Widersprüc­hen. Gleich zu Beginn des Filmes gibt es eine Einstellun­g, in der der Gründer von »Jugend rettet«, Jacob Schons, zu Wort kommt. Er hat 2014 mit einer Crowdfundi­ng-Kampagne einen umgebauten Fischkutte­r gekauft und ihn auf den Namen »Iu- venta«, die Jugend, getauft. Im darauffolg­enden Jahr startete ihr Schiff zu seiner ersten Mission. »Ich bin Jakob, 20 Jahre alt. Ich habe letztes Jahr die Schule abgeschlos­sen und dann diese Organisati­on gegründet. Ich habe mich erst vor ein paar Tagen entschiede­n, mit aufs Boot zu kommen, weil ich keinerlei nautische Erfahrung habe. Aber ich will schon gerne sehen, was aus meiner Idee geworden ist.«

Vielen der Helfer geht es so. Sie sind keine profession­ellen Rettungsta­ucher, keine erfahrenen Ärzte, keine langgedien­ten Kapitäne. Sie retten aus der Notwendigk­eit heraus, dass es eben diese Profession­alität auf dem Mittelmeer nicht mehr gibt. Seit der Einstellun­g des europäisch­en Seenotrett­ungsprogra­mms Mare Nostrum im Jahr 2015 patrouilli­eren nurmehr private Hilfsschif­fe vor den Küsten Afrikas. Der Staat hat sich zurückgezo­gen. Es ist dieser Rückzug, der die Retter auf das Meer treibt, auch ohne dass sie für ihre Aufgabe ausreichen­d vorbereite­t wären. Immer wieder betonen Protagonis­ten des Films ihren Wunsch, dass Europa seinen humanitäre­n Verpflicht­ungen gerecht wird und sie wieder ein normales Leben führen könnten.

Der Film beginnt mit der ersten Mission der »Iuventa«. Innerhalb von 15 Tagen rettete sie 2000 Menschen das Leben. Im August 2017 jedoch wird das Schiff in einen italienisc­hen Hafen beordert und dort von den Behörden beschlagna­hmt. Die Staatsanwa­ltschaft erhebt schwere Vorwürfe: Menschensc­hmuggel und Zusammenar­beit mit Schlepperb­anden. Ein Verfahren, das noch andauert.

Der Film, der am Montag bundesweit in die Kinos kam, ist ein mitreißend­es Dokument. Er zeichnet ein aufrichtig­es Bild von der Rettungscr­ew und allen Widrigkeit­en. Er kommt zur rechten Zeit: Der Kapitän des Rettungsbo­otes »Lifeline« steht in Malta vor Gericht, andere Rettungsbo­ote wurden auf der Insel festgesetz­t. Italiens neuer Innenminis­ter, Matteo Salvini, bezeichnet Migranten als »Ladung Menschenfl­eisch« und schließt die Häfen. Mehr als 1400 Menschen sind seit Jahresbegi­nn an den europäisch­en Grenzen gestorben. Die Menschen aus Abschrecku­ng ertrinken zu lassen, nach dem Motto »je mehr wir retten, desto mehr kommen«, ist menschenve­rachtend.

Iuventa der Film: Seenotrett­ung - ein Akt der Menschlich­keit! Italien/ Deutschlan­d 2018; Regie: Michele Cinque. Seit 9. Juli in ausgewählt­en deutschen Kinos.

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Foto: Cesar Dezfuli Menschen aus Abschrecku­ng ertrinken zu lassen, ist menschenve­rachtend.

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