»You are safe now!«
Der Film »Iuventa« ist eine Hommage an die Seenotrettung unter extremen politischen Bedingungen
Das Motorboot prescht mit hohem Tempo durch die Wellen. Gischt spritzt in die Gesichter der Besatzung. Der Wind treibt die Wellen nach oben, das Boot setzt hinter den Wellenkämmen immer wieder hart auf. Die »Iuventa«, ein Rettungsschiff, hat von der Leitstelle in Rom einen Seenotfall gemeldet bekommen.
Der alte Fischkutter, 33 Meter lang, 60 Jahre alt, zur Rettung von Bootsflüchtlingen umgebaut, liegt schwer in den Wellen. Da das Gefährt nicht schnell genug ist, hat das Mutterschiff ein kleines Motorboot abgesetzt, das die Lage sichten soll und eine erste Betreuung der Geflüchteten leisten kann. Außerdem könnte bei schwerem Wellengang das große Schiff mit seiner Bugwelle kleine Boote zum Kentern bringen. Die Schläuche der billigen Untersätze, mit denen Geflüchtete meist nachts von der libyschen Küste in Richtung Europa starten, platzen schnell. Boote kentern, die Menschen auf ihnen sind erschöpft, fallen vor Schwäche von Bord. Eile ist geboten.
Das Motorboot der »Iuventa« nähert sich der Rettungsstelle. Dutzende geflüchtete Menschen, eng gedrängt, befinden sich auf dem kleinen Boot. Es herrscht Panik, die Menschen gestikulieren wild, schreien in Richtung des sich nähernden Rettungsschiffes. Die Helfer versuchen Ruhe in die Situation zu bringen. »You are safe now« (Sie sind jetzt sicher), rufen sie den panischen Menschen entgegen.
Doch dann: Einige Menschen springen ins Wasser. Wollen runter von dem Schlauchboot, auf dem sie seit Stunden eingepfercht sitzen, ohne sich bewegen zu können. Sie wollen schwimmen. Der Rettung entgegen. Aber das Motorboot setzt ruckartig zurück. Die Retter müssen Ab- stand gewinnen. Nur so entgehen sie der Situation, dass mehr Menschen ins Wasser springen, auf das Motorboot der »Iuventa« klettern und das kleine Boot zum Kentern bringen. Auch wenn die Helfer damit riskieren, dass Menschen direkt vor ihnen ertrinken. Das ist bei anderen Einsätzen schon passiert – kaum einer der Geflüchteten aus Afrika kann schwimmen. Doch nur mit Abstand kann die Rettung der vielen Menschen gewährleistet werden.
Der Ausschnitt aus dem Streifen »Iuventa der Film« zeigt, in welch schreckliche Situationen zivile Helfer, die Geflüchtete auf dem Mittelmeer retten, sich selber bringen – und von der verfehlten europäischen Migrationspolitik gebracht werden. Die dokumentierten Geschehnisse konterkarieren auch das diffamierende Bild, das die AfD und andere Rechte gern von den Seenotrettern zeichnen.
Im Film von Regisseur Michele Cinque, der die Initiative »Jugend rettet« über ein Jahr lang mit der Kamera begleitet hat, werden die Retter eindrücklich porträtiert, mit all ihren Widersprüchen. Gleich zu Beginn des Filmes gibt es eine Einstellung, in der der Gründer von »Jugend rettet«, Jacob Schons, zu Wort kommt. Er hat 2014 mit einer Crowdfunding-Kampagne einen umgebauten Fischkutter gekauft und ihn auf den Namen »Iu- venta«, die Jugend, getauft. Im darauffolgenden Jahr startete ihr Schiff zu seiner ersten Mission. »Ich bin Jakob, 20 Jahre alt. Ich habe letztes Jahr die Schule abgeschlossen und dann diese Organisation gegründet. Ich habe mich erst vor ein paar Tagen entschieden, mit aufs Boot zu kommen, weil ich keinerlei nautische Erfahrung habe. Aber ich will schon gerne sehen, was aus meiner Idee geworden ist.«
Vielen der Helfer geht es so. Sie sind keine professionellen Rettungstaucher, keine erfahrenen Ärzte, keine langgedienten Kapitäne. Sie retten aus der Notwendigkeit heraus, dass es eben diese Professionalität auf dem Mittelmeer nicht mehr gibt. Seit der Einstellung des europäischen Seenotrettungsprogramms Mare Nostrum im Jahr 2015 patrouillieren nurmehr private Hilfsschiffe vor den Küsten Afrikas. Der Staat hat sich zurückgezogen. Es ist dieser Rückzug, der die Retter auf das Meer treibt, auch ohne dass sie für ihre Aufgabe ausreichend vorbereitet wären. Immer wieder betonen Protagonisten des Films ihren Wunsch, dass Europa seinen humanitären Verpflichtungen gerecht wird und sie wieder ein normales Leben führen könnten.
Der Film beginnt mit der ersten Mission der »Iuventa«. Innerhalb von 15 Tagen rettete sie 2000 Menschen das Leben. Im August 2017 jedoch wird das Schiff in einen italienischen Hafen beordert und dort von den Behörden beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft erhebt schwere Vorwürfe: Menschenschmuggel und Zusammenarbeit mit Schlepperbanden. Ein Verfahren, das noch andauert.
Der Film, der am Montag bundesweit in die Kinos kam, ist ein mitreißendes Dokument. Er zeichnet ein aufrichtiges Bild von der Rettungscrew und allen Widrigkeiten. Er kommt zur rechten Zeit: Der Kapitän des Rettungsbootes »Lifeline« steht in Malta vor Gericht, andere Rettungsboote wurden auf der Insel festgesetzt. Italiens neuer Innenminister, Matteo Salvini, bezeichnet Migranten als »Ladung Menschenfleisch« und schließt die Häfen. Mehr als 1400 Menschen sind seit Jahresbeginn an den europäischen Grenzen gestorben. Die Menschen aus Abschreckung ertrinken zu lassen, nach dem Motto »je mehr wir retten, desto mehr kommen«, ist menschenverachtend.
Iuventa der Film: Seenotrettung - ein Akt der Menschlichkeit! Italien/ Deutschland 2018; Regie: Michele Cinque. Seit 9. Juli in ausgewählten deutschen Kinos.