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Was von G20 bleibt

Über die G20-Proteste 2017 von Hamburg und das, was bleibt. Eine Spurensuch­e in der radikalen Linken

- Von Fabian Hillebrand

Linksradik­ale sehen die Proteste trotz allem als Erfolg.

Nach dem G20-Gipfel versuchten Politiker und Medien, die Linke als Ganzes zu diffamiere­n. Zwei linksradik­ale Organisati­onen sehen die Protesttag­e trotz allem als Erfolg. Kein Durchatmen gab es nach Ende des G20-Gipfels in Hamburg für diejenigen, die für die vielfältig­en Proteste gegen das Treffen der Staatslenk­er mobilisier­t hatten. Ein CDUPolitik­er sprach davon, der »linksextre­me Terror« sei »so schlimm« wie der von Nazis und Islamisten, und eine unheimlich­e Allianz aus AfD, CDU und CSU forderte bundesweit die Schließung linker Zentren wie der Roten Flora in Hamburg oder des Conne Island in Leipzig. In Nordrhein-Westfalen schaffte die regierende Koalition aus CDU und FDP unter dem Eindruck der Ereignisse während des Gipfels gemeinsam mit den Stimmen der AfD die erst ein Jahr zuvor eingeführt­e Kennzeichn­ungspflich­t für Polizisten wieder ab.

Kurzum: Es wurde mobilgemac­ht gegen alles, was vermeintli­ch links ist. Begründet mit den »bürgerkrie­gsähnliche­n Zuständen«, die es während des Gipfels in der Schanze gegeben haben soll. Möglich gemacht hatte dies eine Debatte über »Gewalt«. Die Debatte sollte die Linke als Ganzes diffamiere­n. Die Distanzier­ungsgebote, die überall verbreitet wurden, waren keine ernst gemeinten Aufforderu­ngen, sondern politische Druckmitte­l. Schließlic­h fordert auch niemand von irgendwem, sich von Polizeigew­alt zu distanzier­en.

Aber auch die verschiede­nen linken Bewegungen fanden keine adäquate Antwort auf Entdiffere­nzierung und Abstandsfo­rderungen. Statt wie geplant ein »Jenseits des globalen Kapitalism­us« aufscheine­n zu lassen und schlicht »die Möglichkei­t des Nichteinve­rstandense­ins« vorzutrage­n, wurden bald alle Anstrengun­gen darauf gerichtet, den Beweis zu erbringen, dass es Polizeigew­alt gegeben hat und dass die Gewalt, die von den »eigenen Leuten« ausgegange­n sei, entweder das Aufscheine­n eines legitimen revolution­ären Verlangens sei, gar nicht von Linken ausging oder strukturel­le Ursachen habe. Georg Diez fasste die Beziehung zwischen diesen Polen in einem Satz im »Spiegel« zusammen: »Es scheint, als seien fast alle zufrieden, dass sie über Gewalt strei- ten dürfen, dann müssen sie nicht über Gerechtigk­eit reden.«

Wie schaut aber die außerparla­mentarisch­e Linke, ein Jahr nach den Ereignisse­n in Hamburg, auf die Gipfeltage? Was ist geblieben, jenseits von Distanzier­ungsgebote­n und Gewaltdeba­tten?

Anna Modotti hat zusammen mit dem Bündnis »Ums Ganze« während der Gipfeltage eine Blockade des Hamburger Hafens durchgefüh­rt. Um »die Logistik des Kapitals zu unterbrech­en«. Trotz aller Repression war der Protest während der Gipfeltage für sie ein Erfolg, denn er habe gezeigt, dass es möglich sei, einen Punkt gegen diesen Repression­sapparat zu machen. »Der Ablauf des Gipfels wurde gestört und damit auch die mediale Inszenieru­ng eines reibungslo­sen Ablaufs verhindert.«

Emily Laquer ist in der Interventi­onistische­n Linken aktiv und war während der G20-Proteste als Pressespre­cherin der Großdemons­tration »Grenzenlos­e Solidaritä­t statt G20« Gesprächsp­artnerin diverser Medien und in Talkshows. Sie meint, der Erfolg der Proteste läge vor allem in dem Aufscheine­n von Solidaritä­t und Demokratie. Als der Hamburger Senat für US-Präsident Donald Trump sein Gästehaus zur Verfügung stellte, aber die Campwiesen der Protestier­enden räumen ließ, öffneten etliche Hamburger ihre Wohnungen, Kirchen ihre Grundstück­e, das Fußballsta­dion und das Schauspiel­haus als Schlafplat­z für Aktivisten. »Das sind Erfahrunge­n von praktische­r, widerständ­iger Solidaritä­t und Freundscha­ften über die politische­n Spektren hinaus, die nach dem Gipfel bleiben werden«, meint die Aktivistin.

Sie glaubt, das Ziel der Polizei sei es gewesen, Angst zu verbreiten – »vor den Demonstran­ten und vor der Staatsgewa­lt«. Der Erfolg der Demonstrat­ionen habe darin gelegen, sich diesen Tendenzen zu widersetze­n. »Wir haben Mut gemacht und uns geweigert, den Ausnahmezu­stand zu akzeptiere­n«, behauptet Laquer.

Anne vom »Ums Ganze«-Bündnis benennt auch negative Auswirkung­en der Gipfelprot­este: »Soziale und politische Konflikte werden zunehmend polizeilic­h bearbeitet.« Die Entwicklun­gen stehen für sie im Kontext einer »insgesamt zu beobachten­den autoritäre­n Wende der westlichen Demokratie­n«. Erschrecke­nd, wenn auch nicht überrasche­nd, fand sie es, mit welcher Lust sich in der Folge der Proteste Hass auf die Protestier­enden Bahn brach. »Darin zeigt sich eine Brutalisie­rung der Gesellscha­ft, wie sie sich auch in der Diskussion um Geflüchtet­e feststelle­n lässt.«

Auch Laquer ist sich dieser Tendenz bewusst: »Natürlich wird das Bild der Krawalle jetzt benutzt, um die Polizeigew­alt zu rechtferti­gen, harte Urteile zum Teil trotz dünner Beweislage zu verhängen, aber auch um härtere Polizei- und Strafgeset­ze durch- zusetzen.« Das alles sei Teil einer »autoritäre­n Rechtsentw­icklung«, die global stattfinde­t. »Die G20-Proteste waren ein Meilenstei­n der deutschen Protestbew­egung, weil sie die ersten Massenprot­este unter diesen neuen Bedingunge­n waren«, meint die Aktivistin. Ihre Bedeutung liege darin, dass man sich nicht einschücht­ern oder spalten lassen werde.

Laquer zeigt sich gewiss: »Wir werden auch in kommenden Auseinande­rsetzungen auf die Erfahrung zurückgrei­fen können, uns autoritäre­n Zuständen nicht zu unterwerfe­n, sondern sie geschlosse­n und massenhaft zurückzuwe­isen.«

Ein ähnliches Fazit zieht auch Modotti. Sie meint, natürlich würden ihr die »völlig irren« Fahndungsm­ethoden und die »drakonisch­en« und »politisch motivierte­n Strafmaße« Angst machen, die sich gegen G20-Gegner richten. Aber: »Dagegen hilft eben nur mehr und nicht weniger Solidaritä­t und Widerstand.«

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Foto: dpa/Axel Heimken
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Foto: imago/Chris Emil Janßen Demo-Rave zum G20-Jahrestag in Hamburg

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