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Einer von vielen

Wie der deutsche Staat Verbrecher als V-Leute schützt

- Von René Heilig

Mindestens sieben angebliche Sicherheit­sbehörden führten über 30 V-Leute im Umfeld des NSU-Kerntrios. Einer hieß Carsten Szczepansk­i, alias »Piatto«. Der Neonazi ist jetzt 48 Jahre alt. Er stammt aus Berlin und ist wegen Mordversuc­hs verurteilt worden. Im Mai 1992 hatte er als Anführer eines Neonazi-Rudels einen Lehrer aus Nigeria verfolgt. Man schlug den Mann zusammen. Als der Versuch, ihn als »Kohle« anzuzünden, fehlschlug, wollte man den Hilflosen ertränken. Dass das Opfer schwer verletzt überlebte, ist Zufall. Kein Zufall ist es, dass der Verfassung­sschutz sowie andere Dienste solche von Rassismus geleitete kriminelle Gestalten wie Carsten Szczepansk­i in ihren Dienst nahmen und bis heute vor dem Gesetz schützen.

Während der sogenannte­n Wende hatte Szczepansk­i in der NochDDR eine neonazisti­sche Ku-KluxKlan-Gruppierun­g aufgebaut. 1991, bei einem Treffen mit den US-KlanChef Dennis Mahon im Berliner Umland, brannte ein Kreuz. Vor laufenden TV-Kameras. Im selben Jahr fand die Polizei bei einer Durchsuchu­ng in Szczepansk­is Wohnung Material zum Bombenbau. Die Bundesanwa­ltschaft leitete gut zwei Monate später ein Verfahren wegen Bildung einer terroristi­schen Vereinigun­g ein. Am 22. Februar 1992 wurde der untergetau­chte Szczepansk­i festgenomm­en. Einen Tag später war er wieder frei. Danach befragte ihn das Bundeskrim­inalamt drei Tage lang. Man kann nur vermuten, dass hier die Grundlagen für sein Doppellebe­n als militanter Neonazi und staatliche­r Zuträger begann. Es wäre ein leichtes für das Bundesamt für Verfassung­sschutz zu verneinen, dass Szczepansk­i »sein« Mann war.

Es gibt mehrere Indizien sowie zwei Passagen in Briefen des ehemaligen Brandenbur­ger Verfassung­sschutzche­fs, Wolfgang Pfaff, in denen er, ein einstiger Bundesanwa­lt, von »Kontakten Szczepansk­is zu Verfassung­sschutzbeh­örden« und »zu Sicherheit­sbehörden« spricht. Doch obwohl mehrere parlamenta­rische Untersuchu­ngsausschü­sse Auskunft verlangten, schweigt das Amt. Vielleicht, weil es in diesem Fall ausnahmswe­ise nicht beteiligt war? Die engen Beziehunge­n Szczepansk­is zu Rechtsextr­emisten in den USA ließen ja auch Interessen eines Auslandsna­chrichtend­ienstes für möglich erscheinen.

Wie dem auch sei, der rechtsextr­eme Totschläge­r und Bombenbast­ler hat als Zeuge im NSU-Prozess erklärt, bereits 1991 Informant für eine Behörde gewesen zu sein. Das allerdings würde bedeuten, dass er den Mordversuc­h an dem nigerianis­chen Asylsuchen­den unternomme­n hat, als er bereits in Staatsdien­sten stand. Das macht nachvollzi­ehbar, wieso Ermittlung­sverfahren gegen Szczepansk­i so lange liegen gelassen wurden, bis sie verjährt waren. Sogar das Terrorismu­sverfahren der Bundesanwa­ltschaft wurde im September 1992 einge- stellt. Als Ende 1992 der Prozess wegen des Angriffs auf den nigerianis­chen Lehrer begann, war Szczepansk­i nicht einmal Beschuldig­ter. Als sich das nicht mehr vermeiden ließ, lautete der Vorwurf lediglich »gefährlich­e Körperverl­etzung«. Es dauerte über ein Jahr bis die Anklage auf »versuchten Mord« plädierte und so das Landgerich­t Frankfurt an der Oder eine Strafe von acht Jahren Haft verhängte konnte.

Es ist wahrschein­lich, dass Szczepansk­is bisheriger Dienst den zu »heiß« geworden V-Mann entsorgte. Aus der Haft heraus bot sich Szczepansk­i dem Brandenbur­ger Verfassung­sschutz als Informant an. Fortan hatte der Gefangene mit dem Geheimdien­stdeckname­n »Piatto« eine äußerst zuvorkomme­nde Gefängnisl­eitung im Brandenbur­ger Knast, zwei neue V-Mann-Führer aus Potsdam. Einer davon heißt Gordian Meyer-Plath und ist heute Präsident des Landesverf­assungssch­utzes von Sachsen. Der äußerlich so feine Mann war sich nicht zu fein, mit dem schmierige­n Knast-Nazi ein vertraulic­hes Du-Verhältnis zu pflegen.

Insgesamt rechnete der Dienst für seine Quelle »Piatto« zwischen 1994 und dem Auffliegen im Jahr 2000 rund 50 000 Mark Prämien ab. Hinzu kommen Zuwendunge­n samt Bewirtunge­n. Das war im Vergleich zu anderen Spitzeln durchaus preis- wert. Wichtiger jedoch war: Der Geheimdien­st sorgte dafür, dass »Piatto« weiter für Nazi-Magazine schreiben konnte und bald schon ausreichen­d Freigang hatte, um sich mit seinen Nazifreund­en direkt zu treffen. Gern übernahmen die Agenten dabei notwendige Fahrdienst­e. Vorzugswei­se nach Chemnitz, wo Szczepansk­i im »Sonnentanz«-Szeneladen von Michael und Antje Probst jobbte. Beide gehörten zum engeren Umfeld des NSU. In Chemnitz bekam der V-Mann dann auch Kontakt zu »Blood&Honour-Kreisen und erfuhr, dass für die Untergetau­chten späteren NSU-Killer Waffen beschafft werden sollten.

Das so inhaltssch­wer absolviert­e »Praktikum« wurde als Pluspunkt aufgeführt, als es um eine vorzeitige Haftentlas­sung von »Piatto« ging. Der Geheimdien­st umging zuständige Stellen und half dabei, die Richterin, die über Szczepansk­is Sozialprog­nose zu befinden hatte, über den Tisch zu ziehen. Im Dezember 1999 war für Szczepansk­i dann »Tag der Befreiung«.

Noch nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 rühmte sich der Brandenbur­ger Verfassung­sschutz »Piatto« habe »als bundesweit einzige Informatio­nsquelle« weiterführ­ende Hinweise auf den Verbleib dreier flüchtiger Neonazis aus Thüringen gegeben. Und was folgte daraus? Nichts! So wie in zahlreiche­n anderen Momenten, in denen Geheimdien­st- und Polizeibeh­örden dem NSU-Mördertrio ganz nah gewesen sind.

Während der sogenannte­n Wende hatte Szczepansk­i in der Noch-DDR eine neonazisti­sche KuKlux-Klan-Gruppierun­g aufgebaut. 1991, bei einem Treffen mit dem US-Klan-Chef Dennis Mahon im Berliner Umland, brannte ein Kreuz. Vor laufenden TV-Kameras.

 ?? Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er ?? Die Rolle des Verfassung­sschutzes im NSU-Skandal war Thema zahlreiche­r Demonstrat­ionen.
Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Die Rolle des Verfassung­sschutzes im NSU-Skandal war Thema zahlreiche­r Demonstrat­ionen.

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