Aktivist*innen gehen auf die Straße
Demonstrationen und Straßenumbenennungen
Wenn am Mittwoch das Urteil gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte gesprochen wird, soll die Arbeit erst richtig losgehen. »Alle Hoffnungen, die in den Prozess gelegt wurden, sind enttäuscht worden. Deshalb kann das Ende des Prozesses nur den erneuten Beginn des Kampfes um Aufklärung des NSU-Komplexes bedeuten«, so Antje Weerstand, Sprecherin vom Bündnis »Irgendwo in Deutschland« gegenüber »nd». Seit mehreren Monaten mobilisieren Aktivist*innen zu Demonstrationen am Tag der Urteilsverkündung. Am Mittwoch soll in München, wo der Prozess stattfindet, eine bundesweite Demonstration starten. Doch auch in vielen anderen Städten sind Proteste geplant. Die Forderung: »Kein Schlussstrich. NSU-Komplex aufklären.«
»Den NSU gibt es noch«, meint Rob Seedorf, Mitorganisator der Demonstration in Berlin. Recherchen zeigen, dass der NSU auf ein großes Netzwerk zurückgreifen konnte. Eine große Zahl der Unterstützer*innen der Terrorgruppe sind weiterhin auf freiem Fuß und militante Nazistrukturen bestehen vielerorts ungestört weiter. Weerstand meint: »Es wuchert fort, was zur Zeit des NSU entstand.« Der NSU gründete sich in einem Klima des gesellschaftlichen Rassismus. »Die Terrorgruppe stärkte ihre Überzeugung, das Land im Sinne der Mehrheit mit Gewalt zu verändern, aus dem Zuspruch zu den rassistischen Pogromen der 1990er Jahre wie in Hoyerswerda oder Lichtenhagen.«, meint Seedorf. »Nicht erst seit den Pogromen von Heidenau und Freital sehen wir wieder solche Entwicklungen.«
Für die Aktivist*innen müsse es auch darum gehen, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Nach den NSU-Morden gingen Angehörige der Mordopfer unter dem Motto »Kein 10. Opfer!« in Dortmund und Kassel auf die Straße. Linke Gruppen beteiligten sich nicht an den Schweigemärschen und ignorierten viel zu lang die Forderungen der migrantischen Angehörigen. »Das ist schockierend und hätte so nicht passieren dürfen«, meint Weerstand. »Man ließ sich von der medialen Debatte genauso wie die restliche Gesellschaft beeinflussen und ignorierte die rassistische Motivation der Mordserie. Die Linke muss sich auch mit ihrem eigenem Rassismus auseinandersetzen.«
Während sich das Bündnis »Kein Schlussstrich!« auf die bundesweiten Demonstrationen vorbereitet, haben Aktivist*innen der Interventionistischen Linken (IL) einen Tag vor Urteilsverkündung in mehr als 20 Städten rund 200 Straßen nach den Opfern des NSU umbenannt. »Wir wollen mit der Aktion die Opfer in den Mittelpunkt rücken«, sagt Frank Gerber. Bei vielen Straßen sei dies sowieso »längst überfällig« gewesen, da sie NS-belastete Namen gehabt hätten. Außerdem seien die Umbenennungen auch eine Forderung der Angehörigen der NSUOpfer gewesen. Zwar wurden in einigen Städten bereits Straßen nach NSU-Opfern umbenannt, allerdings sei dies erst nach massivem Protest geschehen. Und in Hamburg war nicht etwa die Schützenstraße umbenannt worden, wo Süleyman Taşköprü ermordet wurde, sondern eine nahe gelegene Gasse in einem Industriegebiet, »wo niemand vorbeikommt«. Gerber meint: »Das ist eine Farce.«