»Für mich ist der NSU nicht vorbei«
Die thüringische Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss über den NSU-Komplex und die Rolle der Behörden
Am Mittwoch wird das Urteil gegen Beate Zschäpe und vier der mutmaßlichen NSU-Unterstützer gesprochen. Ist danach das Kapitel NSU abgeschlossen?
Das Kapitel NSU ist danach definitiv nicht abgeschlossen und es darf auch nicht abgeschlossen sein. Wenn man mit dem Prozessende auch ein Ende der Aufklärung des NSU-Komplexes verbindet, würde das bedeuten, dass mögliche Mittäter ungestraft davonkommen. Und das betrifft nicht nur Neonazis. Auch Sicherheitsbehörden haben durch Nichtagieren, durch Verschleiern und durch Vertuschen zu den Morden beigetragen.
Der Prozess konnte also den NSUKomplex nicht aufklären?
Die Nebenklage-Anwälte haben durch mehrere Beweisanträge versucht, das Unterstützernetzwerk und die Verwicklung der Sicherheitsbehörden zu thematisieren. Allerdings ist ein Großteil der Beweisanträge abgelehnt worden. Das Gericht hatte sich auf die These der Anklageschrift gestützt: nach dieser bestand der NSU aus drei Personen und vier haben ihm geholfen. Im Laufe der vergangenen fünf Jahre ist dabei deutlich geworden, dass es weitaus mehr Unterstützer gegeben hat.
Von wie vielen Unterstützern gehen Sie bundesweit aus?
Ich würde von 100 bis 200 Personen ausgehen. Deren Hilfe umfasst beispielsweise finanzielle Unterstützung am Anfang des Untertauchens. Aber da sind definitiv auch Personen da- bei, die die Drei in der späteren Zeit unterstützt haben, möglicherweise sogar bei der Auswahl der Tatorte und der Opfer.
Warum hielt die Bundesanwaltschaft trotz Indizien für ein Netzwerk an der These des Trios fest? Die einzige Erklärung, die ich habe, ist, dass man den Prozess nur an der Anklageschrift ausgerichtet hat, welche von einem isolierten Terrortrio, das von wenigen Personen Unterstützung erhielt, ausgeht. Zumindest die fünf Personen, die man vor Gericht stellen konnte, wollte man wohl rechtssicher verurteilen. Dass man darüber die entscheidenden Fragen – auch die der Angehörigen – ignoriert, hatte bei der Formulierung der Anklageschrift 2012/13 keine Rolle gespielt.
Wie bewerten Sie das Verhalten der Sicherheitsbehörden im Prozess? Angela Merkel hatte 2012 versprochen, dass es eine Aufklärung geben wird und dass diese transparent und umfassend ist. Genau das haben die Sicherheitsbehörden – zuallererst der Verfassungsschutz der Länder wie auch des Bundes – hintertrieben. Sie haben verhindert, dass es eine umfassende Aufklärung geben kann.
Geht es dem Verfassungsschutz nur um seinen Quellenschutz?
Es wird nach außen immer verbreitet, dass es nur um den Quellenschutz geht. Es ist auch definitiv so, dass Verfassungsschutzbehörden den Quellenschutz vor den Opferschutz stellen. Allerdings ist das für mich kein ausreichendes Argument, um die Aufklärung so massiv zu verhindern. An der Stelle können wir alle nur spekulieren, was die weiteren Gründe sein könnten. Möglicherweise wussten die Behörden mehr, als über die bisherigen Akten bekannt ist, möglicherweise hatten sie bisher unbekannte Informationen zum Untertauchen des NSU, zu seinem Aufenthalt, zu seinen Unterstützern. Von wie vielen V-Leuten im Umfeld des NSU kann man grob ausgehen? Aus den Untersuchungsausschüssen, durch investigative Journalisten und antifaschistische Gruppen ist das Ausmaß der V-Leute im NSU-Komplex offensichtlich geworden. Zwischen 35-45 V-Leute agierten im Umfeld oder gar direkt am Kerntrio des NSU. Eingeschlossen ist bei der Rechnung sowohl die Zeit vor dem Untertauchen als auch im Untergrund.
Welche Rolle spielte die Nebenklage für die Aufarbeitung?
Ohne die Nebenklage hätte es viele Fragen, die den Angehörigen wichtig sind, im Prozess gar nicht gegeben. Die Nebenklage hat in dieser Hinsicht eine Wahnsinnsarbeit geleistet, auch wenn ihre Beweisanträge immer wieder zurückgewiesen wurden. Den Angehörigen, die im Prozess gesprochen hatten, wurde auch intensiv zugehört. Das führte jedoch nicht dazu, dass ihre Worte im weiteren Verlauf noch eine Rolle gespielt hätten. Auf einer emotionalen Ebene nahm man sie wahr, Konsequenzen wurden jedoch unterbunden.
Zum Schluss des Verfahrens hatte Zschäpe behauptet, sich von den NSU-Verbrechen zu distanzieren. Wie wirkte das auf Sie?
Für mich war das keine Distanzierung – und alle, die ihr das abgenommen haben, fallen auf sie herein. Wenn man ihre Worte in eine Ideologie der extrem rechten Szene einordnet, hatte sie am Ende nichts anderes gesagt als »meine Ehre heißt Treue«. Sie hat null dazu beigetragen, in irgendeiner Form die Aufklärung voranzutreiben oder den Angehörigen Respekt zu erweisen, indem sie ihnen zumindest Teile ihrer Fragen beantwortet.
Welche Rückschlüsse müssen Antifaschisten aus dem NSU-Komplex ziehen?
Die erste Konsequenz ist, dass man Sicherheitsbehörden nicht vertraut. Jede Aktivität von ihnen ist zu hinterfragen. Die zweite Konsequenz heißt anzuerkennen, dass wir als antifaschistische, antirassistische Bewegung bezüglich der NSU-Morde komplett versagt haben. Daraus muss folgen, dass wir uns öffnen und die Zusammenarbeit mit migrantischen Gruppen suchen. Dafür ist es notwendig, dass wir von unserem elitären weißen Ross herunterkommen und uns selbst sowie unsere Strukturen hinterfragen. Das ist bis heute nur in Teilen der Linken der Fall. Die Dritte Konsequenz: Antifaschismus bleibt weiterhin notwendig, wir dürfen angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht einknicken.
Welche Gefahr geht derzeit von neonazistischen Terroristen aus? Für mich ist der NSU nicht vorbei. Welchen Namen er jetzt trägt, spielt für mich nur eine nachgeordnete Rolle. Das was der NSU getan hat, machen jetzt andere Gruppen und Einzelpersonen, haben andere vor ihm gemacht, werden andere nach ihm machen.