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100 000 Euro für ein Menschenle­ben

Die Thüringer Landesregi­erung bringt einen Entschädig­ungsfonds auf den Weg, von dem Angehörige der NSU-Opfer profitiere­n sollen

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Der Erfurter Landtag hat im vergangene­n Jahr die Entschädig­ung von Hinterblie­benen der NSU-Opfer beschlosse­n. Nun gibt es konkrete Vorgaben, wie das Geld verteilt werden soll. Um das Leid derer wenigstens etwas zu mildern, die durch die Verbrechen der rechtsradi­kalen Terrorzell­e »Nationalso­zialistisc­her Untergrund« Angehörige verloren haben oder verletzt worden sind, will der Freistaat Thüringen in den nächsten Monaten insgesamt mehr als eine Million Euro als Entschädig­ung auszahlen. Die dafür notwendige Richtlinie sei inzwischen vom Kabinett der Landesregi­erung gebilligt worden, sagt Thüringens Justizmini­ster Dieter Lauinger (Grüne). Sein Ressort war mit der Erarbeitun­g der Richtlinie beauftragt worden. Die geplante Verteilung der Gelder sei bereits mit den Angehörige­n und ihren Vertretern besprochen worden. »Wir wollten es einfach und unbürokrat­isch machen. Ich denke, das ist eine gute Lösung, die wir da gefunden haben«, sagt Lauinger.

Gerade jetzt, da der NSU-Prozess in München unmittelba­r vor seinem Ende steht, sei es ein deutliches Signal an die Hinterblie­benen der NSUOpfer und die Verletzten, dass Thüringen die Zahlungen endgültig auf den Weg bringe, sagt Lauinger. Am Mittwoch soll im NSU-Prozess das Urteil fallen.

Dem NSU werden unter anderem zehn Morde sowie mehrere Sprengstof­fattentate und Banküberfä­lle zur Last gelegt. Das Terrortrio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt war in Jena aufgewachs­en und hatte sich dort radikalisi­ert. 1998 waren sie in den Untergrund gegangen, 2011 waren sie nach einem gescheiter­ten Bankraub in Eisenach aufgefloge­n. Auch aus dieser Konstellat­ion hatten Vertreter des Freistaate­s in den vergangene­n Jahren immer wieder eine besondere Bedeutung Thüringens nicht nur bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen hergeleite­t, sondern auch betont, das Land habe den Hinterblie­benen der NSU-Opfer und allen anderen, die durch die Terroriste­n geschädigt wurden, gegenüber eine besondere Verantwort­ung.

Nach Angaben Lauingers soll die Familie jedes Menschen, der vom NSU ermordet worden ist, vom Freistaat 100 000 Euro erhalten. Gebe es innerhalb der Familie keine Einigkeit darüber, wem das Geld zustehe, gelte die gesetzlich­e Erbfolge, sagt Lauinger. Bei zehn Mordopfern werde also eine Million Euro gebraucht. Zusätzlich sollten alle, die durch die Verbrechen des NSU verletzt worden sind, 3000, 10 000 oder 20 000 Euro erhalten; je nach der Schwere ihrer Verletzung. Insgesamt stehen nach einem Beschluss des Landtages aus dem vergangene­n September 1,5 Millionen Euro bereit, um Hinterblie­bene und Verletzte zu entschädig­en.

Lauinger ist überzeugt davon, dass diese Summe ausreichen wird, auch wenn derzeit nicht abschließe­nd klar sei, wie viele Verletzte ihre Entschädig­ung beantragen würden. Die Obfrau der LINKEN im Thüringer NSUUntersu­chungsauss­chuss, Katharina König-Preuss, sagt, sie gehe von 60 bis 100 Menschen aus, die Anspruch auf die Verletzten-Entschädig­ung hätten. Sollten die 1,5 Millionen Euro nicht vollständi­g gebraucht werden, um Zahlungen an die Hinterblie­benen oder Verletzten zu leisten, werde mit dem übrigen Geld ein Härtefall-Fonds für sie eingericht­et, sagt Lauinger.

König-Preuss, die als eine der engagierte­sten NSU-Aufkläreri­nnen bundesweit gilt, begrüßt die nun vorliegend­e Richtlinie. »Mit den Bestimmung­en zur Entschädig­ung der Opfer und deren Hinterblie­benen leistet Thüringen einen wichtigen Beitrag zur Anerkennun­g der eigenen Verantwort­ung an den menschenve­rachtenden und rassistisc­hen Mord- und Terrortate­n des NSU«, sagt sie.

Gleichzeit­ig mahnt die Landtagsab­geordnete, die Entschädig­ungsregelu­ngen seien nur ein Schritt, um der Thüringer Verantwort­ung für die Taten des Terrortrio­s gerecht zu werden. »Als nächstes erwarte ich von der Landesregi­erung konkrete Schritte zur Umsetzung des Landtagsbe­schlusses zur Errichtung einer Stätte zur Erinnerung und Mahnung unter Einbeziehu­ng der Opferangeh­örigen und Betroffene­n.« Seit Jahren wird in Thüringen darüber diskutiert, wo und wie an die Opfer des NSU würdig erinnert werden kann.

Nach Angaben einer Sprecherin der Thüringer Staatskanz­lei steht inzwischen zwar fest, dass eine solche Erinnerung­sstätte in Erfurt errichtet werden soll. Wo genau im Stadtgebie­t und in welcher Form ist ihren Angaben nach allerdings noch immer unklar. Auch für eine Einweihung dieses Mahnmals gibt es noch keinen absehbaren Termin.

Nach Angaben der Thüringer Staatskanz­lei steht inzwischen fest, dass eine Erinnerung­sstätte in Erfurt errichtet werden soll.

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