Umkämpfte Erinnerungskultur
Das Gedenken an die Opfer des NSU wurde und wird den Betroffenen oft nicht leicht gemacht. Beispiel Keupstraße
In der Kölner Keupstraße ringen Anwohner und Betroffene des Nagelbombenanschlags um die Platzierung eines Mahnmals, das auch eine aktive Begegnungsstätte werden soll. Mit dem Ende des NSU-Prozess schließt vorläufig ein Kapitel der deutschen Justizgeschichte. In Nordrhein-Westfalen verübte das Netzwerk einen Mord und zwei Sprengstoffanschläge. Am 9. Juni 2004 ließ die rechtsterroristische Gruppe eine Nagelbombe vor einem Friseursalon von türkischen Inhabern hochgehen. 22 Menschen wurden dabei verletzt, vier davon schwer. Seit der Selbstenttarnung des NSU 2011 wurde in der Kölner Keupstraße für ein Mahnmal geworben. Der Kampf um eine Erinnerungsstätte an die Taten des NSU, die rassistischen Ermittlungen und die Berichterstattung gegen die Opfer des Anschlages, wird hier wortwörtlich um jeden Zentimeter geführt. Seit Februar 2014 steht fest, dass am Eingang zur Keupstraße, wo heute ein ehemaliger Güterbahnhof steht, ein Mahnmal entstehen soll. Das Vorhaben wird derzeit aber von den Eigentümern des Grundstückes blockiert. Es sollen zwei fünfstöckige Hochhäuser gebaut werden.
Vor allem die Größe des Mahnmals ist Eigentümervertreter Bernd Odenthal ein Dorn im Auge. Der Künstler Ulf Aminde, der das Mahnmal entworfen hat, will die Bodenplatte des attackierten Hauses in Originalgröße, parallel auf die Ecke am Eingang der Keupstraße kopieren. Von der Stadt Köln und den Vertretern der Keupstraße wurde der Vorschlag in einem Wettbewerb einstimmig angenommen. »Wenn hier ein Haus angegriffen wird, dann bauen wir einfach ein zweites«, ist die Message, die deutlich machen soll, wie sich die Betroffenen und Anwohner der Keupstraße das Gedenken vorstellen. An der Bodenplatte soll dafür WLAN angebracht, über eine App den Besuchern die Wände angezeigt werden, die aus Filmen bestehen und sich mit dem NSU-Komplex oder Alltagsrassismus beschäftigen. An der Gestaltung der Wände sollen alle Besucher und Anwohner teilhaben können. Das Mahnmal soll so »ein Ort der Begegnung« für unterschiedliche Menschen in der Gesellschaft werden und rassistische Ressentiments abbauen.
Das Mahnmal soll auch dazu aufrufen, über den NSU hinaus zu denken und die Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Mitat Özdemir von der »Initiative Keupstraße ist überall« ist von dem Vorschlag begeistert. »Ich erträume mir, dass da ein Platz für meine Enkel und Urenkel ist, an dem sie sich mit vielen Menschen treffen und informieren«, erklärt er. So wichtig Özdemir die Erinnerung an den Anschlag findet, so wichtig findet er auch zu thematisieren, was danach passierte. 2006 versuchte er als Vorsitzender der Interessensgemeintschaft Keupstraße (IG Keupstraße) mit Nachbarn, Vereinen und der Politik Kontakt aufzunehmen. »Wir wa- ren am Boden und hatten Angst vor weiteren Bomben«, sagt er. Sein Vertrauen in die Gesellschaft war weg: »Niemand wollte aufnehmen, was wir im Herzen tragen. Das war über sieben Jahre lang wie die Hölle.« Auch das spiele in der gesellschaftlichen Erinnerung eine große Rolle. Es dürfe nicht nur um die Taten des NSU gehen, sondern auch um das Leben der Betroffenen und Angehörigen.
Der Bau des Mahnmals liegt jedoch auf unbestimmte Zeit auf Eis. So lange bis sich die Stadt Köln, die Vertreter der Keupstraße und die Eigentümer des Grundstückes einigen. In einem Werkstattverfahren der Stadt Köln wurde 2014 über die architektonische Umsetzung der neuen Gebäude entschieden, in die auch mögliche Standorte für das Mahnmal einflossen. Özdemir wünscht sich, dass die Bodenplatte direkt am Eingang der Keupstraße eingelassen wird. »Wir haben uns für das Mahnmal an diesem Ort entschieden, weil es zukunftsorientiert ist und dort ein öffentlicher Platz entstehen würde, der die Besucher in die Straße einlädt«, erklärt er.
Die Eigentümer des Grundstückes lehnen das ab. Zwar stünden sie dem grundsätzlichen Vorhaben positiv gegenüber, in das Verfahren zur Findung des Mahnmals sei man aber nicht eingebunden gewesen. »Wir sind Anfang 2017, bei der Vorstellung des Ergebnisses und des Standorts, vor vollendete Tatsachen gestellt worden«, sagt Odenthal. Das bestreiten sowohl Özdemir als auch Aminde. Spätestens seit dem Werkstattverfahren seien die möglichen Standorte klar gewesen, sagen sie.
Die derzeit wahrscheinlichste Lösung von der Kölner Stadtverwaltung sieht vor, dass die Fassade der Neubauten um fünf Meter zurück geschoben wird. Das Mahnmal soll dann in einem Weg zwischen den neuen Gebäuden eingesetzt, aber bis zur Keupstraße vorgezogen werden. Zufrieden ist damit allerdings niemand. Meral Sahin, die Vorsitzende der IG Keupstraße, war ebenfalls am Prozess zur Findung des Mahnmals beteiligt, steht in engem Kontakt mit Aminde. Sie will durchsetzen, dass das Mahnmal weiterhin an die Ecke am Eingang zur Keupstraße kommt: »Auf dem Boulevard wird es nur eine Betonplatte sein, deren Funktion kaum ersichtlich und die dem Anspruch des Mahnmals nicht gerecht wird.« Die Vertreter der Keupstraße befürchten, dass es sonst nicht zum Ort der gesellschaftlichen Begegnung wird. Der sei in Amindes Vorschlag immens wichtig, um den Opfern des NSUKomplexes ein Stück mehr Gerechtigkeit zuzuführen.