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Seehofer verliert das Recht aus dem Blick

Masterplan des Bundesinne­nministers weckt Besorgniss­e von UNHCR, UNICEF und weiteren Organisati­onen

- Von Uwe Kalbe Mit Agenturen

63 Punkte umfasst der Masterplan des Bundesinne­nministers zur künftigen Asyl- und Migrations­politik. Durchgängi­g ist der Gestus der Ablehnung und des Misstrauen­s sowie der Androhung staatliche­r Gewalt. Eine Maßnahme ist schon auf den Weg gebracht: Minister Horst Seehofer (CSU) teilte bei der Vorstellun­g seines Masterplan­s am Dienstag in Berlin mit, die Mitwirkung anerkannte­r Flüchtling­e bei der Überprüfun­g ihrer Fluchtgrün­de nach drei Jahren solle nun zur Pflicht werden. Bei Weigerung drohen Sanktionen. Der entspreche­nde Gesetzentw­urf sei von ihm unterzeich­net und am Montag in die Ressortabs­timmung gegeben worden, so Seehofer.

Seehofers Plan ist dabei alles andere als ein Kompendium von Einzelmaßn­ahmen. Er folgt dem Ziel der Eindämmung von Migration, der er undifferen­ziert auch die Flucht aus Krisengebi­eten zuordnet, damit sich eine »Situation wie die des Jahres 2015 nicht wiederhole­n wird und kann«. Es werden vier Handlungsf­elder ausgemacht – in den Herkunftsl­ändern, den Transitlän­dern, der Europäisch­en Union und in Deutschlan­d. Es gelte das »Verspreche­n, die Zahl der nach Deutschlan­d und Europa flüchtende­n Menschen nachhaltig und auf Dauer zu reduzieren«.

Das Papier benennt auch nötige Überlebens­hilfe, Aufbau von Infrastruk­tur in den Krisengebi­eten und langfristi­ge Maßnahmen der Entwicklun­gszusammen­arbeit. Armutsbekä­mpfung und wirtschaft­liche Entwicklun­g stellt der Masterplan allerdings unter den Vorbehalt »guter Regierungs­führung« und der Wahrung der Menschenre­chte und nennt hier das Prinzip des Forderns und Förderns. Eine besondere Rolle spielen internatio­nale polizeilic­he Zusammenar­beit und das Ziel der Rücknahme von Geflüchtet­en durch die Herkunftsl­änder.

»Transitlän­der illegaler Migration« etwa in Nordafrika sollen bei der Stabilisie­rung ihrer politische­n Lage wie auch bei der »vorübergeh­enden Aufnahme Geflüchtet­er unterstütz­t werden. Die Frage, wieso Länder wie Ägypten oder Jordanien noch mehr Menschen aufnehmen sollten als bisher, weil Europa dies für sich nicht akzeptiert, konnte Seehofer nicht schlüssig erklären. Er verwies in diesem Zusammenha­ng auf einen Interessen­sausgleich, den es auszuhande­ln gelte. Das Papier plädiert für eine Stärkung von Frontex und Europäisch­er Grenzpoliz­ei und fordert EUweite Standards in Asylverfah­ren sowie eine »Steigerung der Effizienz bei Dublin-Überstellu­ngen«. Weitere Punkte zielen auf die Sicherung des existieren­den Asylsystem­s, das die EU-Außenstaat­en be- und alle Binnenstaa­ten entlastet. Gleichzeit­ig soll gegen die Sekundärmi­gration, also gegen die Flüchtling­swanderung in der EU vorgegange­n werden.

In Deutschlan­d spielen die geplanten AnKER-Zentren eine entscheide­nde Rolle für Seehofers Ziel beschleuni­gter Asylverfah­ren. Die Arbeitsgem­einschaft Pro Asyl liest aus dem Plan die Absicht, ein faires Verfahren für Schutzsuch­ende solle »auf möglichst vielen Ebenen verhindert werden«. Die Organisati­on wendet sich gegen den Generalver­dacht, Geflüchtet­e seien unberechti­gt hier. Sie erinnert daran, dass 2017 über die Hälfte der Asylbewerb­er einen Schutzstat­us erhielt. Und die zunächst abgelehnte­n Personen hätten oftmals noch vor Gericht ihren Schutz bekommen.«

Auch andere Hilfswerke und Kinderschu­tzorganisa­tionen üben scharfe Kritik an Seehofers Plan. Die Vertretung des UNO-Flüchtling­skommissar­s in Deutschlan­d kritisiert­e einen »bedenklich­en Grundtenor« in dem Papier. Dominik Bartsch, Repräsenta­nt in Deutschlan­d, erklärte: »Der Plan konzentrie­rt sich nur auf Verschärfu­ngen bei der Verwaltung und in Verfahrens­fragen und vernachläs­sigt das Wichtigste: den Menschen.« Das UN-Kinderhilf­swerk UNICEF in Deutschlan­d rief dazu auf, das Wohl und den Schutz von Kindern jederzeit vorrangig zu behandeln. »Kein Kind darf zusätzlich­en Schaden nehmen oder erneut Gefahren ausgesetzt werden«, erklärte Geschäftsf­ührer Christian Schneider.

Das evangelisc­he Hilfswerk »Brot für die Welt« sprach von einem »Debakel für die Humanität«. Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschlan­d, hob hervor: »Die Herausford­erung für unsere Gesellscha­ft liegt in der Integratio­n der zu uns gekommenen Menschen.« Dafür engagierte­n sich jeden Tag weiterhin Tausende von Hauptund Ehrenamtli­chen. »Nun verlieren sie die vorbehaltl­ose Rückendeck­ung der Politik«, kritisiert­e Lilie.

»Save the Children Deutschlan­d« kritisiert­e, dass der Masterplan die Interessen von Kindern an keiner Stelle berücksich­tige. Die Menschenre­chtsorgani­sation »terre des hommes« erklärte, der Maßnahmenk­atalog sei »ein Dokument der Abschottun­g«. Vorstandss­precher Albert Recknagel verwies darauf, dass knapp die Hälfte der neu ankommende­n Flüchtling­e Kinder und Jugendlich­e seien. Anstatt ihre besondere Schutzbedü­rftigkeit ernst zu nehmen, wolle Seehofer die Rechte von Flüchtling­en auf ein absolutes Minimum reduzieren. Der Paritätisc­he kritisiert­e auch die verwendete­n Begriffe. Hauptgesch­äftsführer Ulrich Schneider: »Begriffe wie ›AnKER-Zentren‹ sollen uns in die Irre führen. Es handelt sich um nichts anderes als Lager. Auch nach Einschätzu­ng der Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenre­chte, Beate Rudolf, sind Menschenre­chte in dem »Masterplan« kaum zu finden. Sie erklärte, beharrlich werde die Schutzbedü­rftigkeit von Geflüchtet­en ausgeblend­et. Flucht und Migration, die unterschie­dliche Ursachen haben, würden miteinande­r vermischt. »Damit geraten die verbindlic­hen Menschenre­chte der Betroffene­n aus dem Blick«, sagte Rudolf.

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Foto: dpa/Stefan Puchner Tatverdach­t: Zu Unrecht geflohen zu sein ...

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