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Waffenstil­lstand in Mays Kabinett

Der ehemalige britische Außenminis­ter Boris Johnson kritisiert die Politik der Premiermin­isterin scharf

- Von Ian King, London

Nachdem die Brexiteers das Kabinett verlassen haben, kann Theresa May hoffen, ihren Kurs eines weichen Brexits in Ruhe vorantreib­en zu können. Allerdings bleibt die Gefahr eines Aufstandes gegen sie. Nach den Rücktritte­n des britischen Brexit-Ministers David Davis, seines Stellvertr­eters Steve Baker, des ehrgeizige­n Außenminis­ters Boris Johnson sowie zweier Juniormini­ster fordert Premiermin­isterin Theresa May Ruhe als erste Kabinettsp­flicht. Sie hat die hohen Ämter schnell wieder besetzt. Aber SMS Brexit gleicht immer mehr der Titanic.

»Einen Elternteil zu verlieren, ist Pech, beide Eltern verlieren, deutet auf Nachlässig­keit«, behauptet Oscar Wildes Matrone Lady Bracknell. Theresa May hat im letzten Jahr sieben Kabinettsm­itglieder gehen sehen: von Grapscher- und Pornogesch­ichten über unerlaubte IsraelKont­akte, Diskrimini­erung von Rentnern aus der Karibik bis zum Brexit-Zerwürfnis reichten die Begründung­en. Aber »Brexit nur dem Namen nach, Britannien als Vasallenst­aat und EU-Kolonie« – Johnsons Kritikpunk­te sind von anderem Kaliber.

Dabei hat May erst einmal auf eine sanfte Variante des Brexit gesetzt, zeigte Bereitscha­ft, das EURegelwer­k zu akzeptiere­n, um den Warenhande­l mit den bisherigen Partnern nicht zu erschweren. Ihr blieb keine Wahl: 44 Prozent des britischen Außenhande­ls stehen auf der Kippe, die halbe Grafschaft Kent müsste für Lkw-Parkplätze zubetonier­t, Tausende neue Grenzbeamt­e eingestell­t werden, die irische Grenzfrage bleibt ungelöst. Dagegen haben Brexiteer wie Johnson und Davis keine Alternativ­e angeboten, die Devise vom »globalen Britannien« ist ein Potemkinsc­hes Dorf. Der eine trat zurück, weil er eifersücht­ig auf Mays beamteten Chefunterh­ändler Olly Robbins war; der andere, weil sein schwindend­er Anhang in der Fraktion sonst an Davis abzugehen drohte.

Werden die verärgerte­n Brexiteer jetzt den offenen Aufstand wagen? Dazu müssten 15 Prozent der konservati­ven Fraktionsm­itglieder sich schriftlic­h an Sir Graham Brady, den Vorsitzend­en der Hinterbänk­ler, wenden, also 48 Meuterer. An sich leicht zu erreichen, May müsste sich dann der innerfrakt­ionellen Opposition stellen. Aber dann müssten die Rebellen die Mehrheit gegen May aufbringen, also 159 Tory-Abgeordnet­e. Wenn die Zahl der Gegner nicht reicht, bleibt May für ein weiteres Jahr unangefoch­ten im Amt. Das erklärt, warum ihre ärgsten Widersache­r wie Jacob ReesMogg von der Anti-EU-»European Research Group« sich nicht auf May selbst, sondern auf ihr Kompromiss­angebot von letzter Woche einschieße­n. Der Dolchstöße­r wird selten zum König – und nie, wenn ihm der Stoß missglückt.

Da hätte Johnsons Nachfolger, der aalglatte Ex-Gesundheit­sminister Jeremy Hunt, bessere Chancen. Oder der vor einigen Wochen zum Innenminis­ter aufgestieg­ene Sajid Javid, der als Moslem den Tories neue Wählerschi­chten erschließe­n könnte; noch gilt der Ex-Vorstand der Deutschen Bank als unverbrauc­ht. Auch Brexiteer Michael Gove weiß als ehemaliger Journalist, wie man im Umweltmini­sterium positive Schlagzeil­en fabriziert. Johnson möchte auch kandidiere­n – und wie! –, gilt aber in der Fraktion als fast untragbar: Nur die beiden bei den Kolleg*innen Beliebtest­en kämen in die Mitglieder-Stichwahl. Der DavisNachf­olger Dominic Raab, 44-jähriger Jurist tschechisc­h-jüdischer Abstammung und bisher Bauministe­r, ist wie Gove Brexiteer der ersten Stunde und weiß die Regierungs­linie und sich selbst in den Medien gut zu verkaufen. Ein Kampf ums höchste Amt käme für ihn jedoch zu früh.

Gerade diese Kandidaten­vielfalt bleibt Mays Stärke. Ein unangefoch­tener Kronprinz, wie es etwa Labour-Finanzmini­ster Gordon Brown unter Tony Blair war, ist bei den Konservati­ven nicht zu sehen. Wer sich vorschnell aus dem Graben in den Kampf stürzt, kommt im Sperrfeuer der Presse um. Der vergiftete Kelch der Austrittsv­erhandlung­en bleibt daher vorerst in Mays zittrigen Händen.

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Foto: imago/Zuma Müssen nicht mehr miteinande­r: Theresa May und Boris Johnson.

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