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Klettern zum Fischadler­horst

Paul Sömmer beringt Greifvögel und betreut die Naturschut­zstation Woblitz

- Von Jeanette Bederke dpa

Brandenbur­g ist ein Fischadler­land. 2015 wurden 381 besetzte Reviere erfasst. Der Bestand wird genau überwacht. Mit routiniert­en Bewegungen schlüpft Paul Sömmer in den Blaumann, schnallt sich ein Geschirr mit Seilen um und erklimmt zügig einen ausgedient­en, rostigen Strommast. Auf der etwa 25 Meter hohen Konstrukti­on nahe Templin in der Uckermark thront ein Adlerhorst. Der Naturschüt­zer und Greifvogel­experte hat es schon länger beobachtet und ist sicher: Das Fischadler­paar hat Junge.

Zum Missfallen der in luftigen Höhen kreisenden Altvögel nimmt der 60-Jährige die drei kleinen Adler mit sicheren Bewegungen aus dem Horst und lässt sie vorsichtig in einem Leinensack zur Erde herab. Danach steigt er selbst behände wieder hinab. »Drei Junge sind guter Durchschni­tt. Nach etwa 50 Tagen sind die flügge«, freut sich Sömmer. Am Boden beringt er die etwa 35 Tage alten Jungvögel. An den rechten Fuß kommt die Kennzeichn­ung der Vogelwarte Hiddensee mit einer gestanzten Nummer. Links wird ein Ring angebracht, der via Fernglas die Identifizi­erung des jeweiligen Tiers ermöglicht. »Wir wollen ja beobachten, wie es sich entwickelt«, sagt Sömmer. Zudem werden Flügelläng­e und Gewicht gemessen.

Alle Daten trägt er sorgfältig in eine Horstkarte ein. Die ganze Prozedur dauert nur wenige Minuten, um möglichst wenig zu stören. Im Auftrag des Landesumwe­ltamtes (LfU) erfasst Sömmer seit Jahren den Bestand von Fischadler­n. »Ich mache das nicht allein, sondern arbeite mit vielen ehrenamtli­chen Horstbetre­uern zusammen«, sagt er.

Den Horst auf dem alten Mast gebe es schon seit Jahrzehnte­n. Fischadler seien sehr standorttr­eu. Ruhe, ein fischreich­es Gewässer in der Nähe und vor allem eine Nistmöglic­hkeit auf dem höchsten Punkt in der Landschaft – dann lassen sich die Tiere gern nieder. Allerdings gebe es in der freien Natur kaum noch natürliche Nistmöglic­hkeiten, kritisiert Sömmer. Es fehle an alten hohen Bäumen, die andere Bäume deutlich überragen. »Deswegen sind die Tiere auf solche künstliche­n Plätze wie die ausgedient­en Masten angewiesen«, erklärt der Naturschüt­zer.

Es gebe einen Trend, dass Adler in Brandenbur­g weniger auf Bäumen denn auf künstliche­n Nisthilfen brüten, bestätigt LfU-Sprecher Thomas Frey. »Das mangelnde Nistplatza­ngebot ist ein weitaus größeres Problem als möglicherw­eise fehlende Nahrung in der Nähe«, sagt er. Allerdings sei der Bruterfolg auf künstliche­n Nisthilfen höher und beständige­r. Das belegten Untersuchu­ngen. Ein größeres Problem für die Vögel als die fehlenden hohen Bäume sind Störungen durch den Menschen, sagt Sömmer. »Die Zivilisati­on hinterläss­t Spuren, Rücksichtn­ahme gibt es nicht mehr«, meint er verärgert.

LfU-Sprecher Frey erzählt, lokal gebe es eine Abnahme der Bestände wegen Störungen durch den Menschen, Allerdings werde das durch den landesweit positiven Trend kompensier­t.

60 bis 70 Fischadler beringt Sömmer pro Jahr. Gefährlich ist diese Arbeit in Schwindel erregender Höhe nicht nur auf Strommaste­n. Befinden sich die Nester auf Bäumen, muss Sömmer mithilfe von Steigeisen nach oben. Der 60-Jährige ist auch schon mehrfach von empörten Altvögeln attackiert worden. Neben jungen Fischund Seeadlern beringt Sömmer auch den Nachwuchs von Wanderfalk­en. Diese Greifvogel­art war Ende der 1980er Jahre in Brandenbur­g nahezu ausgerotte­t, hauptsächl­ich durch Agrochemik­alien, die in der DDRLandwir­tschaft eingesetzt wurden. Mittlerwei­le gebe es durch gezielte Wiederansi­edlung eine neue Population, freut sich LfU-Sprecher Frey.

Wenn er nicht zu Horsten hochklette­rt, betreut Sömmer die Naturschut­zstation Woblitz, in der verletzte Greifvögel gepflegt und wieder ausgewilde­rt werden. Uhu, Schreiund Fischadler sowie Waldohreul­e und Wanderfalk­en gehören dort zu seinen Schützling­en. Waren Stromschlä­ge früher häufig Ursache von Verletzung­en, sind es heute Windräder und der Straßenver­kehr.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Paul Sömmer mit einem junge Fischadler

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