»Das ist der totale Stillstand«
Konzert- und Opernhäuser sind heute vor allem Luxustempel fürs Networking der Reichen, nicht mehr Stätten der Begegnung mit Kunst
Berlin im Juni 2018: In der mit ungefähr 440 Millionen Euro an Steuergeldern renovierten Staatsoper am Bebelplatz privilegieren die Superstars Anna Netrebko und Plácido Domingo ein paar wenige zu Verdis »Macbeth«. Die Karten der ersten Kategorie kosten, obwohl es sich nicht um eine Premiere handelt, 250 Euro. Wenn man ganz oben, im dritten Rang, noch etwas sehen will, muss man immerhin noch 112 Euro berappen. Draußen wird das Spektakel – der Opernregisseur Harry Kupfer mühte sich in der belanglosen Inszenierung eines Werks der Romantik ab – als »Open Air« auf Großbildleinwand übertragen. Für dieses »Highlight« sollen die Zuschauer sich in der Pause brav bedanken, eine enthusiastische Moderatorin motiviert die Bürger zur Euphorie.
Diese Episode aus dem Kulturbetrieb ist mit all ihren intuitiven Falschheiten nur ein Ausschnitt aus dem, was heute auf dem Feld der sogenannten Klassik alles scheitert. Konzerthäuser sind zu Luxustempeln fürs Networking der Reichen und Schönen geworden. Starrummel und Geniekult haben jegliches Interesse an künstlerischer Erfahrung ersetzt. Es werden immer dieselben Werke bis zum Erbrechen wiederholt, ein elitärer Kanon berieselt das Bildungsbürgertum, das sich fein säuberlich einen intellektuellen Horizont geschaffen hat. Lieblingsstücke werden in Endlosschleife abgespult, und sonst gilt es wie beim Malen-nach-Zahlen nur die Lücken aufzufüllen: Wenn man es gesehen hat, egal wie, kann man abhaken.
Berthold Seliger macht sich mit seinem Buch »Klassikkampf« wenig Freunde, schon gar nicht unter den Protagonisten der Klassikbranche und den Schönrednern der Musikindustrie. Er ist ein passionierter Mann mit viel Idealismus. Wenn er über die Kunst an sich referiert, sieht man ihn strahlen. Kommt deren kapitalistische und gesellschaftspolitische Verwurstung zur Sprache, wütet er.
Seliger: »Das interessante ist ja, dass die Avantgarde-Funktion, die das Bürgertum im 19. Jahrhundert hatte, zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Proletariat übernommen wurde. Und wie ist es passiert, dass diese Avantgarde aber heute wieder von einem Bürgertum vereinnahmt wird, das jedoch völlig selbstgefällig, bräsig und weitgehend illiberal ist und dem es bei der Rezeption der Künste nur auf Repräsentation ankommt. Das ist der totale Still-