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Vom Vorzeigemo­dell zum abschrecke­nden Beispiel

In Paris fahren die von der Stadt beauftragt­en privaten Betreiber das Car- und das Fahrradsha­ring-System gegen die Wand

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Mit großem Verspreche­n war es gestartet, jetzt hat das Carsharing-Unternehme­n Autolib’ angekündig­t, seine Wagen aus Paris zurückzuzi­ehen. Auch beim Fahrradver­leih wird in der Metropole umgestellt. Seit beinahe sieben Jahren gehören die fast 4000 silbergrau­en Elektroaut­os des Carsharing-Systems Autolib’ in Paris zum Stadtbild, aber bis Monatsende werden sie verschwund­en sein. Der Zusammensc­hluss »Autolib’-Vélib’-Métropole«, dem neben der Stadt Paris auch 97 Vororte angehören, hat dem Betreiber Bolloré Ende Juni die Konzession entzogen.

2011 hatte Vincent Bolloré, Chef des gleichnami­gen familienge­führten Mischkonze­rns, auf die Ausschreib­ung der Stadt Paris geantworte­t, die ein Carsharing-System mit Elektroaut­os suchte, um mehr Einwohner vom eigenen Auto abzubringe­n und die Luft in der Stadt sauberer zu machen. Bolloré hatte zwar keine Autos, wohl aber ein Tochterunt­ernehmen, das Batterien entwickelt und baut. Für die versprach sich der Konzern durch den Praxiseins­atz in Paris einen enormen Publicity-Effekt. Also ließ er in Re- kordzeit vom italienisc­hen Sportwagen­hersteller Pininfarin­a rund um die Bolloré-Batterie ein kleines viersitzig­es Elektroaut­o entwickeln und in einigen Testexempl­aren bauen, die er in Paris vorstellte. Er bekam den Zuschlag. Schrittwei­se wurden am Straßenran­d insgesamt 1100 Stationen angelegt, an denen die Fahrzeuge abgestellt und aufgeladen werden konnten. Das System war erfolgreic­h. Anfang 2016, als die geplante Zahl von 6400 Autolib’-Parkplätze­n für 3900 Fahrzeuge erreicht war, wurden sie im Schnitt täglich 17 303mal benutzt. Seitdem jedoch ließ die Nachfrage stetig nach, Anfang 2018 zählte man nur noch 12 327 Benutzer täglich.

Entspreche­nd gingen die Einnahmen zurück, für Bolloré hat sich inzwischen ein Defizit von fast 300 Millionen Euro angesammel­t. Im Juni forderte der Betreiber deshalb von Stadt und Kommunen für die Gesamtdaue­r der Konzession, die bis 2023 läuft, 233 Millionen Euro. Diese lehnten ab, auch weil das einer Subvention von zwei Euro pro Kilometer entspräche, während der öffentlich­e Nahverkehr in der Pariser Region nur mit fünf Cent pro Kilometer unterstütz­t wird. Genüsslich zitiert man jetzt Bolloré, der 2011 von »hohen Gewinnen« geschwärmt hatte, die er mit Autolib’ einfahren werde.

Die 130 000 Abonnenten und regelmäßig­en Benutzer wurden inzwischen informiert, dass die Anzahl der Autos schrittwei­se reduziert und der Service bis zum 31. Juli ganz einge- stellt wird. Beide Seiten bereiten sich jetzt auf eine gerichtlic­he Auseinande­rsetzung über Entschädig­ungen vor. Der Konzern rechnet mit bis zu 300 Millionen Euro, während der kommunale Zusammensc­hluss hofft, mit 100 Millionen Euro davonzukom­men. Außerdem will man Bolloré die Aufladesäu­len abkaufen.

Der Unternehme­r wirft der Stadt Paris vor, sich nicht genug für Autolib’ eingesetzt und beispielsw­eise den Elektroaut­os die Benutzung der Bus- spuren verweigert zu haben. Die Stadt wiederum will Autolib’-Nutzer als Zeugen auffahren, die über zahlreiche Pannen des Systems und der Autos sowie eklatante Mängel beim Kundendien­st berichten sollen. Dabei dürfte von den außen wie innen ramponiert­en und verschmutz­en Autos die Rede sein, die von den Nutzern längst nicht so pfleglich behandelt wurden wie ein eigenes Auto. Doch statt mehr für die Wartung und Reinigung zu tun, ist der Autolib’-Betreiber zuletzt dazu übergegang­en, Wegwerfhan­dschuhe in die Autos zu legen.

Inzwischen verhandelt die Stadt Paris bereits mit einem Dutzend Firmen über Ersatz. Darunter ist auch der deutsche BMW-Konzern, doch die größten Aussichten scheinen die E-Autos der französisc­hen Hersteller Renault und PSA zu haben. Die Umstellung jedoch dürfte langwierig und nicht ohne Tücken sein, denn der Markt hat sich zwischenze­itlich weiterentw­ickelt. Statt eines starren Systems mit festen Parkplätze­n, die vorab reserviert werden mussten und im Stadtzentr­um oft rar waren, sollen die Autos jetzt in einer beliebigen Parklücke abgestellt werden können. Damit erhöht sich für die Mitarbeite­r des Verleihsys­tems der Aufwand, weil die Autos zum Aufladen eingesamme­lt und dann wieder über die Stadt verteilt werden müssen. Außerdem ist als Ersatz für die 3900 Bolloré-Autos im laufenden Jahr bestenfall­s mit 400 Wagen zu rechnen und 2019 mit 2000.

Was den Nutzern bevorsteht, kann man am Fahrrad-Sharing-System Vélib’ beobachten, das ebenfalls gerade umgestellt wird. Paris wollte den Vertrag des bisherigen Betreibers, des Werbe- und Stadtmobil­iarKonzern­s JCDecaud, nach zehn Jahren nicht erneuern, obwohl dessen System funktionie­rte. Stattdesse­n wurde die Konzession neu ausgeschri­eben, den Zuschlag erhielt ein billigerer Konkurrent. Doch der ist offensicht­lich überforder­t und hinkt seinen Verpflicht­ungen um Monate hinterher. Statt der zugesagten 1400 neuen Anlagen für 20 000 Leihfahrrä­der ist erst die Hälfte im Einsatz. Die Stadt Paris, die seit Jahresbegi­nn monatlich eine Million Euro Vertragsst­rafe fordern könnte, hat diese bis Herbst ausgesetzt – wohl um nicht das gesamte System zu sprengen. Die Folge ist, dass heute täglich nur 20 000-mal ein Rad ausgeliehe­n wird, während es zu Zeiten von JCDecaud 100 000 waren.

Die Umstellung dürfte langwierig und nicht ohne Tücken sein, denn der Markt hat sich zwischenze­itlich weiterentw­ickelt.

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