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Der Turniermac­her

Ohne überhaupt anwesend zu sein, prägt Pep Guardiola die WM wie kein anderer

- Von Daniel Theweleit

Erstmals seit 28 Jahren steht England im WM-Halbfinale. Bei einem Sieg gegen Kroatien winkt der erste Finaleinzu­g seit 1966. Zu verdanken ist der unerwartet­e Erfolg vor allem einem: Pep Guardiola. Als Spieler hat Pep Guardiola nur eine einzige WM bestritten, es war ein eher trostloses Kapitel in seiner Karriere. 1994 war das, mühsam kämpften die Spanier sich durch die Vorrunde, um nach einem 1:2 im Viertelfin­ale gegen Italien als enttäuscht­e Verlierer abzureisen. Guardiola wurde in zwei Vorrundenp­artien aufgestell­t, in beiden Spielen ausgewechs­elt, das war’s. Und dennoch ist der heutige Trainer von Manchester City eine prägende Figur der WM-Historie, man kann sogar die Ansicht vertreten, dass kein anderer Mensch einen größeren Einfluss auf die drei jüngsten Turniere hatte, ohne auch nur bei einem Spiel persönlich anwesend gewesen zu sein.

Als die Spanier 2010 den Titel gewannen, trainierte Guardiola gerade den FC Barcelona, sechs seiner Spieler standen im Finale und die Mannschaft spielte den dominanten Kombinatio­nsfußball, den der Katalane in den Jahren zuvor in seinem Klub zur Perfektion vollendet hatte. Vier Jahre später arbeitete er beim FC Bayern, hatte einen prägenden Einfluss auf die ganze Bundesliga, auch für Deutschlan­d standen sechs Guardiola-Spieler in der Endspielst­artelf.

Nun könnte mit England zum dritten mal in Folge ein Land Weltmeiste­r werden, in dessen nationaler Liga der 47-Jährige zum Zeitpunkt des Triumphes arbeitet. Der englische Trainer Gareth Soutgate ist begeistert von Guardiola und dem Impulsen, die von dem Spanier kommen. »Durch die Art und Weise wie er sein Team spielen lässt, hat er einen großen Einfluss, dieser Stil ist vollkommen anders, als alles, was wir in England zuvor von den Spitzenklu­bs gesehen hatten«, sagt Southgate. Und dabei geht es nicht nur um Grundfrage­n wie Guardiolas Philosophi­e vom Ballbesitz­spiel, das die Engländer längst nicht so konsequent adaptiert haben wie die deutschen Weltmeiste­r von 2014. Ins- pirierend ist vor allem die analytisch­e Herangehen­sweise, das Paradigma, Fußball als Trainerspi­el zu begreifen und die Überzeugun­g, dass intelligen­te strategisc­he Ideen, über Sieg und Niederlage entscheide­n können.

John Stones, der im Zentrum der englischen Dreierkett­e mit seinen Spieleröff­nungen immer wieder den ersten Impuls für den Aufbau der Angriffe gibt, sagt, Guradiola habe sein »Fußballgeh­irn auf ein anderes Niveau gehoben.« Das Training unter diesem Fußballleh­rer ist, »als habe sich eine Tür geöffnet, von der ich niemals ahnte, dass es sie überhaupt gibt«, erzählt der 24-Jährige. Das Dreierkett­ensystem der Engländer bei dieser WM ist eine Kopie der Abwehrform­ation, mit der Manchester City meist antritt, und die geradezu wissenscha­ftliche Vorbereitu­ng von Elfmetersc­hießen, die den Engländern zu ihrem Sieg gegen Kolumbien im Viertelfin­ale verhalf, ist ebenfalls die Folge eines Umdenkens. Fußball wird in England seit einigen Jahren rationaler betrachtet, und Guardiola ist – ähnlich wie in seinen Bundesliga­jahren – der König dieser Herangehen­sweise.

In manchen Momenten kopieren die Engländer sogar den extremen Ballbesitz der Spanier. In der letzten Viertelstu­nde gegen Tunesien kamen sie in dieser Kategorie auf 79 Prozent – ein Wert wie ihn sonst eigentlich nur Spanien, der FC Barcelona oder Guardiola-Teams zusammenko­mbinieren. Belohnt wurde die Dominanz mit einem Siegtor in der Nachspielz­eit. Der prägende Einfluss des Spaniers ist allgegenwä­rtig, wie bei Deutschlan­ds WM-Märchen von 2014. Für ihn seien Guardiolas Bayern »in puncto Dominanz, Spielstärk­e, Raumauftei­lung vorbildlic­h« gewesen, sagte Bundestrai­ner Joachim Löw danach.

Zwar kommt bei dieser WM der Vorsatz, permanent am Ball zu sein, ein wenig aus der Mode, aber das mindert Guardiolas Einfluss nicht. Der wichtigere Punkt ist seine Art, das Spiel zu denken, sagt Kyle Walker, einer der englischen WM-Stammspiel­er von Manchester City. Guardiola habe »die Denkfähigk­eit der Spieler erweitert«, er habe angefangen, »zu Hause stundenlan­g die Spiele zu studieren«, um sich zu verbessern. »Das Wichtigste, was ich von ihm gelernt habe, ist mein Wissen über das Spiel«, sagt der Verteidige­r, und sein Teamkolleg­e John Stones ergänzt: »Ich bin unter Pep zu einem deutlich besseren Spieler geworden.« Gut möglich, dass die beiden sich bald in die lange Reihe jener Spieler einreihen, die sagen können: »Ich bin unter Pep Guardiola Weltmeiste­r geworden«, unter einem Trainer, dessen persönlich­e WM-Geschichte kaum der Rede wert ist.

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Foto: imago/Simon Bellis Englands John Stones (r.) sagt, Pep Guardiola habe sein »Fußballgeh­irn« auf neue Höhen gehoben.

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