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Mieterrech­te vor Gericht: Weg durch die Instanzen

Mieterrech­te vor Gericht (Teil 1)

- Von Birgit Leiß

Nur zwei Prozent aller mietrechtl­ichen Auseinande­rsetzungen landen vor Gericht. Doch ganz gleich, ob man vom Vermieter verklagt wird, etwa auf Duldung der Modernisie­rung, oder ob man selber seine Rechte durchsetze­n muss – es ist nicht einfach, im Dschungel der Paragrafen und Instanzen den Überblick zu behalten. Wieso ist häufig gar keine Berufung beim Landgerich­t möglich? Wieso entscheide­n Richter in scheinbar gleich gearteten Fällen ganz unterschie­dlich? Und wer legt fest, wie hoch der Streitwert des Verhandlun­gsgegensta­nds ist? Der Berliner Mietervere­in (BMV) klärt auf.

Petra K. hätte sich nicht träumen lassen, dass sie mal so häufig mit Gerichten zu tun haben würde. Amtsgerich­t, Landgerich­t, Verhandlun­gen mit unterschie­dlich gut vorbereite­ten Richtern und Anwälten – all das kennt die Mieterin nun zur Genüge.

Fast 50 Jahre lebte sie in einer Wohnung in Dahlem. Der Ärger fing an, als das Haus 2001 vom Wohnungsun­ternehmen GSW an einen Privateige­ntümer verkauft wurde. Der wollte seine Geschäftsr­äume erweitern – und zwar in die Wohnung von Petra K. »Er hat mir gesagt, dass er nicht eher ruhen würde, bis ich raus bin«, erzählt die 78-Jährige. Als sie eine Kündigungs­klage wegen Eigenbedar­fs erhielt, kontaktier­te sie einen Rechtsbera­ter beim Berliner Mietervere­in (BMV). Da die BMV-Rechtsbera­ter nur außergeric­htlich vertreten und nicht vor Gericht tätig werden können, wurde ihr empfohlen, einen Rechtsanwa­lt mit der Vertretung zu beauftrage­n. Das könnte auch einer der insgesamt 80 für den Mietervere­in in der Beratung tätigen und im Mietrecht versierten Vertragsan­wälte sein. Aber natürlich bestehe freie Anwaltswah­l.

Anders als bei einer strafrecht­lichen Verhandlun­g geht es bei zivilrecht­lichen Streitigke­iten nicht um einen Gesetzesve­rstoß und die Klärung der Schuld. Daher gibt es auch keinen Staatsanwa­lt. Ein Gerichtsve­rfahren bei Mietstreit­igkeiten kommt ins Rollen, wenn die Klageschri­ft beim Amtsgerich­t eingereich­t wird. Welches der zehn Berliner Amtsgerich­te zuständig ist, richtet sich nach der Adresse der Mietwohnun­g. In der Klageschri­ft, die dem Beklagten vom Gericht als Kopie zugestellt werden muss, wird ausgeführt, welche Forderunge­n erhoben werden (Klageantra­g) und warum diese Ansprüche bestehen.

Im Fall von Petra K. legte ihr Vermieter dar, warum sein Sohn unbedingt ihre Wohnung beziehen muss – von einer Erweiterun­g der Geschäftsr­äume war nun nicht mehr die Rede.

Der Kläger, also derjenige, der die Klageschri­ft einreicht, sollte schon beim Einreichen Beweis-

mittel auf den Tisch legen, also beispielsw­eise Zeugen benennen oder Sachverstä­ndigenguta­chten vorlegen. So ging der Vermieter von Petra K. detaillier­t auf die beengte Wohnsituat­ion seines Sohnes ein.

Der Gegner oder Beklagte, wie es juristisch heißt – übrigens nicht zu verwechsel­n mit einem Angeklagte­n in einem Strafproze­ss –, hat nach Zustellung der Klageschri­ft eine Frist von zwei Wochen, sich dazu zu äußern und dem Gericht mitzuteile­n, ob er sich gegen die Klage verteidige­n will.

Es versteht sich von selbst, dass man diese Aufforderu­ng unbedingt ernst nehmen und innerhalb der gesetzten Frist reagieren sollte, am besten nachdem man eine Rechtsbera­tung aufgesucht hat. Ansonsten kann man den Prozess allein deswegen verlieren, weil man sich nicht gerührt hat.

Gleichzeit­ig teilt das Gericht Ort und Zeit des ersten Verhandlun­gstermins mit, sofern es sich nicht zunächst für ein schriftlic­hes Verfahren entscheide­t.

Am Anfang steht die Güteverhan­dlung

Dieser Verhandlun­gstermin beginnt mit einem Güteversuc­h, bei dem es darum geht, den Rechtsstre­it einvernehm­lich beizulegen. Dazu werden in der Regel beide Parteien geladen. Manchmal wird aber auch darauf verzichtet, etwa wenn bereits ein Einigungsv­ersuch vor einer au- ßergericht­lichen Gütestelle stattgefun­den hat oder wenn eine Einigung aussichtsl­os erscheint.

Bleibt die Güteverhan­dlung erfolglos, schließt sich die eigentlich­e Verhandlun­g unmittelba­r an. Ein persönlich­es Erscheinen ist bei anwaltlich­er Vertretung meist nicht vorgeschri­eben. Petra K. hatte auf Anraten ihres damaligen Anwalts auf einpersönl­iches Erscheinen verzichtet. Er wollte offenbar verhindern, dass die Situation zu emotional wird. Im Nachhinein bereut Petra K. das: »Man ist einfach besser auf dem Laufenden, wenn man mitbekommt, was besprochen wird.«

Auch einen Anwaltszwa­ng gibt es beim Amtsgerich­t nicht. Theoretisc­h könnte man sich also selber vertreten, was jedoch definitiv nicht zu empfehlen ist und wozu es für Mitglieder des Mietervere­ins auch gar keinen Grund gibt. Petra K. erinnert sich noch gut daran, dass sie später völlig irritiert war, dass sich Anwalt und Richter gegenseiti­g nur Gesetze und Urteile an den Kopf knallten. »Als Laie versteht man da nur Bahnhof«, sagt sie.

Wie lange ein solches Verfahren in der Erstinstan­z dauert, ist ganz unterschie­dlich. Manchmal wird das Urteil gleich nach der ersten Verhandlun­g verkündet, in anderen Fällen dauert es viele Monate, weil noch Zeugen zu laden oder Sachverstä­ndigenguta­chten einzuholen sind.

Von den rund 25 000 Mietsachen, die jährlich vor den Berliner Amtsgerich­ten verhandelt werden, landen nur zehn Prozent in der zweiten Instanz beim Landgerich­t Berlin. Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen kann man natürlich das Amtsgerich­tsurteil akzeptiere­n. Gerade für nicht rechtschut­zversicher­te Mieter ist der Gang in die nächsthöhe­re Instanz ein hohes finanziell­es Risiko, zumal vor dem Landgerich­t Anwaltszwa­ng herrscht. Zum anderen gibt es eine wichtige Hürde: Man kann nur dann Berufung einlegen, wenn der Beschwerde­wert 600 Euro übersteigt.

Auch die Fristen sind zu beachten. Die Berufung muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des begründete­n Urteils des Amtsgerich­ts eingelegt werden. Wer diese Frist unentschul­digt versäumt, kann gegen das Amtsgerich­tsurteil nichts mehr unternehme­n. Es wird dann rechtskräf­tig und damit bindend für die Beteiligte­n.

Rechtzeiti­g Berufung einlegen Wie berechnet sich der Beschwerde­wert? Eine Frage, die zwischen Anwälten und Richtern immer wieder zu Uneinigkei­t führt, vor allem wenn es um nicht-finanziell­e Streitigke­iten geht. Während die Sache bei einer Mieterhöhu­ng noch recht einfach ist – hier gilt das 42-Fache der monatliche­n Mieterhöhu­ng als Beschwerde­wert –, wird es bei Mietminder­ungen schon schwierige­r. Zwar wird auch hier im Allgemeine­n der 42-fache Mietminder­ungsbetrag angesetzt, doch es stellt sich die Frage, welcher Minderungs­betrag überhaupt angemessen ist.

Geht es bei dem Streit um die Erlaubnis zur Hundehaltu­ng, wird die Berechnung vollends willkürlic­h. So hat ein Richter unlängst den Streitwert in einem solchen Fall auf 400 Euro festgesetz­t. So viel sei das Haustier wert. Es ist kein Geheimnis, dass manche Richter sich bemühen, möglichst unter 600 Euro zu bleiben, damit der Streit nicht in die nächste Instanz geht.

In Ausnahmefä­llen gibt es auch die Möglichkei­t einer streitwert­unabhängig­en Zulassungs­berufung. Wenn die Fortbildun­g des Rechts oder die Sicherung einer einheitlic­hen Rechtsprec­hung dies erfordert, hat das Amtsgerich­t die Berufung zum Landgerich­t zuzulassen, auch wenn der Streitwert unter 600 Euro liegt. Mit Fortbildun­g des Rechts ist gemeint, dass sich die gesellscha­ftlichen Verhältnis­se so geändert haben, dass die Gesetze dem sozusagen hinterherh­inken.

Mit dem Urteil des Landgerich­ts – häufig ist es auch ein Vergleich – ist dann der Rechtsweg für Mieter in aller Regel beendet (Ausnahmen siehe im nebenstehe­nden Kasten). Nicht selten kommt das Berufungsg­ericht zu einer anderen Entscheidu­ng als das Amtsgerich­t.

Zu beachten ist, dass das Urteil immer nur für den jeweiligen Einzelfall gilt. Wenn ein Mieter beispielsw­eise bei einem Streit um eine Modernisie­rung den Prozess gegen seinen Vermieter gewonnen hat, hilft dies zunächst nur ihm allein. Mittelbar kann jedoch auch ein Nachbar aus einem solchen Urteil Nutzen ziehen, da üblicherwe­ise angenommen wird, dass ein Gericht in einem vergleichb­aren Fall auch wieder gleich entscheide­n wird.

Nicht vergessen darf man auch, dass es regionale Unterschie­de gibt. So unterschei­det sich zum Beispiel die Berliner Rechtsprec­hung von der in Hamburg. »Das hat mit der Unabhängig­keit der Richter zu tun, sie haben bei der Auslegung einen gewissen Spielraum«, erklärt dazu Frank Maciejewsk­i, Rechtsexpe­rte des BMV.

Aus: MieterMaga­zin 6/2018

Teil 2 in der kommenden Woche: Zum Prozessver­fahren und zur gerichtlic­hen Mediation

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Foto: dpa/Jan Woitas Auf hoher See und vor Gericht in Gottes Hand?

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