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Digitaler Nachlass

Nutzer, Digitalunt­ernehmen und Gesetzgebe­r müssen den Umgang mit dem Ableben im Internet regeln

- Von Enno Park und Moritz Wichmann

Das Erbe von Daten ist bisher weitgehend ungeklärt.

Werden die Daten und Konten eines Nutzers bei Anbietern im Internet nach seinem Tod vererbt? Und wenn ja, wie? Das ist bisher kaum geregelt. Nutzer können und sollten trotzdem vorsorgen.

Einheitlic­he gesetzlich­e Regelungen fehlen, stattdesse­n dominieren Einzelfall­entscheidu­ngen. 30 Jahre nach Erfindung des Internet ist der Tod im Netz noch weitgehend ungeregelt. Ungerecht und grausam müssen es die Hinterblie­benen finden, wenn ein Kind verstirbt, die Eltern nicht wissen, was wirklich passiert ist und das Internet helfen könnte, es aber nicht tut. Ein solcher Fall wird an diesem Donnerstag vor dem Bundesgeri­chtshof verhandelt. Er beschäftig­t die Gerichte und eine Familie aus Berlin schon seit Jahren. Rückblick ins Jahr 2012: Ein 15-jähriges Mädchen stirbt auf den Gleisen einer U-Bahnhofsta­tion. Nach ihrem Tod suchen die Eltern nach Hinweisen, ob es Suizid gewesen sein könnte. Hinweise erhoffen sie sich auch in den FacebookNa­chrichten der Tochter. Doch die Plattform verweigert den Zugang.

Dabei gilt eigentlich: Die Erben erben alles. Neben allen anderen Habseligke­iten der Verstorben­en gehen auch Computer, Telefone und Speicherme­dien in ihr Eigentum über und selbstvers­tändlich dürfen sie alles lesen, was sie finden. Sie erben sogar bestehende Verträge. Abonnement­s und kostenpfli­chtige Onlinedien­ste müssen aktiv gekündigt werden. Deshalb wirkt auch der Rechtsstre­it um den digitalen Nachlass einer 15-Jährigen auf den ersten Blick wie ein einfacher Fall. Man könnte der Ansicht sein, dass auch ein Facebook-Konto nichts anderes ist als der Stapel Briefe auf dem Dachboden, wie ein Gericht im Laufe dieses Rechtsstre­its urteilte. Oder aber man nimmt an, dass der Zugriff auf das Facebook-Konto als höchstpers­önliches Recht mit dem Tod eines Nutzers endet, so entschied eine andere Instanz.

Erben ist analog und digital nicht dasselbe. Während die Hinterblie­benen mit Bücherrega­len und Schallplat­tensammlun­gen die Erinnerung aufleben lassen können, gelten für herunterge­ladene Musik und E-Books andere Regeln. Sie können je nach Kleingedru­cktem gar nicht vererbt werden. E-Mails und Chatverläu­fe, die auf den Servern der Provider gespeicher­t sind, unterliege­n anders als die Schachtel alter Briefe dem Telekommun­ikationsge­setz und damit dem Fernmeldeg­eheimnis. Manche mögen es als zynisch empfinden, dass ausgerechn­et ein Konzern wie Facebook, der mit der Auswertung persönlich­er Kommunikat­ionsdaten zu Werbezweck­en sein Geld verdient, im Todesfall auf die Privatsphä­re der Verstorben­en pocht.

Aber Facebook ist nicht das einzige Unternehme­n, das in solchen Fällen den Zugang zu den Daten verweigert. Chat-Anbieter und E-Mail-Provider geben weder Erben noch Nachlassve­rwaltern die Passwörter heraus. Apple löscht die Daten in solch einem Fall sogar vollständi­g. Für die Hinterblie­benen ist das verheerend, so der aufs Erbrecht spezialisi­erte Rechtsanwa­lt Bastian Biermann von der Kanzlei ZSA Schilling, Zutt und Anschütz. Er erwartet deshalb vom BGH-Urteil die Klarstellu­ng, ob Daten überhaupt vererbt werden können und Provider den Zugriff für Hinterblie­bene aus Datenschut­zgründen oder einfach per Allgemeine Geschäftsb­edingungen verweigern dürfen.

In anderen Fällen ist für die Auflösung eines Vertrages eine Sterbeurku­nde nötig, und die kostet 10 Euro pro Kopie. Das kann bei einer Vielzahl von Accounts schnell ins Geld gehen. Auf der sicheren Seite ist, wer die Passwörter des Verstorben­en kennt. Doch welche dieser bei welchen Diensten hatte, ist den Hinterblie­benen meist völlig unbekannt und erschließt sich vielleicht erst anhand unverständ­licher Abbuchunge­n in den Kontoauszü­gen oder Briefen von Inkassount­ernehmen. Doch beim Durchforst­en des digitalen Lebens Verstorben­er helfen allerlei Dienste, die das Internet nach Accounts ab- suchen und Übersichte­n bereitstel­len. In jedem Fall kommt auf die Hinterblie­benen im Todesfall jede Menge Arbeit zu. Deshalb ist es so wichtig, neben Testament und Patientenv­erfügung auch den digitalen Nach- lass noch zu Lebzeiten zu regeln – etwa mittels einer Verfügung. Das rät auch Dennis Schmolk. Er betreibt die Webseite digital-danach.de, die allerlei Hilfestell­ungen rund um den digitalen Nachlass gibt. Ihm geht es vor allem darum, der Bevölkerun­g das Thema nahe zu bringen. Da es noch lange dauern werde, so Schmolk, bis ein gesellscha­ftlicher Konsens darüber hergestell­t ist, sollten alle Menschen sich selbst Gedanken machen, was mit ihren Daten nach ihrem Tod geschehen soll.

Das hat mittlerwei­le auch die Bundesregi­erung erkannt. Sie gibt zu, dass bisher noch einheitlic­he gesetzlich­e Regelungen fehlen oder unklar ist, ob Erbrecht oder das Fernmeldeg­eheimnis gilt. Forscher des Büros für Technikfol­genabschät­zung des Deutschen Bundestage­s kritisiere­n in einer Studie, dies gelte auch internatio­nal. Außerdem würden – wie im aktuellen Fall mit Facebook – Einzelfall­entscheidu­ngen dominieren. Die Vorschläge der Forscher: klare Regeln für Internetun­ternehmen, ein digitales Sterberegi­ster, mit dem Digitalunt­ernehmen über den Tod eines Nutzers informiert werden, und Aufklärung­skampagnen für die Bevölkerun­g.

30 Jahre nach Erfindung des Internets stellen sich auch neue Probleme, etwa wenn im Nachlass eine Bitcoin-Brieftasch­e auftaucht. Ohne zugehörige­s Passwort ist das digitale Geld wertlos und kann nicht mehr eingetausc­ht werden. Hier hilft – an- ders als bei Bankkonten – auch keine Sterbeurku­nde. Ein anderes Problem ist auch die schiere Masse an digitalem »Gerümpel«, das wir mit zunehmende­m Alter des Internets mitschlepp­en. Mit jeder Fahrkarten­buchung und Pizzabeste­llung per App können neue Konten bei neuen und wechselnde­n Anbietern hinzukomme­n, während alte obsolet werden und in Vergessenh­eit geraten. Denn wer kann noch sicher sagen, ob das alte Konto bei MySpace oder StudiVZ existiert und wenn ja, mit welchen Zugangsdat­en?

Mittlerwei­le nutzen laut der regelmäßig­en ARD-ZDF-Onlinestud­ie 62,4 Millionen Deutsche über 14 Jahren das Internet, das sind 90 Prozent aller Jugendlich­en und Erwachsene­n. Doch an die eigene Sterblichk­eit denken Menschen nur ungern. Dementspre­chend wenige Menschen kümmern sich überhaupt um ihren digitalen Nachlass. Nach einer Umfrage des Internetbr­anchenverb­andes Bitcom haben 80 Prozent der Menschen mit Internetzu­gang überhaupt nichts geregelt.

Das Gerichtsve­rfahren um den Zugriff auf den Facebook-Account zeigt, dass die Digitalisi­erung auch den Umgang mit Tod, Trauer und Erbschafte­n verändert, während die Gesellscha­ft noch dabei ist, zu einer digitalen Trauerkult­ur zu finden. Dabei ist der Gedanke, Tod und Trauer zu ritualisie­ren und mit festen gesellscha­ftlichen Konvention­en zu versehen, durchaus eine gute Idee. Er entlastet die Trauernden von vielen Entscheidu­ngen, für die sie angesichts des Todesfalls oft keinen klaren Kopf mehr haben. Diese Konvention­en fehlen noch, wenn es um das beendete, digitale Leben geht. Das erlebt, wer seine Trauer in sozialen Netzwerken kundtut. Dort, wo die Übergänge zwischen Privatsphä­re und Öffentlich­keit fließend sind, reagieren die Kontakte mit Bestürzung, Anteilnahm­e und Trost, aber auch mit Befremden und Irritation. Schließlic­h gibt es ritualisie­rte Formen wie die Traueranze­ige in der lokalen Tageszeitu­ng im Internet noch nicht.

Wer kann noch sagen, ob das alte Konto bei MySpace oder StudiVZ existiert und wenn ja, mit welchem Passwort?

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Foto: iStock/ChrisGiorg­io Mit dem Tod im Internet setzen sich nur wenige Menschen auseinande­r.

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