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Das Ende? Wohl kaum

Die Urteile gegen einige der NSU-Täter sind gesprochen

- Von René Heilig

Nicht nur die Opferfamil­ien sind enttäuscht vom Verfahren. Über fünf Jahre dauerte der Prozess gegen Mitglieder und Helfer des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s (NSU). Noch ist nicht Schluss. Zwar ergingen am Mittwoch die Urteile, doch zwei Verurteilt­e kündigten Revision an. Das kann dauern. Mittwoch um 14.52 Uhr, Saal 101 im Münchner Justizgebä­ude – der Vorsitzend­e Richter Manfred Götzl erklärte: »Wir sind am Ende dieses Verfahrens. Die Hauptverha­ndlung ist geschlosse­n.«

Manfred Götzl, die Pensionier­ung vor Augen, mag erleichter­t sein. Man hat dem von ihm geleiteten Prozess vor dem Oberlandes­gericht verschiede­nste Attribute gegeben. Historisch sei er. Man verglich das Verfahren in seiner Bedeutung mit der Verurteilu­ng von Auschwitz-Mördern oder den RAFProzess­en. Nichts davon stimmt.

Einzigarti­g ist der Prozess gegen Mitglieder und Unterstütz­er des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­es (NSU) aber (bislang) schon. Mit seiner Dauer von über fünf Jahren und über 400 Verhandlun­gstagen gehört er zu den längsten Strafverfa­hren und ist ganz sicher die bisher größte juristisch­e Anstrengun­g zur Verurteilu­ng von rechtsextr­emistisch motivierte­n Gewaltverb­rechern in der Geschichte der Bundesrepu­blik. So etwas geht ein in die Rechtsgesc­hichte.

Und wie ist das Resultat all dieser Bemühungen? Trotz der höchst differenzi­erten und im einzelnen sicher solide begründete­n Strafzumes­sung für die Angeklagte­n ist das Ergebnis des Prozesses in höchstem Maße unzulängli­ch.

Ihm gelang keine tiefere Aufklärung der NSU-Verbrechen, sondern bestätigte indirekt die von der Bundesanwa­ltschaft verdächtig früh in Umlauf gebrachte, doch nicht haltbare These, laut der der NSU nur aus einem Trio und wenigen Unterstütz­ern bestand. Man negierte Vernetzung­en, die über die deutschen Grenzen hinausging­en, klärte nicht auf, wie und von wem die Opfer ausgewählt und die Tatorte ausgespäht worden sind. Zahlreiche Helfer, die den Mördern Unterschlu­pf gewährten, sie finanziell, mit Waffen und Bombenmate­rial unterstütz­ten, bleiben unerkannt. Wie kann es sein, dass die Täter nirgends DNA- oder Fingerspur­en hinterlass­en haben? Im Prozess wurden verdächtig­e Geheimdien­stler und ihre V-Leute entlastet. Wie passt der Mord an einer jungen Polizistin in das Tatgescheh­en?

Die Liste der offenen Fragen ist lang. Auch wenn die 43-Jährige Hauptangek­lagte Beate Zschäpe schuldig gesprochen wurde, so als hätte sie – wie vermutlich­e ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die sich beim Auffliegen des NSU-Kerntrios im November 2011 selbst gerichtet haben sollen – bei den zehn Morden den Abzug der Waffen gedrückt, die Bomben gezündet und die Raubüberfä­lle begangen. Man glaubte ihr die Darstellun­g nicht, wonach sie nur eine schwache Frau gewesen sei, von ihren Freunden abhängig, unwissend und unbeteilig­t an den NSU-Verbrechen. Im Gegenteil. Das Gericht sieht sie als Mittäterin. Es habe es eine Art Arbeitstei­lung gegeben: Die beiden Uwes reisten quer durchs Land, töteten und raubten, während Zschäpe daheim in Sachsen und beim Campingurl­aub den bravkleinb­ürgerliche­n Rückzugsra­um der Täter sicherte.

Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Haftentlas­sung nach 15 Jahren zwar möglich, doch nach der bisherigen Rechtsprax­is kaum denk- bar. Eine Sicherungs­verwahrung nach Verbüßung der Haft wurde aber nicht verhängt.

Neben Zschäpe saß Ralf Wohlleben auf der Anklageban­k. Er muss zehn Jahre ins Gefängnis, denn Wohlleben ist Waffenbesc­haffer des NSU. Er hatte die »Ceska«-Pistole besorgt, mit der neun Männer ausländisc­her Herkunft aus rassistisc­hen Gründen ermordet wurden. Und er war nach Ansicht der Bundesanwa­ltschaft als »Mastermind mit überle- genem Sonderwiss­en« der leitende, lenkende Geist des Trios.

Der frühere Vizechef der Thüringer NPD habe nach dem Abtauchen des NSU-Trios die Rolle des »Chefunters­tützers« übernommen. In München wurde er von Nicole Schneiders, Olaf Klemke und Wolfram Nahrath verteidigt, alle drei tragen die Bezeichnun­g Rechtsanwa­lt im doppelten Sinn. Sie sind mit ihrem Mandanten ideologisc­h wohl so ziemlich auf einer Linie und stellten – als Provokatio­n des Systems – die meisten Befangenhe­itsanträge gegen den Strafsenat. Immer wieder attackiert­en sie vor allem die Nebenkläge­ranwälte höchst direkt und zynisch.

Auch André E. bekannte sich – via Verteidigu­ng – dazu, überzeugte­r Nationalso­zialist zu sein. Rassismus ist ihm per Tattoo auf den Leib geschriebe­n. Bei einer Hausdurchs­uchung hatte die Polizei unter anderem eine Zeichnung an der Wand gefunden, darauf seine Kameraden Mundlos und Böhnhardt sowie der Runen-Schriftzug: »Unvergesse­n«.

Die Bundesanwa­ltschaft hatte für den Schweigsam­en zwölf Jahre Haft gefordert. Das Gericht wertete seine Rolle als NSU-Helfer jedoch deutlich geringer und ließ es bei zwei Jahren und sechs Monaten bewenden. Zugleich hob Richter Götzl den Haftbefehl auf, was von anwesenden Gesinnungs­genossen mit Jubel und Applaus quittiert wurde.

Auf freiem Fuß bleibt – bis das Urteil rechtskräf­tig ist – auch Carsten S. Er ist wegen seines Alters zum Tatzeitpun­kt zu drei Jahren Jugendstra­fe verurteilt worden. Der Mann hatte gestanden, den Mördern die »Ceska«-Pistole übergeben zu haben. Vorerst noch nicht in die Zelle muss auch Holger G., der wegen Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g zu drei Jahren Haft verurteilt worden ist.

Zschäpes Verteidige­r kündigten umgehend eine Revision des Urteils an. Auch Wohllebens Anwälte wollen den Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe anrufen. Bis die obersten Richter sich des Falls annehmen, dürfte es dauern. Zunächst muss das Gericht das schriftlic­he Urteil vorlegen. Wann also in Karlsruhe vermutlich das endgültige letzte Wort in diesem »Jahrhunder­tprozess« gesprochen wird, ist ungewiss. Die wesentlich­e gesellscha­ftliche Frage lautet jedoch: Wie gehen die Ermittlung­en weiter?

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Foto: dpa/Peter Kneffel Beate Zschäpe neben ihrem Anwalt Mathias Grasel vor Verhandlun­gsbeginn am Mittwoch

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