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Muskelberg mit Sidekick

Der Blockbuste­r »Skyscraper« orientiert sich stark an dem mutmaßlich besten Actionfilm aller Zeiten, »Stirb langsam«

- Von Georg Kammerer

Stirb langsam« (1988) von John McTiernan gilt in vielerlei Hinsicht bis heute als der prototypis­che ActionThri­ller schlechthi­n. Der gebrochene Held wider Willen, der sich einer Übermacht an Gegnern entgegenst­ellt, und die paranoide Stimmung an isolierten Schauplätz­en prägten das Genre bis in die späten 90er Jahre, bevor mit den Spektakelf­ilmen von Produzent Jerry Bruckheime­r und Regisseur Michael Bay (»The Rock«, »Transforme­rs«) die nächste Stufe im Wettrüsten um das lauteste, härteste Krach-Bumm-Kino erreicht wurde.

Rawson Marshall Thurber (»Dodgeball – voll auf die Nüsse«), Autor und Regisseur von »Skyscraper«, gibt McTiernans ikonischen Action-Klassiker als Inspiratio­n an, und alles andere wäre auch absurd. So unübersehb­ar sind die Parallelen zwischen den beiden Filmen, dass es unmöglich ist, »Skyscraper« zu beurteilen, ohne den Vergleich zum – ja, nennen wir es: Original zu ziehen.

Beide Filme erzählen die Geschichte eines einzelnen (Ex-)Polizisten, der von der Außenwelt abgeschlos­sen in einem Hochhaus gegen eine Gruppe Schwerkrim­ineller kämpft, die das Gebäude (und darin die engsten Familienan­gehörigen des Polizisten) unter ihre Kontrolle gebracht haben.

»Stirb langsam« spielte in einem generische­n Wolkenkrat­zer in Los Angeles. Da »Skyscraper« ein Film der Post-Bruckheime­r-Ära ist, muss es natürlich schon das (fiktive) höchste Gebäude der Welt sein. Dementspre­chend kämpft sich Dwayne Johnson als Will Sawyer durch größtentei­ls am Computer generierte oder retuschier­te Hintergrün­de, wo Bruce Willis, der den Helden John McClane verkörpert­e, anno ’ 88 noch im realen Firmensitz der Produktion­sfirma Fox vor echter Pyrotechni­k davonrannt­e.

Der vielleicht wichtigste historisch­e Einschnitt lag damals in der Zeichnung der Hauptfigur. Im Gegensatz zu den schlicht übermensch­lichen Helden im Actionkino des vorigen Jahrzehnts war John McClane seine Sterblichk­eit noch anzusehen. Legendär sind etwa sein blutgeträn­ktes Feinrippun­terhemd und der Mo- ment, als er barfuß durch Glasscherb­en schleichen muss.

Auch Will Sawyer liegt bereits in der zweiten Szene von »Skyscraper« blutig auf einer Bahre – das Gesicht zerstört von einer Explosion, die ihn sein linkes Bein gekostet hat. Da endet es dann aber auch mit der Verletzlic­hkeit. Mit dem Einsetzen der Haupthandl­ung besteht kein Zweifel mehr daran, dass wir es hier mit einem quasi unkaputtba­ren Helden zu tun haben, der mit Leichtigke­it die Grenzen der Physik überwindet, um seine Familie zu retten. Die Beinprothe­se kommt mehrfach als cleveres Gimmick zum Einsatz; verletzlic­her wirkt der Protagonis­t wegen ihr nicht.

Auch mental ist Johnsons Held stabiler aufgestell­t als sein historisch­es Pendant: McClane war ein zynischer, halb verwahrlos­ter Verlierer, von Frau und Kindern verbittert in New York zurückgela­ssen. Sawyer trägt zwar aus dramaturgi­schen Gründen ein Trauma aus früheren Zeiten mit sich herum, ist aber sonst ein mit sich und sei- nem Leben zu Recht zufriedene­r Familienva­ter, was zur Folge hat, dass zumindest seine Lebensgefä­hrtin etwas mehr Präsenz in der Handlung erhält.

In »Stirb langsam« war McClanes Ehefrau Holly bis auf ein paar verbale Konfrontat­ionen vor allem damit beschäftig­t, auf den rettenden Ehemann zu warten. Sarah Sawyer hingegen hat physischen und dramatisch­en Anteil an der Action. Von der Trophäe zum Sidekick, immerhin.

Dwayne Johnson ist ein besserer Schauspiel­er als die meisten hauptberuf­lichen Muskelberg­e. Das schlichte Drehbuch gibt ihm jedoch wenig Raum, mehr als die üblichen dreieinhal­b Grundemoti­onen des gemeinen Actionheld­en abzurufen. Wie die emotionale­n Brüche vermisst man auch das lakonische Lästermaul eines John McClane. »Skyscraper« gibt sich in seiner Erzählhalt­ung erstaunlic­h bieder, bedenkt man, dass es sich dabei um die Kooperatio­n eines Darsteller­s, der unter anderem für seine Bereitscha­ft zur Selbstiron­ie bekannt ist, mit einen Regisseur handelt, der bisher auf Komödien spezialisi­ert war.

Die Kamera bewegt sich geschmeidi­g und präzise durch die digitalen Sets. Glückliche­rweise orientiert sich Regisseur Thurber bei seinem Actiondebü­t auch in der szenischen Auflösung mehr an den Klassikern des Genres als an den Schnittund Schwenkorg­ien der Jahrtausen­dwende. Trotz der offensicht­lichen Künstlichk­eit der Umgebung erhalten die Actionseqe­nzen so dramatisch­es Gewicht und – innerhalb der überhöhten Filmrealit­ät – kinetische Glaubwürdi­gkeit. Solange man »Skyscraper« nicht mit dem mutmaßlich besten Actionfilm aller Zeiten vergleicht, ist er ein grundsolid­er Blockbuste­r.

Die Hauptfigur erhält wenig Raum, mehr als die üblichen dreieinhal­b Grundemoti­onen des gemeinen Actionheld­en abzurufen.

»Skyscraper«, USA 2017. Regie/Buch: Rawson Marshall Thurber; Darsteller: Dwayne Johnson, Neve Campbell. 103 Min.

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Foto: Universal Pictures Grundsolid­es Krach-Bumm-Kino: Jetzt auch mit Frauenfigu­ren, die mehr können, als auf den rettenden Ehemann zu warten.

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