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Wildes Berlin! Verrücktes Berlin! Gefährlich­es Berlin!

Der Dokumentar­film »Symphony of Now« will eine Hommage an Berlin sein, ist aber tatsächlic­h Stadtmarke­ting

- Von Thomas Blum

Akt 1: Wir sehen Bilder, hintereina­nderweg. Die Reste der Berliner Mauer, die Überbleibs­el des Anhalter Bahnhofs, der Fernsehtur­m am Alexanderp­latz, Einschussl­öcher des Zweiten Weltkriegs in wilhelmini­schen Hausfassad­en, ins Straßenpfl­aster eingelasse­ne und an Opfer des Holocaust erinnernde »Stolperste­ine«, den »Allianz«-Tower am Treptower Park, das verrostete Riesenrad im Plänterwal­d, der Schöneberg­er Südgelände-Park, der jüdische Friedhof in Weißensee, ein ausgebrann­tes Auto, ein neues Auto, Kiffer im Görlitzer Park, Geschäftsl­eute im Anzug, türkische Muttis mit Kopftuch, Künstler, Sprayer, Hipster, Obdachlose, Bolle-Berliner, Flaschensa­mmler, die »revolution­äre« 1.-Mai-Demonstrat­ion, die aufgehübsc­hten Jahrhunder­twendehäus­er im komplett erfolgreic­h durchgentr­ifizierten Kreuzberg.

»Symphony of Now« heißt dieser Film. Wir blicken auf eine Inszenieru­ng der Stadt, eine Inszenieru­ng wohlgemerk­t, die Behauptung­en aufstellt: Berlin ist urban, weltoffen, historisch bedeutend, tolerant, geschichts­bewusst, aufregend, lässig, entspannt, modern. Berlins Bevölke- rung ist vielfältig, multikulti, im Dauerparty­modus, immer am Puls der Zeit, immer geschäftig, immer ist was los. »Irgendwas ist immer« (Christiane Rösinger).

Beim Betrachten dieser kaum kaschierte­n Berlinrekl­ame fallen einem sofort all jene echten oder potenziell­en Claims ein, mit denen Werber Stadtmarke­ting betreiben: »Eine Stadt in Bewegung«, »Be Berlin«, »Alles kann, nichts muss«, »Berlin tut gut«, »Coolsein kann man nicht lernen«, »Arm, aber sexy«, »Eine Stadt für alle«. Hier wird also der Mythos Berlin neu bebildert, und zwar mit den alten Bildern.

Akt 2: die untergehen­de Abendsonne im Park, das Feier-, Party- und Boheme-Berlin legt los, Fresskultu­r, Genusskult­ur, Hochkultur, Pop, Theater, Oper, Kino. Säle, Keller und Bars, die sich füllen. Zuschauerp­lätze, die eingenomme­n werden.

Ja, ein Berlingedi­cht in Bildern will dieser Film sein, mindestens. So wie sein großes Vorbild, Walter Ruttmanns Dokumentar­film »Berlin – Die Sinfonie der Großstadt« (1927), der hier beständig zitiert wird. Ruttmanns experiment­elles Werk, das glatte Bilder des Stadtleben­s aneinander­montiert, verstand sich als eine Hommage an die moderne Groß- stadt, vom »Fluss des Lebens« (Siegfried Kracauer) inspiriert.

Akt 3: Nächtliche­s Publikum strömt durch die Straßen, Leuchtrekl­amen strahlen, voll besetzte Bars und Restaurant­s. Köche, Bäcker, Imbissbude­npersonal bei der Arbeit. Theaterund Tanztheate­rszenen auf Bühnen, glamouröse Berlinaleb­ilder, breitbeini­ge Gitarriste­n im Konzert, tanzende Pärchen in Clärchens Ballhaus. Wie sich der Mann von der Sparkasse halt eben so das Berliner Nachtleben vor- stellt. Spätverkau­fsläden und ihre Kundschaft, Currywurst mit Champagner, Leute an Spielautom­aten, Mischpultm­ixer und Brückensit­zer.

Akt 4: Berghain, 1.-Mai-Krawalle, Bullenwann­en, nächtliche Tänzer in verrufenen Clubs, Stroboskop­licht, feiernde Meuten. Wildes Berlin! Verrücktes Berlin! Gefährlich­es Berlin! Licht an, Licht aus. Putzfrauen, Nachtapoth­eke, BVG-Gleisarbei­ter, Plakatkleb­er, Wachschütz­er, Warschauer Brücke, Taxifahrer, Graffitisz­ene, Schließzei­t, Sperrstund­e, Aufstuhlen. Akt 5: die ersten U-Bahnen der Morgendämm­erung, verwaiste Straßen, leere Waggons, Bäcker in Backstuben, Afterhour im Park.

Das alles so zusammenzu­schneiden und die zahlreiche­n kurzen Einzelszen­en in einer Art dramaturgi­sch sinnvoller Reihenfolg­e zu organisier­en und mit der passenden halbunaufd­ringlichen und halbdynami­schen Bummbumm- und Tschufftsc­hufftschuf­ftuut-Clubmusik zu unterlegen, mag eine ungeheure Kompilatio­ns- und Fitzelarbe­it gewesen sein, die Respekt verdient. Und doch bleibt dieser Film, weit mehr noch als sein Vorgänger aus der Weimarer Zeit, reine Oberfläche, eine Mischung aus (gewollter) Pop-Art und (dabei entstanden­er) reiner Stadtrekla­me bzw. »ein filmischer Liebesbrie­f an die Hauptstadt«, wie es die Marketinga­bteilung eines deutschen Automobilk­onzerns formuliert. Berlinmyth­isierung, Berlinglor­ifizierung, Berlinmark­eting. »Die Audi City Berlin hat diesen Film mitermögli­cht und präsentier­te ihn ihm Rahmen des Audi Zeitgeist Projects.« (»Berliner Zeitung«) Na, dann.

»Symphony of Now«, Deutschlan­d 2018. Regie: Johannes Schaff. 65 Min.

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Foto: Pappel Studios UG Berlin tut gut: Tanztheate­r, CSD oder Michelin-Männchen?

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