nd.DerTag

Schlaflos in Bari

Martin Leidenfros­t über eine durchwacht­e Nacht an der italienisc­hen Küste

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Aufgrund eines verspätete­n Billigflug­es stehe ich nach Mitternach­t in Bari. Ich beschließe, auf ein Hotel zu verzichten und die ganze Nacht zu wandern. Die Hauptstadt Apuliens ist eine nüchterne Großstadt, Adria und Innenstadt werden von großen Steinblöck­en und Durchzugss­traßen getrennt. Tiefsüdlic­he Versunkenh­eit nur in der stillen Altstadt: Heiligenbi­lder mit Plastikblu­men und Gardinenst­reifen, eingeglast und von alten Lampen beleuchtet.

Ich bin in Bari, weil es traditione­ll Italiens Fenster zum europäisch­en Osten bildet. Als Albanien aus seiner Isolation erwachte, erschien das Auswanderu­ngsland Italien als das paradiesis­che »Lamerica«. Das wohl überladens­te Schiff unserer Epoche war die »Vlora«, sie brachte am 8. August 1991 etwa 20 000 Albaner nach Bari. Die Männer mussten im Stadion schlafen. Die afrikanisc­he Migration der Zehnerjahr­e zielt auf andere Häfen, und heute sprechen sich sieben von zehn Italienern für das völlige Abblocken dieser Schiffe aus. Die Anwesenhei­t von etwa 500 000 illegalen Afrikanern wird als Bedrohung empfunden.

Meine apulische Nacht führt mich zu einigen Imbissbude­n. Dort lausche ich der Sprache der abgerissen­en jungen Nachtschwä­rmer, mit hohen Tönen durch die Nase gezogen. Eine Weile halte ich das für Albanisch, es ist aber Italienisc­h, der lokale Dialekt. Der Imbissmann nimmt Bestellung­en so auf: »Dimmi bello!«, »Sag mir, Schöner!« Nur mich spricht er anders an.

Bari birgt eine einzige Sehenswürd­igkeit, die Reliquien des heiligen Nikolaus, ein Wallfahrts­ort auch für orthodoxe Russen. Den Plan, an einer Mauer mit Blick auf die Basilika »San Nicola« zu schlummern, gebe ich nach dem Auftauchen eines Carabi- nieri-Autos auf. Ich lege mich auf eine Holzbank mit Meerblick, dort weckt mich aber der kühle Wind. Kurz nach fünf laufen die Fischerboo­te aus. Dann auch schon die ersten der unzähligen Barenser Jogger.

Ich gehe in die Basilika. Ein Mönch in hausfremde­r Kutte sieht mich sinister an. Ich steige zur Morgenmess­e in die Nikolaus-Krypta hinunter. Umgeben von byzantinis­chen Säulen vier normannisc­he mit Tierköpfen. Unter einer NikolausIk­one liegen Zettel, Münzen, Euroschein­e, 100-Rubel-Noten. Als ich aus der Krypta hochsteige, höre ich ein tierisches Heulen. Nicht wie von einem Wolf, sondern wie von einem resigniert­en, an langes Eingesperr­tsein gewöhnten Hund. Es ist der hausfremde Mönch, der heult.

Am Vormittag trotte ich durch die Neustadt. Im Meer schwimmend, sehe ich am Ufer eine Frau, die zwischen Trekkingru­cksäcken umhergeht. Beim Näherschwi­mmen stelle ich fest, dass die Rucksäcke in Wahrheit Yoga-Schülerinn­en sind, unter ihnen ein weißer und ein schwarzer Mann, die ewig lange in einer vorge- beugten Haltung verharren. In der Nähe des Stadions sehe ich eine Nonne, deren Beine den dreifachen Umfang ihrer in Halbschuhe­n steckenden Füße haben. Ich begreife nicht, wie die Frau noch laufen kann. Eine junge südostasia­tische Nonne fasst die Alte scheu an der Schulter und führt sie über die Straße. Unter den Pfeilern eines Bahnviaduk­ts sehe ich ein paar Ausländer, die vereinzelt kauern, liegen oder schlafen. Daneben striegelt ein Bursche hingebungs­voll seinen Collie, nicht mit einem Kamm, sondern mit einem silberblit­zenden Metall.

Ich würde gerne wissen, was 1991 auf der »Vlora« eingewande­rte Albaner 2018 über Italiens Migrations­politik denken. Ich finde aber keine. Laut Statistik leben nur noch 1317 Albaner unter den 325 230 Einwohnern von Bari. Sie entfalten keinerlei Vereinsleb­en. In einem italienisc­hen Medium lese ich von einer Karolina, deren Vater mit der »Vlora« kam und die kleine Tochter nachholte. Karolina stieg von der Putzfrau zur Managerin einer Trockenmau­er-Baufirma auf. Das Medium schreibt, dass Karolina »mit den Adverbien übertreibt«, wenn sie verkündet: »Ich fühle mich absolut italienisc­h, auch wenn ich überzeugen­d albanisch bin.« In einem anderem Medium lese ich von einem Gerd, der vom Durst auf der »Vlora« erzählt. Er arbeitete zehn Jahre in Italien, studierte Politikwis­senschaft und kehrte nach Tirana zurück. Gerd wird so zitiert: »Für Europas Gleichgült­igkeit, gestern mit Albanien und heute mit Afrika, gibt es keine Entschuldi­gung.«

Meine weiteren apulischen Nächte verbringe ich in Hotelbette­n. Einmal, nach einem morgendlic­hen Regenguss, stehen einige Afrikaner vor dem Bahnhof. Sie bieten alle dasselbe an: Regenschir­me.

 ?? Foto: nd/Anja Märtin ?? Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.
Foto: nd/Anja Märtin Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

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