NSU-Urteile
Der Standard, Österreich Gefühl des Staatsversagens
Es ist eine Erleichterung, dass nun dieses Urteil gefallen ist, dass Schuldige benannt wurden und für diese grausamen Taten zur Verantwortung gezogen werden. Lange Zeit war das Bild ein ganz anderes gewesen: In Deutschland zog eine Art braune RAF durchs Land und konnte unerkannt morden, weil die Sicherheitsbehörden sie nicht entdecken konnten oder wollten. Es gab Verflechtungen von V-Leuten mit rechtsextremen Kreisen, es wurden Akten vom Verfassungsschutz geschreddert, die Familien der Opfer wurden bei den Ermittlungen unter Druck gesetzt, Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund wurden lange nicht verfolgt. All das erzeugte ein schreckliches Gefühl des Staatsversagens.
De Volkskrant, Niederlande Milde Urteile für die Helfer
Im NSU-Prozess geht es auch um die Geschichte eines Landes, das gut 70 Jahre nach seiner Auferstehung aus den Ruinen des Dritten Reiches mit der Tatsache ringt, dass es offenbar eine deutliche rechtsextreme Grundströmung in der Gesellschaft gibt. Die Verbrechensstatistiken beweisen, dass diese Strömung in den vergangenen Jahren deutlich stärker geworden ist. Die Angehörigen [der NSU-Opfer] und ihre Anwälte sind der Ansicht, dass Polizei, Justiz und Geheimdienste wegschauen. Oppositionsparteien wie die Grünen und die Linke schließen sich dieser Beurteilung an. Mit Blick auf die milden Urteile für die Helfer des NSU-Trios sehen sie sich zusätzlich bestätigt.
Neue Zürcher Zeitung, Schweiz Neuauflage des NSU möglich
Es wäre gefährlich für die Gesellschaft, wenn man nun unter den gesamten NSU-Komplex einen Schlussstrich zöge. Denn es gibt eine Vielzahl von Anzeichen, dass es heutzutage jederzeit wieder eine Neuauflage des NSU unter anderem Namen geben könnte. Nebenklagevertreter ebenso wie Rechtsextremismusexperten gehen davon aus, dass das Netzwerk des NSU, schätzungsweise bis zu 200 Personen, die bei der Vorbereitung und auch eventuell bei der Ausführung der Taten halfen, weitgehend oder total unbehelligt weiterhin an verschiedenen Orten in Deutschland lebt. Man sollte nicht nur die Schuld bei zu wenig intensiv arbeitenden Ermittlungsbehörden suchen. Oder auf schlampige Verfassungsschützer schimpfen, die die rechte Szene hätten beobachten sollen, stattdessen aber nicht selten in diese verstrickt waren und daher nichts oder nicht genügend Informationen weitergegeben haben. Das alles macht zwar nicht gerade hoffnungsfroh, wenn man an die Verhinderung künftiger Straftaten durch die Staatsorgane denkt. Die Gesellschaft sollte sich jedoch eingestehen, dass der Nährboden, der einst aus Zschäpe und ihren 2011 durch Suizid gestorbenen Gefährten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt den gewaltbereiten und mordenden NSU werden ließ, keineswegs ausgetrocknet ist. Auf Demonstrationen von Pegida oder auch bei manchen Zusammenkünften der Alternative für Deutschland wird gegen Ausländer gehetzt, dass Zschäpe und Co. ihre helle Freude hätten. Auch die Art und Weise, wie immer mehr Menschen über Flüchtlinge reden, dient nicht unbedingt dazu, diese als Mitmenschen zu betrachten und zu schützen.
Das Fazit des NSU-Prozesses müsste daher sein, dass die Gesellschaft äußerst wachsam und zudem willens sein muss, rechtsextremes Gedankengut rechtzeitig zu erkennen. Jeder und jede muss den Mut aufbringen gegenzusteuern.
Tages-Anzeiger, Schweiz Fremdenhass ausgebreitet
Von der angeblichen »Invasion« der Flüchtlinge angestachelt, treten Neonazis heute hemmungsloser auf als jemals zuvor. In sozialen Netzwerken wird ohne jede Scheu gegen »Ausländer« oder »Türken« gehetzt. Der Fremdenhass hat sich längst in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft ausgebreitet und dort festgekrallt. Selbst neue Terrorzellen sind entstanden. Zuletzt wurde in Sachsen die »Gruppe Freital« verurteilt, deren Brandanschläge gegen Flüchtlingsheime nur durch Zufall keine Menschen töteten. Die Öffentlichkeit, nicht nur in Deutschland, nimmt davon erstaunlich wenig Notiz. Alle starren auf den islamistischen Terror und vergessen, dass Gewalt von Rechtsextremen seit 1990 allein in Deutschland mehr als 200 Menschen das Leben gekostet hat.