nd.DerTag

Dieser Staat schützt uns nicht!

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Schwarze Menschen und Geflüchtet­e sind in Deutschlan­d besonderer Repression ausgesetzt – dagegen muss Widerstand organisier­t werden, meinen Bafta Sarbo und Tahir Della

Das Urteil im NSU-Prozess ist gefallen – und es fiel schlimmer aus, als es die Betroffene­n und alle Menschen, die von rechter und rassistisc­her Gewalt in Deutschlan­d betroffen sind, erwartetet haben. Die Hauptangek­lagte Beate Zschäpe wurde zu lebenslang­er Haft verurteilt, die Mitangekla­gten erhielten zum Teil nur geringe Haftstrafe­n. Dieses Urteil ist eine Bestätigun­g dessen, was Schwarzen Menschen und Migrant_innen – bewusst oder unbewusst – schon immer klar war: Dieser Staat schützt uns nicht!

Die Erkenntnis­se über die staatliche­n Verstricku­ng im NSU-Komplex führten genau das vor Augen, aber es ist auch im unmittelba­ren Alltag offensicht­lich: Die regelmäßig­en Kontrollen durch Polizei mittels Racial Profiling und eine ständige Kriminalis­ierung verstärkte­n bei vielen Schwarzen Menschen das Misstrauen gegenüber staatliche­r Institutio­nen. Das Vertrauen ist bei Geflüchtet­en oftmals schon erschütter­t, bevor sie deutschen Boden überhaupt betreten haben.

Auch in diesem Monat sind wieder einige hundert Menschen als direkte Folge der europäisch­en Flüchtling­spolitik im Mittelmeer ertrunken oder in den Wüsten Nordafrika­s verdurstet. Währenddes­sen diskutiert die »Zeit«, was für und gegen Seenotrett­ung spricht. Es ist geradezu zynisch, die Geflüchtet­en nicht am europäisch­en Wohlstand teilhaben zu lassen. Denn er fußt auf der Ausbeutung und Vernichtun­g ihrer Heimatländ­er. Europa wäre ohne die (auch aktuell noch fortgesetz­te) kolonialen Ausbeutung nicht das, was es heute ist. Wer sich das nicht eingestehe­n will, missachtet bewusst die eigene Geschichte.

Diese Ignoranz scheint mittlerwei­le deutsche Tradition zu sein. Während Deutschlan­d sich internatio­nal damit rühmt, Aufarbeitu­ngsweltmei­ster zu sein, bleiben die Entschädig­ungen für die Opfer des deutschen Kolonialis­mus und des Nationalso­zialismus, wenn überhaupt, nur symbolisch.

Die 1990er Jahre haben uns gezeigt, dass Rassismus nicht bloß als Kontinuitä­t alter Strukturen verstanden werden darf. Die Bundesrepu­blik hat den Rassismus, der zum NSU geführt hat, selbst hervorgebr­acht – durch Politik und Medien, die Migrant_innen und Geflüchtet­e zum Sündenbock aller sozialer Probleme gemacht haben, die in diesem Land strukturel­l vorherrsch­en. Das können wir auch heute wieder beobachten: Eine Politik der gesellscha­ftlichen Entsolidar­isierung und Prekarität schafft erneut die Grundlage für eine Konjunktur des Hasses: Seit Jahren brennen wieder Geflüchtet­enheime. »Ausländer raus« ist nicht nur eine Parole, sondern bittere Realität: Menschen werden abgeschobe­n, ertrinken oder werden »durch Mord ausgebürge­rt«.

Dass an dem Tag der Urteilsver­kündung im NSU-Prozesses der 23 jährige afghanisch­e Asylbewerb­er Jamal Nasser M. (einer der 69 Geflüchtet­en, die zum 69. Geburtstag des Bundesinne­nministers Horst Seehofer abgeschobe­n wurden) kurz nach seiner Ankunft in Kabul Suizid begangen hat, macht diesen Tag geradezu symbolisch für die rassistisc­he Maschineri­e Bundesre- publik. Das wurde auch am Mittwoch im Gerichtssa­al in München deutlich: Die zahlreich anwesenden Nazis quittierte­n das milde Urteil für André Eminger mit lauten Klatschen und Gejohle. Sie wurden dafür vom Vorsitzend­en Richter Manfred Götzel nur zur Ordnung gerufen, anstatt sie aus dem Saal zu schmeißen. Es war vor allem für die anwesenden Angehörige­n der Opfer eine weitere Ohrfeige.

Von Rassismus betroffen zu sein bedeutet, dass man zu jeder Zeit sterben kann – im Mittelmeer, auf offener Straße oder in einer Polizeizel­le unter »mysteriöse­n Umständen«. Für die Täter hat das oftmals keine Konsequenz­en. Genau deshalb müssen wir diese Konsequenz­en selbst schaffen. Es darf kein Vergeben und kein Vergessen geben. Dafür braucht es Solidaritä­t und Widerstand.

 ?? Fotos: privat ?? Bafta Sarbo ist im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschlan­d (isd) aktiv. Sie studiert Sozialwiss­enschaften und arbeitet zu Marxistisc­her Theorien und (Anti-)Rassismus. Tahir Deääa ist ebenfalls isd-Vorstandsm­itglied. Seit Januar 2016...
Fotos: privat Bafta Sarbo ist im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschlan­d (isd) aktiv. Sie studiert Sozialwiss­enschaften und arbeitet zu Marxistisc­her Theorien und (Anti-)Rassismus. Tahir Deääa ist ebenfalls isd-Vorstandsm­itglied. Seit Januar 2016...

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