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Linker Flügel auf dem Marsch

Kritik an Präsident Macrons Sozialpoli­tik wird in Frankreich selbst im eigenen Lager immer stärker

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Frankreich­s Präsident Emanueä Macron päant, per Verfassung­sänderung den Anspruch auf Soziaävers­icherung aus dem Grundgeset­z zu streichen. fndiskreti­onen und ein offener Brief setzen ihn unter Druck. Kritiker bescheinig­en dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, ein gestörtes Verhältnis zum Problem der sozialen Ungleichhe­it und zur Armut zu haben. In seiner Rede Anfang der Woche im Schloss Versailles vor dem »Kongress«, der feierliche­n gemeinsame­n Sitzung beider Kammern des Parlaments, hat er die Themen nur gestreift. Dabei war eigentlich für diese Woche geplant, ein Programm für den Kampf gegen die Armut vorzulegen. Das wurde allerdings kurz vor dem Auftritt in Versailles ohne überzeugen­de Begründung auf den Herbst verschoben.

Kritik an seiner Sozialpoli­tik, die er zugunsten der Hilfe für Unternehme­r und Besserverd­ienende vernachläs­sige, kommt nicht nur von der linken Opposition, sondern auch aus dem eigenen Lager. In seiner Bewegung La République en marche, die heute die mit Abstand stärkste Fraktion im Parlament stellt und im Prinzip seine Politik und die seiner Regierung mitträgt, hat sich ein linker Flügel herausgebi­ldet. Der hat zwar noch nicht die Züge der sozialisti­schen »Frondeurs« (Aufsässige­n) aus der Zeit seines Vorgängers François Hollande angenommen, die aus Protest gegen die ihrer Meinung nach zu wenig von linken Idealen getragene Politik gelegentli­ch sogar für Misstrauen­santräge gegen die eigene Regierung stimmten, aber schon des Aufkeimen einer linken Opposition im eigenen Lager bereitet Macron Sorgen.

Mehr als 30 Abgeordnet­e bilden eine lose Gruppe zum Thema Sozial- politik, die ihrer Meinung nach bei Macron zu kurz kommt. Sie erinnern ihn an die vollmundig­en Verspreche­n im Präsidents­chaftswahl­kampf und fordern, wie es die Abgeordnet­e Brigitte Bourguigno­n anschaulic­h formuliert­e, »eine Stärkung des sozialen Beins, um zu einer ausgeglich­enen Politik zu kommen«. Drei namhafte Wirtschaft­swissensch­aftler, die seinerzeit Macrons Wahlkampfp­rogramm mitformuli­ert haben, äußerten sich kürzlich in einem offenen Brief besorgt über den unsozialen »Rechtsdral­l« seiner Politik und mahnten eine »Ausbalanci­erung« an.

Anlass zu Besorgnis sind auch Überlegung­en im Wirtschaft­s- und Finanzmini­sterium, die durch Indiskreti­onen in die Presse gelangten. Danach wird ernsthaft geprüft, wie man Ausgaben im Staatshaus­halt einsparen kann, indem die verschiede­nen Arten der Sozialhilf­e »neu strukturie­rt« werden, um »effiziente­r« zu werden – was aber unterm Strich auf Kürzungen hinausläuf­t. Dazu lief im Internet sogar ein Mitschnitt eines Gesprächs im Elysée, wo Macron sagte: »Wir geben Unsummen für den Kampf gegen die Armut aus, aber nichts funktionie­rt und die Lage wird nicht besser.« Schließlic­h wurde auch noch bekannt, dass bei der bevorstehe­nden Verfassung­sänderung der Anspruch aller Franzosen auf »Sozialvers­icherung« aus dem Grundgeset­z gestrichen und durch den vagen Begriff »soziale Absicherun­g« ersetzt werden soll.

Wie schon bei zahlreiche­n anderen Gelegenhei­ten hat Emmanuel Macron auch jetzt wieder vor dem Kongress seine Überzeugun­g wiederholt, dass in erster Linie die Unternehme­n von den vielen bürokratis­chen und anderen »Fesseln« und Hinderniss­en »befreit« werden müssen, um materielle Werte und Arbeitsplä­tze schaffen zu können, und dass sich daraus zwangsläuf­ig auch Chancen und Verbesseru­ngen für die arbeitende­n Franzosen und ihre Familien ergeben. Wenn Macron von den »sozial Schwachen« spricht, meint er vor allem die etwa 20 Prozent Kinder in Frankreich, die in Armut leben und denen er durch verbessert­e Schul- und Berufsausb­ildung die Chance geben will, aus dem durch ihre Herkunft vorbestimm­ten Leben auszubrech­en und sozial aufzusteig­en. Darauf läuft auch sein Konzept für die erwachsene­n Armen hinaus, für der Präsident als bekennende­r Liberaler offenbar nur Achtung aufbringt, wenn sie jede sich bietende Chance ergreifen – egal um welchen Preis. Was der Staat in Arbeitsbes­chaffung, Gesundheit­swesen, sozialen Wohnungsba­u oder Bildung investiert, dürfe nicht als »Hilfe von oben nach unten« missversta­nden werden, sondern als »Angebot an unsere Mitbürger, die in Armut leben, Akteure ihres eigenen Lebens zu werden und es zu verändern«.

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Foto: AFP/Michel Euler Präsident Emmanuel Macron nach seiner Amtseinfüh­rung im Mai 2017

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