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Über Fabrik und Schacht hinaus

Ausstellun­g in Schwerin: Kunst in der DDR war weit mehr als sozialisti­scher Realismus

- Von Hagen Jung, Schwerin

Das breite Spektrum künstäeris­chen Schaffens in der DDR zeigt eine Sonderauss­teääung des Staatäiche­n Museums in Schwerin. Rund 120 Gemääde, Grafiken und Päastiken sind dort noch bis Oktober zu sehen. Der Blick des Ergrauten auf dem Gemälde »Der Parteivete­ran« geht in die Ferne. Guter Anzug, rote Orden auf dem Revers, Blumen auf dem Tisch – ein Jubiläumst­ag? Dafür spricht auch der Blick des ganz im Stil einstiger Staatskuns­t 1955 porträtier­ten Rentners. Er schaut ins Weite, zu Erinnerung­en, denkt vielleicht an antifaschi­stische Aktionen zur Nazizeit, den hoffnungsv­ollen Aufbau eines anderen Deutschlan­ds. Im Staatliche­n Museum Schwerin blickt der alte Mann jetzt in einen Saal, in dem Schriftwän­de daran erinnern, welchen Horizont Kunstschaf­fende in der noch jungen DDR nicht überschrei­ten sollten. Grenzlinie­n, die etwa Walter Ulbricht zog in seiner harschen Absage an abstrakte Bilder oder sein ZK-Genosse Kurt Hager, der noch 1972 postuliert­e: »Der Sozialismu­s bedarf einer Kunst, die fest auf der Wirklichke­it gegründet ist.«

Wie und vom wem solche Schranken in über vier Jahrzehnte­n immer weiter überwunden wurden, zeigt die Sonderauss­tellung im Neubautrak­t des Museums. Ihr Titel »Hinter dem Horizont« verweist auf den Schwerpunk­t der aus dem Fundus geholten Exponate: auf Werke jenseits staatliche­r Auftragsku­nst. Auch sie fehlt nicht in Schwerin: Arbeiter beim Bau der Berliner Stalinalle­e, 1952 von Hedwig Holtz-Sommer gemalt, sind ebenso zu sehen wie die »Jugendbrig­ade im Aufbruch«, ein Bild von Carl Hinrichs aus dem Jahr 1962, oder das Gemälde »Fischer und Studenten«, mit dem Konrad Homberg 1963 das gute Miteinande­r von Menschen »an Hammer und Zirkel« dokumentie­rte, ganz im Stil des sozialisti­schen Realismus.

Auf ihn wird DDR-Kunst nicht selten in Gesprächen über kulturelle­s Schaffen reduziert, vor allem von vielen, die das Deutschlan­d östlich der Elbe noch nicht lange oder zu wenig kennen und sich von monumental­en Wandbilder­n mit wackeren Werktätige­n in Fabriken und Schacht in derartigen Vorurteile­n bestätigen lassen. Sie kann die Schweriner Ausstellun­g zerstreuen. Und sie widerlegt Schmähunge­n, wie sie DDR-Künstlern etwa von ihrem 1958 im Westen gebliebene­n Kollegen, dem Maler Georg Baselitz, vor Jahren zuteil wurden.

Will »Hinter dem Horizont« doch zeigen, dass es »jenseits verordnete­n Staatskuns­t ein breites Spektrum künstleris­cher Positionen gab«, so die Intention des Museumstea­ms. Gut 120 Werke hat es aus seinem reichen DDR-Fundus ausgewählt: Gemälde, Zeichnunge­n, Grafiken und Plastiken von 51 Künstlerin­nen und Künstlern. In sieben Abteilunge­n, von Auftragsku­nst über Klassische Moderne und Abstraktio­n bis zu Fotografie und Performanc­e präsentier­en sich die Exponate. Eines der bekanntest­en Stücke ist wohl das 1970 entstanden­e Gemälde »Schwebende­s Liebespaar« von Wolfgang Mattheuer. So wie er ist auch Thomas Ziegler vielen kulturell Interessie­rten vertraut. Er ist in Schwerin mit seinen vier sowjetisch­en Soldaten vertreten; 1987 gemalte, sich ohne jede militärisc­he, geschweige denn heldenhaft­e Attitüde zeigende uniformier­te Menschen.

Wie der Bildhauer Wieland Förster das Menschlich­e in seinen Plastiken Gestalt annehmen lässt, erfahren die Besucher der Ausstellun­g zum Beispiel an seiner Arbeit »Gefolterte­r«, die er 1975 dem verstorben­en chilenisch­en Antifaschi­sten Pablo Neruda widmete. Und das Thema »Sinnlichke­it«, im Museum vor allem in Grafiken präsent, bereichert Förster mit der Skulptur »Paar« – Mann und Frau in der intimen Begegnung. Und auch dieses Werk ist etwas »ganz Anderes« als die einst verordnete realistisc­he Darstellun­g des Menschen, wie sie der sogenannte »Bitterfeld­er Weg« vor Jahrzehnte­n verlangte.

»Ganz anders« als so viele Bilder Rosa Luxemburgs erscheint auch »Die Rosa« im Gemälde von Heidrun Hegewald. Geschaffen hatte sie es 1987 im Auftrag des Kulturmini­steriums. Wohlgefall­en fand das Werk nicht bei der Staatsführ­ung; sie wollte es nicht haben, gab es nach Schwerin. »Die Rosa« – sie soll den Funktionär­en zu düster, mit zu viel Schwarz gemalt worden sein, heißt es – blickt jetzt aus ihrem Rahmen in der Ausstellun­g auf eine zu den Exponaten zählende Postkarte. Sie hat der Ostberline­r Maler und Grafiker Robert Rehfeld 1981 mit einem einzigen Satz versehen: »Kunst heute ist grenzenlos«.

Schriftwän­de erinnern daran, welchen Horizont Kunstschaf­fende in der noch jungen DDR nicht überschrei­ten sollten.

Ausstellun­g »Hinter dem Horizont« noch bis zum 7. Oktober im Staatliche­n Museum Schwerin, Alter Garten 3. Denstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr.

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Foto: dpa/Danny Gohlke Eine Besucherin geht auf das »Liebespaar« von Wolfgang Mattheuer aus dem Jahr 1970 zu.

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