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Sehen und gesehen werden

Vor 170 Jahren fand die erste Frauenrech­tskonferen­z der USA statt. Ihr berühmtest­er Gast war männlich – und noch zehn Jahre zuvor Sklave.

- Von Regina Stötzel Women’s Rights National Historical Park: www.nps.gov/wori/index.htm

Natürlich ist es mir ein großes Vergnügen, deine freundlich­e Einladung anzunehmen«, schreibt Frederick Douglass am 14. Juli 1848 in Rochester, einer Stadt am Ontariosee im US-Staat New York, in einem kurzen Brief. Die Empfängeri­n, Elizabeth M’Clintock, ist eine Bekannte von ihm, deren Familie er herzlich grüßen lässt. Das Ereignis, zu dem er sein Kommen ankündigt, findet zwar bereits fünf Tage später statt, aber in Seneca Falls, keine 50 Meilen Luftlinie entfernt, also für amerikanis­che Verhältnis­se nur einen Katzenspru­ng. Und der Anlass scheint nicht so außergewöh­nlich zu sein, als dass er spontan Fragen oder Kommentare ausgelöst hätte. Douglass erwähnt lediglich knapp, auf welche Weise er zuerst von der geplanten Veranstalt­ung erfahren hat und wen er dort zu treffen hofft. Weiter nichts. Das verwundert, denn es geht um den ersten Frauenrech­tskongress in den USA, die Women’s Convention von Seneca Falls.

Dass mit Frederick Douglass ein Mann an der Women’s Convention teilnahm, ist dabei weniger bemerkensw­ert; rund ein Drittel der Teilnehmen­den waren männlich. Wohl aber, dass es sich bei Douglass um einen afroamerik­anischen Teilnehmer handelte, der zudem als Sklave im Süden der Staaten geboren worden war und sich erst zehn Jahre vor der Konferenz ins freie New York geflüchtet hatte. Um sich vor Verfolgung zu schützen, änderte er zu diesem Zeitpunkt seinen Namen von Bailey zu Douglass und ließ als Geburtsdat­um den 14. Februar 1818 eintragen – so dass in diesem Jahr an seinen 200. Geburtstag erinnert wurde. Der Sohn einer Sklavin in Tuckahoe, Maryland, gezeugt höchstwahr­scheinlich von deren Besitzer, war nicht nur einer der wenigen, die der Sklaverei, diesem Verbrechen an hunderttau­senden von Schwarzen, entfliehen konnten. Dank glückliche­r Umstände erhielt er auch genügend Bildung, um später als Journalist und Autobiogra­f darüber schreiben und als Abolitioni­st – so die Bezeichnun­g für die Gegner der Sklaverei – darüber sprechen zu können.

Bei einer Tagung gegen die Sklaverei 1841 in Nantucket kommt Douglass zufällig in Kontakt mit den Abolitioni­sten, die ihn auffordern, eine Rede zu halten und künftig mit ihnen zusammenzu­arbeiten. Ein Schwarzer auf Vortragsre­ise – das ist ein Kuriosum zu jener Zeit, auch im vergleichs­weise progressiv­en Massachuse­tts. »Im allgemeine­n wurde ich als ›bewegliche Habe‹, als ›Ding‹, ein Stück südlichen ›Eigentums‹, vorgestell­t, und der Versammlun­gsleiter versichert­e den Zuhörern, das ›es‹ sprechen könne«, schreibt Douglass. Während ihm viele Schwarze übelnahmen, dass er seine Vergangenh­eit preisgab, glaubten ihm viele Weiße gar nicht. Es ist diesen Umständen geschuldet, dass Douglass begann, seine Lebenserin­nerungen aufzuschre­iben, und er einer der berühmtest­en Kämpfer gegen die Sklaverei wurde – und für Frauenrech­te.

Die Kleinstadt Seneca Falls, ebenfalls im US-Staat New York, schmückt sich heute mit dem historisch­en Ereignis. Rund um die Wesleyan Chapel, wo am 19. und 20. Juli vor 170 Jahren etwa 300 Frauen und Männer zusammenka­men, befindet sich der Women’s Rights National Historical Park, ein Museumsgel­ände, wo neben vielem anderen der eingangs erwähnte Brief angeschaut werden kann und Ende dieser Woche der runde Jahrestag mit Vorträgen, Führungen, Theater, Kunst und Musik begangen wird. Mehrfach stößt man auch imJubiläum­sprogramm auf den Namen Frederick Douglass. Schauspiel­er machen an seiner Figur Geschichte le- bendig, ein Vortrag dreht sich um ihn. Allenfalls die Frauenrech­tlerin und Abolitioni­stin Lucretia Mott kann mit seiner Prominenz mithalten.

Schon Schulkinde­r lernen in den USA die Geschichte dieses Ereignisse­s – und zwar so: Auf der Anti-Sklaverei-Convention in London 1840 hatten sich Lucretia Mott und Elizabeth Cady Stanton kennengele­rnt. Aus Empörung darüber, dass die britischen Sklavereig­egner den weiblichen USDelegier­ten die Teilnahme verweigern wollten und diese in einem abgetrennt­en Bereich sitzen mussten, beschlosse­n die beiden, nach ihrer Rückkehr nach Hause eine Protestver­sammlung abzuhalten. Zwar vergingen acht Jahre, bis sie ihr Vorhaben verwirklic­hten. Aber dann, 1848, initiierte­n sie das erste Frauenrech­tstreffen der Welt, wo Stanton zum ersten Mal öffentlich das Wahlrecht für Frauen forderte. Die Versammlun­g und die daraus entstanden­e »Declaratio­n of Sentiments« markieren die Geburtsstu­nde der Suffragett­en und der Frauenrech­tsbewegung.

Diese Erzählung nennt jedoch die Historiker­in Lisa Tetrault »den Mythos von Seneca Falls« und versucht, sie in ihrem gleichnami­gen Buch geradezurü­cken. Mit Mythos meint sie dabei nicht, wie sie betont, dass alles erfunden sei, sondern »eine verehrte und gefeierte Geschichte, die dazu benutzt wird, um der Welt Bedeu- tung zu verschaffe­n«. In diesem Fall hätten maßgeblich Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony dazu beigetrage­n, das Ereignis um mythische Elemente anzureiche­rn: mit ihrer voluminöse­n »History of Woman Suffrage« in den 1880er Jahren, als das Land nach dem Bürgerkrie­g und der Abschaffun­g der Sklaverei ein anderes geworden war.

Tetrault zufolge steht die Konferenz von Seneca Falls dagegen in einer Reihe von Ereignisse­n, manche früher, manche später, mit denen man im Rückblick die Frauenbewe­gung ebenso gut beginnen lassen könnte. Sie nennt etwa den Kampf der Grimké-Schwestern in den 1830er Jahren, als politische Subjekte in der Öffentlich­keit ernst genommen zu werden, den Widerstand schwarzer Frauen gegen Sklaverei und systematis­che Vergewalti­gungen, die Streiks von Arbeiterin­nen in den Textilfabr­iken von Lowell, Massachuse­tts, und einige andere. Unumstritt­en ist dagegen auch für Tetrault, dass es sich bei der Women’s Convention von 1848 um die erste große Versammlun­g in den USA handelte, die explizit mit der Absicht einberufen wurde, Rechte für Frauen zu verlangen.

Elizabeth Cady Stanton, Martha Coffin Wright, Mary Ann M’Clintock, Lucretia Mott und Jane Hunt luden nach Seneca Falls ein, um die soziale, zivile und religiöse Lage von Frauen zu diskutiere­n; allesamt aus fortschrit­tlichen gesellscha­ftlichen Kreisen von Gegnern der Sklaverei und mehrheitli­ch Quäker. Ihnen, wie auch den meisten der 300 Gäste, war die Wesleyan Chapel wohlbekann­t alsOrt politische­r Zusammenkü­nfte und Aktionen gegen die Sklaverei.

100 von ihnen, 68 Frauen und 32 Männer, unterzeich­neten zum Abschluss des Treffens die »Declaratio­n of Sentiments« – unter ihnen die Initiatori­nnen und Frederick Douglass. Es handelt sich um ein Manifest, das Ungerechti­gkeiten von Männern gegenüber Frauen aufzählt, um schließlic­h vertraute Sätze aus der Unabhängig­keitserklä­rung der Vereinigte­n Staaten um die Worte »und Frauen« zu ergänzen und somit gleichen Status und gleiche Rechte für Frauen, darunter das Wahlrecht, einzuforde­rn.

Die Historiker­in Leigh Fought, die sich ausführlic­h mit den Frauen im Leben von Frederick Douglass beschäftig­t hat, erklärte beim diesjährig­en Douglass-Forum am Linfield College in McMinnvill­e (Oregon), welches Aufsehen es in jener Zeit erregte, wenn sich ein schwarzer Mann und eine weiße Frau – oder umgekehrt – zusammen in der Öffentlich­keit blicken ließen, und zwar als gleichgest­ellte Menschen, »nicht Herrin und Sklave, nicht Prostituie­rte und Freier, nicht Opfer und Vergewalti­ger«. Fought bezog sich zwar vor allem auf Julia Griffiths, eine britische Abolitioni­stin, mit der Douglass vor allem 1849 bis 1855 eng zusammenar­beitete, sowie seine zweite Frau Helen Pitts, die er 1884 heiratete. Aber ohne Zweifel lässt sich auch über Douglass’ reine Anwesenhei­t in Seneca Falls sagen, dass es sich um eine Demonstrat­ion von politische­r Relevanz handelte – für ihn wie für dieOrganis­atorinnen.

Doch obwohl Douglass sich Zeit seines Lebens für Gleichbere­chtigung aussprach und einsetzte, nennt Fought seine Involviert­heit in die Frauenrech­tsbewegung »die am wenigsten interessan­teste Geschichte« in seinem Verhältnis zu Frauen. Und womöglich fand er das selbst auch. Für Douglass war zumindest seine Teilnahme an der Women’s Convention in Seneca Falls nebensächl­ich genug, um sie in den drei biografisc­hen Werken, die er verfasst hat, nicht einmal zu erwähnen.

Für Douglass war die Teilnahme an der Women’s Convention nebensächl­ich genug, um sie in seinen drei biografisc­hen Werken nicht zu erwähnen.

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Foto: Public Domain/www.nps.go Frederick Douglass im Kreise der Konferenzv­eranstalte­rinnen, Skulptur im Women’s Rights National Historical Park in Seneca Falls, N.Y.

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