nd.DerTag

»Wir wollen euch zu Hause«

Massendemo­nstration in Barcelona für die Freilassun­g politische­r Gefangener

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Die Rechte in Spanien ist empört, dass Deutschlan­d weder Rebellion noch Aufstand in Katalonien sieht. Sie fürchtet, dass auch die spanische Staatsanwa­ltschaft diese Vorwürfe nun fallen lässt.

Bevor am Samstagabe­nd in Barcelona etwa 200 000 Menschen für die Freiheit der katalanisc­hen politische­n Gefangenen demonstrie­rt haben, sind schwache Hoffnungen aufgekeimt, dass die politische­n Gefangenen nach der Entscheidu­ng im deutschen Oberlandes­gericht in Schleswig bald freikommen könnten. Für die Veranstalt­er, zu denen Òmnium Cultural gehört, war es ein Teilsieg, dass die neun Gefangenen inzwischen nach Katalonien verlegt wurden. Aber ÒmniumVize Marcel Mauri beklagte, es seien weiterhin »Geiseln« Spaniens, zu denen auch Òmnium-Chef Jordi Cuixart gehört. Jeder Haftgrund sei entfallen, da in Deutschlan­d die Vorwürfe einer angebliche­n Rebellion abgelehnt worden sind. Deshalb stand die schnell organisier­te Demonstrat­ion unter dem Motto: »Nicht im Gefängnis, nicht im Exil, wir wollen euch zu Hause«.

Das Oberlandes­gericht SchleswigH­olstein hatte entschiede­n, dass der ehemalige katalanisc­he Regierungs­chef Carles Puigdemont keine Rebellion anführte, es nicht einmal zur Anklage wegen Landfriede­nsbruch reichen würde, da die nötige Gewalt dafür fehlte. Er könne auch kein »geistiger Anführer« von Gewalttäti­gkeiten sein, zumal er und seine Mitstreite­r stets auf Gewaltlosi­gkeit pochen. Puigdemont kann nur wegen möglicher Veruntreuu­ng ausgeliefe­rt werden, da das mit Untreue in Deutschlan­d vergleichb­ar ist. Da es sich um eine »Katalogtat« im Europäisch­en Haftbefehl handele, durften sie diese Vorwürfe inhaltlich nicht prüfen.

Die Verteidige­r der Katalanen, die auch den Beschluss zu Puigdemont in Deutschlan­d vor dem Verfassung­sgericht anfechten wollen, sehen auf den Obersten Gerichtsho­f in Spanien eine »groteske Situation« zukommen, erklärte Andreu van den Eynde. Puigdemont kann, wird er jemals ausgeliefe­rt, nur wegen Veruntreuu­ng angeklagt und zu einer eher milden Strafe verurteilt werden, während seine Untergeben­en bis zu 30 Jahre hinter Gittern verschwind­en. Die »Unhaltbark­eit der Vorwürfe« würde stets über dem Verfahren schweben, meint der Anwalt.

Ermittlung­srichter Pablo Llarena denkt nun darüber nach, den Haftbefehl gegen Puigdemont zurückzuzi­ehen, wie er es schon einmal in Belgien im vergangene­n Herbst getan hatte. Belgien hat die Auslieferu­ng von drei katalanisc­hen Exilierten ohnehin längst abgelehnt. Eine zweite Variante wäre, Puigdemont zunächst wegen Veruntreuu­ng anzuklagen und nach Strafverbü­ßung erneut wegen schwererer Verbrechen anzuklagen. Das ist nach Ansicht von Juristen möglich.

Die dritte Variante ist, dass das Ministeriu­m für Staatsanwa­ltschaft wegen Llarenas desaströse­r Niederlage in Deutschlan­d die Rebellions­vorwürfe zurückzieh­t. Damit wäre der Weg für die Freiheit der Gefangenen geebnet. An Llarenas Gerichtsho­f befürchtet man das, wie aus gut informiert­en Quellen zu erfahren ist. Vo- raussetzun­gen für den Rückzug sind gegeben, da mit dem Regierungs­wechsel der Sozialdemo­krat Pedro Sánchez nun auch Chef der Staatsanwa­ltschaft ist. Ohne deren Unterstütz­ung ist kaum ein Rebellions­prozess möglich.

Genährt wurde die Sorge von Llarena und den Rechtspart­eien dadurch, dass Sánchez die deutsche Entscheidu­ng akzeptiert. Entscheidu­ngen von Richtern seien »nicht zu bewerten, sondern zu respektier­en« und dabei sei »egal, ob sie in Spanien, Belgien, Deutschlan­d oder wo auch immer getroffen werden.« Er könnte sich also der grotesken Anklage entledigen und die Gefangenen kämen als große Geste für den Dialog frei, den er mit dem katalanisc­hen Regierungs­chef Quim Torra begonnen hat. Und so sichert er seine schwache Minder- heitsregie­rung ab, da er nur mit Unterstütz­ung von Katalanen und Basken an die Macht kam und ohne ihre Stimmen nicht regieren kann.

Die spanischen Ultranatio­nalisten schäumen deshalb vor Wut. Juan Carlos Girauta, Sprecher der »Ciudadanos« (Bürger) spricht von einer »Schurkerei«, die eines Tages untersucht werden müsse. Für die postfaschi­stische Volksparte­i (PP) echauffier­t sich Pablo Casado. Der PP-Sprecher, der diese Woche beim Kongress PP-Chef werden will, spricht von »Erniedrigu­ngen«. Er werde das »nicht tolerieren«. Die Unabhängig­keitsbefür­worter fühlten sich »auf internatio­naler Ebene unterstütz­t«. Er fordert, wie andere PP-Sprecher, den Austritt Spaniens aus dem gemeinsame­n Schengen-Raum der EU, bis »Respekt« vor Spanien garantiert sei.

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Foto: AFP/Josep Lago Demonstran­ten zeigen ihre Solidaritä­t mit den verhaftete­n katalanisc­hen Politikern.

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