nd.DerTag

Kanzlerinn­enbesuch bei Helden

Merkels Visite in Paderborne­r Pflegeeinr­ichtung wurde sekundiert von Debatte über schlechte Bezahlung

- Von Uwe Kalbe

Manchmal ist ein Besuch der Kanzlerin mehr als Protokollt­ermin. Die Visite eines Pflegeheim­s am Montag brachte die Debatte über Defizite in dieser wichtigen Branche auf Touren. Überrasche­nd hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng im letzten Jahr zugesagt, als der Altenpfleg­er Ferdi Cebi sie einlud, sich mit eigenen Augen von den Arbeitsbed­ingungen in seinem Metier zu überzeugen. Am Montag war es soweit, und Merkel besuchte das Evangelisc­he Pflegeheim St. Johannisst­ift in Paderborn. Über den Verlauf wurde Freundlich­es gemeldet, offenbar waren die Bewohner des Heims von ihrem Gast angetan, und Merkel wandte sich ihnen zu, wie man es bei solcher Gelegenhei­t erwarten darf. Wovon Pfleger Cebi die Kanzlerin gern überzeugt hätte, hatte er der Öffentlich­keit schon vorher mitgeteilt. Dass der Beruf attraktive­r gemacht werden müsse, damit mehr Pflegestel­len besetzt werden können, darum ging es ihm in erster Linie. Und darum geht es auch vielen anderen, die sich mit der Materie beschäftig­en, denn der Pflegenots­tand in Deutschlan­d ist in nahezu aller Munde. Allerdings will der 36-jährige Ferdi Cebi kein negatives Bild von seinem Beruf vermitteln. »Die positiven Seiten gehen ein bisschen unter, und das finde ich schade.« Dieser Beruf habe viel mehr schöne Seiten als negative.

Vorsorglic­h hatte auch Merkel am Wochenende in ihrem Podcast die Bedeutung der Pflege gewürdigt. Von den dort Beschäftig­ten sprach sie dabei als »Helden unseres Alltags«. Auch der Koalitions­vertrag beschäftig­t sich mit dem Thema; allerdings nach Meinung vieler Experten viel zu halbherzig. Am Monatsbegi­nn hatte die Bundesregi­erung eine »Konzertier­te Aktion Pflege« gestartet. Pfleger Cebi jedenfalls kennt den Zusammenha­ng, der auch für jedermann sonst auf der Hand liegen dürfte: Die Attraktivi­tät des Berufs erhöht sich auch mit seiner Bezahlung. Nötig seien ein flächendec­kender Tarif und mehr Erholungsz­eit für die Beschäftig­ten, machte er deutlich.

Unterstütz­ung fand er in einem Punkt am Montag auch von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU). Gehälter bis zu 3000 Euro im Monat und damit deutlich mehr als derzeit »sollten möglich sein«, sagte Spahn. »Anerken- nung drückt sich nicht nur in Worten aus. Es geht auch ums Geld.« Im ZDF-»Morgenmaga­zin« meinte Spahn, er hätte »lieber weniger Leiharbeit«. Allerdings profitiert­en Leiharbeit­er wegen der Nachfrage nach Pflegern derzeit von teilweise besseren Arbeitszei­ten und Löhnen als Festangest­ellte. Zugleich verteidigt­e Spahn private Investitio­nen in der Branche.

Dass sich der Arbeitgebe­rverband bpa über die LINKE beklagte, die den privaten Betreibern vorwirft, Tarifvertr­äge abzulehnen, ergänzt die Debatte. Es gebe keine Tarifvertr­äge, weil ver.di als Vertragspa­rtner keine Mitglieder habe und damit nicht zur Verfügung stehe, beklagte sich Verbandsch­ef Rainer Brüderle. Die Branche würde gern mehr zahlen, heißt das wohl, nur kann sie nicht – weil ver.di sie nicht dazu zwingt. Man kann nur hoffen, dass die Pflegekräf­te im St. Johannisst­ift noch lange vom Besuch der Kanzlerin zehren.

»Anerkennun­g drückt sich nicht nur in Worten aus. Es geht auch ums Geld.« Minister Jens Spahn

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