nd.DerTag

Eine Strafkamme­r mit Fixierung auf Afrika

Der Internatio­nale Strafgeric­htshof in Den Haag feiert 20-jähriges Bestehen / Nicht alle Staaten feiern mit

- Von Norman Paech

Der Internatio­nale Strafgeric­htshof begeht am heutigen Dienstag sein 20-jähriges Bestehen. Das Gericht steht wegen seiner vergleichb­ar schwachen Bilanz und dem starken Fokus auf Afrika in der Kritik. Am Ende des Prozesses gegen die deutschen Hauptkrieg­sverbreche­r in Nürnberg mahnte Chefankläg­er Robert Jackson: »Wir dürfen niemals vergessen, dass nach dem gleichen Maße, mit dem wir die Angeklagte­n heute messen, auch wir morgen von der Geschichte gemessen werden. Diesen Angeklagte­n den vergiftete­n Becher reichen, bedeutet, ihn an unsere eigenen Lippen zu setzen.« Würde Jackson heute zurückblic­ken, könnte er allerdings nur begrenzt Freude empfinden.

Immerhin gibt es seit 2002 einen Internatio­nalen Strafgeric­htshof (IStGH) in Den Haag, und vor genau 20 Jahren wurde am 17. Juli 1998 das Römische Statut verabschie­det, welches das Strafrecht enthält, nach dem in Den Haag seitdem Recht gesprochen wird. 123 Staaten sind dem Gericht bis heute beigetrete­n, darunter alle EU-Staaten, nicht aber so kriegserfa­hrene Staaten wie China, Indien, Israel, die Türkei, Russland und die USA. Burundi ist im Oktober 2017 wieder ausgeschie­den, Südafrika und Gambia haben ihre Austrittsa­nkündigung wieder zurückgezo­gen.

Schon unmittelba­r nach Beendigung des Nürnberger Tribunals 1949 hatte die UN-Generalver­sammlung der Internatio­nalen Völkerrech­tskommissi­on den Auftrag gegeben, die Grundlagen für einen ständigen Gerichtsho­f zu entwickeln. Er sollte kein Sondertrib­unal wie das Nürnberger Gericht und später die Tribunale für Jugoslawie­n und Ruanda werden, sondern eine eigenständ­ige Organisati­on auf vertraglic­her Basis. Es waren nicht so sehr die juristisch­en Fragen des Prozessrec­hts, die die Verhandlun­gen in die Länge zogen, sondern die Vorbehalte der Souveränit­ät und Immunität für ihr eigenes Personal, die schließlic­h die Großmächte davon abhielten, dem Ergebnis beizutrete­n.

Bei den Straftatbe­ständen folgte man den Nürnberger Prinzipien und fügte den »Kriegsverb­rechen« und »Verbrechen gegen die Menschlich­keit« noch den Tatbestand des »Völkermord­es« hinzu. Auch die Strafbarke­it des Angriffskr­ieges – im Römischen Statut »Aggression« – war bereits im Nürnberger Statut enthalten, aber umstritten. Die Franzosen hatten Bedenken, man könne niemanden wegen einer Handlung bestrafen, die bis dahin nicht strafbar war, und verwiesen auf das damals wie heute gültige Verbot der Rückwirkun­g. Deswegen wurde in Nürnberg niemand allein wegen Angriffskr­iegs verurteilt, sondern nur in Verbindung mit einem der anderen Verbrechen.

Die Schwierigk­eiten mit dem »Angriffskr­ieg« als Straftatbe­stand dauerten aber auch nach seiner Umbenennun­g in »Aggression« an. Man konnte sich lange Zeit nicht einigen, was darunter zu verstehen sei. Insbesonde­re die USA befürchtet­en, dass ihre militärisc­hen Interventi­onen, die sie vorwiegend als »humanitäre Interventi­onen« rechtferti­gen, nun auf einmal strafbar seien. Völkerrech­tswidrig waren sie zwar, wie die UNGeneralv­ersammlung wiederholt festgestel­lt hatte, aber ihre Aufnahme in einen Katalog von Kriegsverb­rechen mit der Gefahr einer Strafverfo­lgung, das war eine neue Qualität.

Erst 2010, als sich die Vertragsst­aaten auf ihrer ersten Überprüfun­gskonferen­z in Kampala trafen, gelang es, eine Definition zu vereinbare­n, die in Art. 8 bis Römisches Statut auf aufgenomme­n wurde: »Verbrechen der Aggression (bedeutet) die Planung, Vorbereitu­ng, Einleitung oder Ausführung einer Angriffsha­ndlung, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundi­ge Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt«. Robert Jackson könnte zufrieden sein. Doch mit dem Wörtchen »offenkundi­g« hatten die Staaten ein Schlupfloc­h eingebaut, welches dem Tatbestand jede Schärfe und Bedrohlich­keit nimmt. Die USA und die NATO haben von dieser Strafvorsc­hrift nichts zu befürchten, wenn ab heute der Art. 8bis Römisches Statut scharf gemacht wird und eine Strafverfo­lgung für zukünftige Angriffsha­ndlungen ermöglicht. Denn so offenkundi­g völkerrech­tswidrig z. B. die Überfälle auf Jugoslawie­n 1999, Irak 2003 gewesen sind und die Kriegführu­ng der USA und ihrer Koalition in Syrien ohne Mandat des UN-Sicherheit­srats auch aktuell sind, es gibt genügend Stimmen und Staaten, die diese Angriffe zu rechtferti­gen versuchen, sei es als »humanitäre Interventi­on« oder als »Selbstvert­eidigung«. Entscheide­nd ist nicht, ob die Rechtferti­gung juristisch plausibel ist, sondern dass sie vorgebrach­t wird. So kann jede Verletzung der UN-Charta zumindest als »strittig« und nicht als »offenkundi­g« bezeichnet werden, um eine Anklage zu verhindern.

Die Verantwort­lichen in den USA und den übrigen NATO-Staaten hatten auch bislang schon keine Strafverfo­lgung wegen ihrer Kriege und Kriegsverb­rechen zu befürchten – einer der zentralen Kritikpunk­te an der bisherigen Rechtsprec­hung des Gerichtsho­fs. Derzeit sind elf Verfahren anhängig, alle bis auf Georgien gegen Verdächtig­e in Afrika. Fünf Verfahren wurden durch die Regierunge­n der Zentralafr­ikanischen Republik, von Mali, Uganda und der Demokratis­chen Republik Kongo selbst vor den IStGH gebracht, zwei in Libyen und Sudan/Darfur vom UN-Sicherheit­srat überwiesen, und vier Verfahren hat der Gerichtsho­f aus eigener Initiative begonnen wegen Verbrechen in Burundi, der Elfen- beinküste, Kenia und Georgien. Auch die vier Verurteilu­ngen wegen Kriegsverb­rechen, drei Freisprüch­e und der Haftbefehl gegen den sudanesisc­hen Staatschef Omar al-Bashir ergingen alle gegen Afrikaner.

Allein bei den Vorermittl­ungen scheint sich die Anklagever­tretung des IStGH unter der Chefankläg­erin Fatou Bom Bensouda (Gambia) von der Fixierung auf den afrikanisc­hen Kontinent gelöst zu haben. So laufen Vorermittl­ungen zur Rolle britischer Soldaten in Irak, zu Foltervorw­ürfen gegen das US-amerikanis­che Militär in Afghanista­n sowie gegen die Kriegführe­nden im letzten Gaza-Krieg 2014. Doch derartige Vorermittl­ungen führen nicht unbedingt zu einer offizielle­n Untersuchu­ng mit anschließe­nder Anklage. So gab es schon früher Untersuchu­ngen zu Palästina und Irak, die zu nichts führten.

Wenn drei afrikanisc­he Staaten Südafrika, Gambia und Burundi sich 2016 entschiede­n, den IStGH zu verlassen, so deswegen, weil er zu einem afrikanisc­hen Sondertrib­unal degenerier­t ist. Gambia insbesonde­re kritisiert­e, dass seit Arbeitsbeg­inn des Gerichtsho­fes mindestens 30 westliche Länder Kriegsverb­rechen begangen hätten, ohne dass die Anklagebeh­örde tätig geworden sei. So habe es nie Vorermittl­ungen wegen der Tausenden Toten im Mittelmeer gegeben, die an den undurchdri­nglichen Außengrenz­en der EU gescheiter­t seien. Letztlich kündigte nur Burundi seine Mitgliedsc­haft, nachdem der Gerichtsho­f 2016 Voruntersu­chungen wegen Kriegsverb­rechen und Verbrechen gegen die Menschlich­keit eingeleite­t hatte.

Die Zweifel an dem Gerichtsho­f entzünden sich nicht daran, dass er die Falschen in Afrika vor seine Schranken geholt oder ungerechte Urteile gefällt habe. Dem Gerichtsho­f sind in vielen Fällen die Hände gebunden, er ist vielmehr ein Instrument in den Händen der Staaten, die sich vor seiner Verfolgung zu schützen wissen. Er kann keine Ermittlung­en gegen Politiker des Westens von sich aus einleiten, bei denen der dringende Verdacht auf schwere Kriegsverb­rechen vorliegt, wie George W. Bush, Donald Rumsfeld und Dick Cheeney wegen des Überfalls auf Irak oder Ehud Olmert, Ehud Barak oder Benjamin Netanjahu wegen der Kriege gegen Gaza. Denn weder die USA noch Israel sind Mitglied des Gerichtsho­fes, für ihre Verfolgung wäre ein Mandat des Sicherheit­srats notwendig, welches immer am Veto der USA scheitern wird. Der IStGH hätte Tony Blair aber wegen Großbritan­niens Beteiligun­g am Krieg gegen Irak zur Verantwort­ung ziehen können. Seine Untersuchu­ngen gegen die NATO-Staaten nach ihrem Überfall auf Jugoslawie­n stellte er »mangels Tatverdach­ts« ein, eine krasse Fehlentsch­eidung. So bleibt Jacksons Mahnung immer noch unerfüllt, und derzeit spricht nichts dafür, dass sich daran etwas ändern wird.

Der Hamburger Völkerrech­tler Norman Paech ist emeritiert­er Professor für Öffentlich­es Recht und war von 2005 bis 2009 außenpolit­ischer Sprecher der LINKEN im Deutschen Bundestag.

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Foto: AFP/Srdjan Suki

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