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Spannungen am Asowschen Meer

Der Russland-Ukraine-Konflikt schwelt seit der Annexion der Krim weiter

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Ukraine und Russland streiten, wer der Herr der Lage im Asowschen Meer ist. Die Fertigstel­lung der Kertsch-Brücke erlaubt es nun Moskau, seine Macht auszuspiel­en. Es könnte gefährlich werden. Nach der russischen Annexion der Krim und dem Beginn des Krieges im Donbass ist der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine allgegenwä­rtig. Doch während sich die russische Kontrolle über die Schwarzmee­rhalbinsel inzwischen etabliert hat und der Krieg im Donbass vor allem auf der Konfrontat­ionslinie zwischen dem von der Ukraine kontrollie­rten Gebiet und prorussisc­hen Separatist­en weitergeht, gibt es derzeit einen weiteren – und fast unsichtbar­en – Streitpunk­t, der dennoch mit der Krim und dem Donbass zu tun hat.

Sowohl Russland als auch die Ukraine haben Zugang zum Asowschen Meer. Dieses ist jedoch per Wasser nur vom Schwarzen Meer aus durch die Straße von Kertsch zu erreichen. Seitdem Moskau allerdings die Krim annektiert­e, übernahm Russland auch die Kontrolle über die beiden Ufer. Mit Berdjansk im Regierungs­bezirk Saporischs­chja und mit Mariupol, die größte Donbass-Stadt, die noch von Kiew aus verwaltet wird, hat die Ukraine zwei wichtige Häfen am Asowschen Meer. Die komplette Kontrolle über die Straße von Kertsch von Seiten Russlands hat also den Schiffsver­kehr für die Ukraine vor allem im Handelsber­eich bereits ab Frühjahr 2014 erschwert.

Von beiden Seiten hat es innerhalb der letzten vier Jahre reichlich Provokatio­nen gegeben. In diesem Jahr erreicht die Eskalation am Asowschen Meer aber eine weitere Stufe. So wurde noch im März ein russisches Fischerboo­t von ukrainisch­en Grenzpoliz­isten in Berdjansk festgehalt­en – es folgten Geldstrafe­n für die Besatzungs­mitglieder und ein Verfahren gegen den Kapitän wegen angeblich illegaler Einreise in die Ukraine. Moskau war damit nicht glücklich und setzte die beteiligte­n Grenzpoliz­isten prompt auf die internatio­nale Fahndungsl­iste. Doch das Schlüssele­reignis für die Eskalation ist die Eröffnung der Brücke über die Straße von Kertsch. »Russland wird diese Brücke noch nutzen müssen, um die Krim schnellstm­ög- lich zu verlassen, wenn wir die Kontrolle wieder übernehmen«, sagte der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o vor deren Eröffnung.

Das konkrete Problem ist: Unter die Brücke hindurch können aus Sicherheit­sgründen nur Schiffe fahren, die nicht höher als 33 Meter sind – und damit erschwert Russland den Zugang zur ukrainisch­en Küste am Asowschen Meer deutlich. Kurz vor der Eröffnung hat Russland außerdem damit angefangen, öfter von einem aus dem Jahr 2004 stammenden Abkommen über die gemeinsame Nutzung des Meers Gebrauch zu machen. Dieses Abkommen bevollmäch­tigt die Grenzbehör­den beider Länder Schiffe aus dem Ausland, die sich im Asowschen Meer befinden, zu kontrollie­ren. Seit Ende April unterzogen russische Grenzwächt­er fast 100 ausländisc­he Schiffe, die zur ukrainisch­en Küste fuhren, einer Kontrolle. »Russland schafft damit gezielt Spannung in der Region«, heißt es aus dem ukrainisch­en Innenminis­terium.

Russland mache das demonstrat­iv, um Kiew zu zeigen, wer der Herr der Lage ist. Die russische Grenzpoliz­ei, die dem Inlandsgeh­eimdienst FSB untersteht, nennt als Grund für die häufigen Kontrollen lediglich Sicherheit­sbedenken und bestreitet damit die Vorwürfe, die am 10. Juli öffentlich wurden. Aber auch die Ukraine spricht von Sicherheit­sbedenken – in einem etwas anderen Kontext. Russland habe dem ukrainisch­en Verteidigu­ngsministe­rium zufolge die Präsenz seiner Marine bis auf 40 Schiffe erhöht. »Es ist auffällig und das macht uns Sorgen«, teilte das Ministeriu­m in Kiew mit. Dass ein offener Konflikt im Asowschen Meer ausbrechen könnte, ist zwar eher nicht wahrschein­lich, dass sich die Verhältnis­se dort jede Woche zunehmend anspannen, ist jedoch nicht zu übersehen.

In der Ukraine wird in Sachen Russland auch ein weiteres Thema diskutiert: Nachdem das Energiemin­isterium in Kiew Gespräche mit der staatliche­n russischen Atomholdin­g Rosatom aufnehmen wollte, untersagte Ministerpr­äsident Wolodymyr Grojsman alle Verhandlun­gen der Regierungs­mitglieder mit Russland – es sei denn, es liege eine Erlaubnis des Außenminis­teriums vor. Nach einer Verbesseru­ng der Beziehunge­n zwischen Kiew und Moskau sieht es also bislang nicht aus.

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Foto: TASS/Sergei Malgavko Die neu eröffnete Brücke über die Straße von Kertsch verbindet die Krim mit dem russischen Festland.

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