nd.DerTag

Staudamm macht Turkana-See schwer zu schaffen

UNESCO erklärt Nationalpa­rks rund um den größten Wüstensee der Welt zum gefährdete­n Welterbe

- Von Bettina Rühl, Turkana

Der Turkana-See in Nordkenia ist der größte Wüstensee der Welt. Von ihm leben Menschen, Tiere und Pflanzen. Doch es wird immer schwierige­r. Denn ein Staudamm lässt den See schrumpfen.

Behutsam zieht Selina Akiru das Messer durch den Bauch des kleinen Fisches. Der silberne Leib ist vielleicht zehn Zentimeter lang, viel kleiner, als die Kenianerin gehofft hatte – so wie der gesamte Fang von etwa 20 Fischen. Sie stammen aus dem Lake Turkana in Nordkenia, dem größten Wüstensee der Welt. »Mein Mann war sechs Tage lang auf dem See«, sagt die 39-jährige Mutter von sechs Kindern zwischen vier und zwölf Jahren. »Mehr hat er nicht mitgebrach­t.« Noch vor wenigen Jahren hätte er mehr als doppelt so viel gefangen. »Aber jetzt wissen wir nie, ob wir alle satt werden.«

Der Turkana-See ist mehr als zehnmal so groß wie der Bodensee, ein grün glitzernde­s Juwel mitten im Nichts. Denn die Region ist karg. Dürren sind häufig, Wasser und Weideland knapp. Das Überleben ist schwer und wird immer schwerer. Der Fischbesta­nd im Turkana-See sei extrem zurückgega­ngen, bestätigen auch die anderen Bewohner der Siedlung Nayana Esanyanait, fast an der Grenze zu Äthiopien.

Die Siedlung besteht aus ein paar Unterschlü­pfen am Strand: Schilfmatt­en und Plastikpla­nen, über ein Gestell aus Ästen gelegt. »Vor ein paar Monaten haben wir noch dahinten gelebt«, sagt der Fischer Collin Pili und zeigt auf einen Streifen mit Büschen, ein paar hundert Meter entfernt. »Wir folgen der Wasserlini­e, und die weicht immer weiter zurück.«

Dabei schien der Turkana-See lange buchstäbli­ch unverwüstl­ich zu sein: Er ist mit fast 6500 Quadrat- kilometern der größte ständige Wüstensee der Welt und schon vier Millionen Jahre alt. 1997 wurde er zum Weltnature­rbe erklärt. Aber der Wasserspie­gel fällt drastisch und die einst ertragreic­hen Fischgründ­e schwinden. Als Hauptursac­he sehen Experten einen riesigen Staudamm 600 Kilometer flussaufwä­rts in Äthiopien. Der staut den Omo-Fluss, aus dem der See rund 90 Prozent seines Süßwassers erhält. Jetzt hat die Unesco die Nationalpa­rks an dem See in Kenia auf die Liste des bedrohten Weltnature­rbes gesetzt und ruft zu deren Schutz auf.

Auch der Paläoanthr­opologe Richard Leakey, der wichtige Knochen und Steinwerkz­euge aus der Frühzeit der Menschheit am Turkana-See ausgrub, ist sehr beunruhigt, was mit dem Omo-Fluss geschieht. »Der Turkana-See wird schon seit mindestens vier Millionen Jahren durch einen Zufluss gespeist«, sagte er in einem Interview. Seit Beginn der Mensch- heit ergieße sich das Wasser aus dem äthiopisch­en Hochland in das Gebiet Kenias. »Dieses Gewässer ist von größter Bedeutung für die beiden Länder.«

Äthiopien jedoch wischte bisher Warnungen regelmäßig beiseite. Das Wasserkraf­twerk Gilgel Gibe III hat die äthiopisch­e Stromprodu­ktion fast verdoppelt, es kann annähernd 2000 Megawatt im Jahr liefern. Nur die Hälfte will das Land am Horn von Afrika selbst verbrauche­n. Der Rest soll verkauft werden: an Sudan, an Dschibuti, und auch die kenianisch­e Regierung will 500 Megawatt kaufen. Äthiopien hat am Omo außerdem riesige Baumwoll- und Zuckerrohr­plantagen angelegt, die viel Wasser verbrauche­n. Bis zu 170 000 Hektar sollen so bewirtscha­ftet werden.

Und so wird der Kampf um die Fischgründ­e immer härter. Denn zunehmend setzen äthiopisch­e Fischer am Turkana-See Gewalt ein – mit Ka- laschnikow­s. »Für uns wird es immer schwierige­r und gefährlich­er«, sagt der Kenianer Collin Pili. »Allein im Januar habe ich drei meiner Freunde verloren.« Er und ein weiterer Freund konnten entkommen. Schon viermal sei er beim Fischen von Bewaffnete­n überfallen worden. Die Angreifer haben früher im OmoFluss gefischt. Aber auch der Omo gibt nichts mehr her.

Die Fischer der Siedlung Nayana Esanyanait nehmen jetzt bewaffnete­n Begleitsch­utz mit, wenn sie nicht nur in Ufernähe bleiben. Patrik Kolé Akai zeigt zum Beweis seine Kalaschnik­ow. Der 50-Jährige gehört zur sogenannte­n Nationalen Polizeires­erve von Kenia. Ein Hilfskonst­rukt, mit dem der Staat ausgleiche­n will, dass er weder genug Leute noch Waffen hat, um die Sicherheit seiner Bürger landesweit zu garantiere­n. Also wird die Bevölkerun­g zur Selbstvert­eidigung rekrutiert und bewaffnet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany