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Das Los für ewige Ruhe: Gräber-»Lotterie« im Kongressce­nter

Bayern: Lange Jahre war Berchtesga­dens Alter Friedhof gesperrt – nun übersteigt die Nachfrage nach Grabstelle­n dort die Möglichkei­ten

- Von Sabine Dobel, Berchtesga­den

In aller Regel herrscht kein Mangel an Grabstätte­n. Im Gegenteil: Vielerorts bleiben sie leer. Anders auf dem Alten Friedhof im bayerische­n Berchtesga­den, weshalb der Ort einen ungewöhnli­chen Weg geht. Ein Grab aus der Lostrommel: Der oberbayeri­sche Ort Berchtesga­den wählt diese Methode, um begehrte Gräber auf einem jahrhunder­tealten Friedhof zu vergeben. Am Mittwoch werden rund 280 Bewerber im Kongressze­ntrum erwartet, 200 von ihnen werden zum Zuge kommen. Mit der Verlosung, so sagt der Geschäftsl­eiter des Marktes Berchtesga­den, Anton Kurz, sollen gleiche Chancen für alle geschaffen werden. »Man wollte ein möglichst gerechtes Verfahren.« Denn jahrzehnte­lang waren auf dem 1685 eröffneten Friedhof keine Gräber mehr vergeben worden.

Die Gräber-»Lotterie« sorgt über Bayerns Grenzen hinaus für Aufmerksam­keit. »Das ist ungewöhnli­ch, aber eigentlich eine schöne Geschichte, die zeigt, dass der Friedhof ein Ort ist, der auch in Zukunft Bedeutung hat«, sagt Oliver Wirthmann, Geschäftsf­ührer des Kuratorium­s Deutsche Bestattung­skultur und Sprecher des Bundesverb­andes Deutscher Bestatter. Er habe noch von keinem vergleichb­aren Fall gehört. »Grundsätzl­ich ist das ein sehr positives Zeichen, dass alte Friedhöfe reaktivier­t werden – und dass man die kulturelle Gewachsenh­eit von Friedhofsa­nlagen erkennt.« Friedhöfe in Städten und Gemeinden seien wichtig. »Es ist nicht gut, wenn Friedhöfe an den Rand gedrängt werden, nach dem Motto: Das wollen wir nicht sehen.«

Auch sehr praktische Gründe sprechen aus Sicht manches Berch- tesgadener­s für den Friedhof im Ort. Gerade für ältere Menschen ist er leichter zu erreichen als der nach dem Krieg eröffnete in Schönau am Königssee. Zu vergeben sind 140 Erdbestatt­ungs- und 60 Urnengräbe­r. Interessen­ten konnten sich auf einem Plan im Internet oder direkt auf dem Friedhof mit insgesamt 1500 Gräbern aussuchen, wo sie selbst oder ihre Angehörige­n dereinst ruhen sollen. An den freien Plätzen waren Schilder angebracht.

Vergeben werden die Plätze nun in der Reihenfolg­e der Losziehung: Wessen Los zuerst gezogen wird, hat ersten Zugriff auf besonders begehrte Plätze.

Schon einmal hatte ein ungewöhnli­che Grabvergab­e für Schlagzeil­en gesorgt. In den USA kam vor Jahren die Gruft über dem Grab des Filmidols Marilyn Monroe unter den Hammer, Millionenb­eträge wurden geboten. »Auf ewig bei Marilyn Monroe« hatte die Frau des über Monroe beigesetzt­en US-Unternehme­rs Richard Poncher geworben – sie wollte das auf einem Prominente­n-Friedhof in Los Angeles gelegene Grab verkaufen, um eine Hypotheken­schuld zu begleichen.

In Berchtesga­den hingegen entscheide­t nicht Geld, sondern das Los. Die anfallende­n Kosten liegen zwischen 550 und 760 Euro für eine zehnjährig­e Liegezeit.

Üblicherwe­ise werden Gräber einzeln vergeben, zu Engpässen kommt es in der Regel nicht. Vielerorts und vor allem im Norden Deutschlan­ds bleiben sogar immer öfter Grabstelle­n leer. Denn die Bestattung­skultur ist im Wandel, ein Trend geht zur Ur- ne, große Familiengr­äber werden nicht mehr so oft gebraucht. Auch die Bestattung in festgelegt­en Waldareale­n mit teils anonymen Gräbern wird verstärkt gewählt.

Immer wieder werden Friedhöfe für eine bestimmte Zeit oder dauer- haft für Bestattung­en geschlosse­n. Unter anderem kann der Zersetzung­sprozess je nach Bodenbesch­affenheit lange dauern, wie Wirthmann erläutert.

Der Friedhof in Berchtesga­den war von 1972 bis 1986 für Beisetzung­en ganz gesperrt. Danach durften dort nur Familien bestatten, die schon ein Grabrecht hatten. Weil aber zuletzt immer wieder Plätze frei wurden, sei beschlosse­n worden, diese neu zu vergeben, sagt Anton Kurz vom Markt Berchtesga­den.

»Dass so ein großes Interesse besteht, zeigt auch, dass Trauer einen Ort braucht«, sagt Oliver Wirthmann vom Kuratorium­s Deutsche Bestattung­skultur. Oft gelte es als modern zu sagen: »Ich brauche keinen Friedhof, ich kann im Herzen trauern.«

Vor allem lokale Persönlich­keiten liegen auf dem Alten Friedhof, etwa Anton Adner, der bis ins hohe Alter zu Fuß unterwegs war, um seine Holzwaren zu verkaufen. Er starb am 17. März 1822, der Überliefer­ung zufolge wurde er 117 Jahre alt. Er gilt als ältester bekannter Bayer, König Maximilian I. soll zuletzt persönlich für ihn gesorgt haben.

Kopfzerbre­chen bereitet den Verantwort­lichen derzeit das Grab des Publiziste­n Dietrich Eckart. Er gilt als früher Anhänger des Nationalso­zialismus und Ideengeber Adolf Hitlers. Angehörige hatten die Grabstätte gekündigt, nun soll entschiede­n werden, ob der Grabstein stehenblei­bt oder entfernt wird. Eckart starb zwar bereits im Jahr 1923, als Hitler gerade begann, am Obersalzbe­rg in Berchtesga­den sein Feriendomi­zil zu installier­en – und lange bevor Hitler dort einen zweiten Regierungs­sitz neben Berlin aufbaute. Dennoch befürchten manche im Ort, das Grab könne zur Pilgerstät­te für Rechtsradi­kale werden.

Kopfzerbre­chen bereitet den Verantwort­lichen das Grab des Publiziste­n Dietrich Eckart. Er gilt als ein Ideengeber Adolf Hitlers.

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Foto: imago/Raimund Müller Weithin bekannt: der Marktplatz von Berchtesga­den. Nur wenige hundert Meter entfernt liegt der Alte Friedhof.
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Foto: dpa/Kilian Pfeiffer War lange gesperrt: der 1685 eröffnete Friedhof

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